"Gezielte Tötungen sind nicht legitim"
Wie ist der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr mit der jüngsten EKD-Friedensdenkschrift zu vereinbaren? Zu dieser Frage hat die Evangelische Kirche ein Positionspapier veröffentlicht. Eindeutig fallen die Antworten nicht aus. Wir sprechen darüber mit Militärdekan York-Herwarth Meyer.
Philipp Gessler: Die Evangelische Kirche hat sich in der Nachkriegszeit nie leicht getan mit der Bundeswehr und der großen Frage nach Krieg und Frieden. Zuletzt gab es eine Friedensdenkschrift im Jahr 2007 mit der Forderung, die Lehre vom "Gerechten Krieg" aufzugeben und stattdessen das Leitbild eines "Gerechten Friedens" zu entwickeln.
Aber was bedeutet das konkret für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr? Genügt er den Anforderungen der Friedensdenkschrift? Diese Frage versuchte die "Kammer für Öffentliche Verantwortung" der EKD zu klären – und veröffentlichte Anfang der Woche eine "Stellungnahme" dazu. So richtig eindeutig sind die Antworten der Kammer nicht gewesen. Deshalb habe ich nachgefragt beim evangelischen Militärdekan York-Herwarth Meyer, der als Militärseelsorger schon in Afghanistan war. Ich fragte ihn zunächst, ob die deutschen Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch überhaupt ein solches Papier der EKD interessiert.
York-Herwarth Meyer: Herr Gessler, ich kenne eine Menge Soldaten, die eigentlich gerade in früheren Jahren eher sehr scharf beklagt haben, dass sich niemand für ihre Einsätze interessiert und niemand genau zuschaut. Ich denke, es wird die Soldatinnen und Soldaten freuen, dass hiermit das Thema Einsatz in Afghanistan erneut in den Fokus der Öffentlichkeit gerät und diskutiert wird.
Gessler: Klären Sie uns doch mal so ein bisschen auf. Welchen Ruf hat denn die Militärseelsorge in Afghanistan bei der kämpfenden Truppe dort? Gelten da Militärseelsorger so ein bisschen als Weicheier, weil sie nicht kämpfen, oder sind sie vielmehr hoch geachtet, wie das Papier der EKD das andeutet?
Meyer: Ich kenne viele Soldatinnen und Soldaten, die sich einfach darüber freuen, dass die Militärseelsorge da ist. Einen Ansprechpartner zu haben außerhalb der eigenen Hierarchie und der eigenen Struktur, mit dem man vertraulich reden kann, das ist schon nicht schlecht. Außerdem ist es ja so, dass die Geistlichen auch die Gefahren und Risiken des Einsatzes zum Teil teilen. Natürlich gehen sie nicht gezielt dorthin, wo es besonders gefährlich ist, aber sie sind im Land unterwegs, bewegen sich, und es ist auch gar nicht so lange her, dass mal einer unserer Pfarrer auch unter Beschuss geriet oder in einen Verkehrsunfall verwickelt war, weil er in einem Auto saß, das von einem LKW gerammt wurde.
Soldaten brauchen "Ansprechpartner außerhalb der Hierarchie"
Gessler: Jetzt hat ja einer der Autoren dieses EKD-Papiers, der frühere Befehlshaber des Bundeswehreinsatzführungskommandos, Generalleutnant Rainer Glatz, erklärt, er habe sich beim endgültigen Beschluss über das Papier der EKD der Stimme enthalten. Er war offenbar nicht zufrieden mit der Stellungnahme, vielleicht, weil er die militärische Praxis in Afghanistan gut kennt. Das hat er mit Ihnen ja gemeinsam. Wie beurteilen Sie das Papier? Können Sie sich mit dem anfreunden?
Meyer: Auf jeden Fall bin ich froh, dass die Spannung erhalten geblieben ist; dass General Glatz hier die Expertise der militärischen Sichtweise eingetragen hat und der Knoten nicht so aufgegangen ist, dass am Ende diese militärische Sichtweise ein Stück weit untergegangen ist. Ich bin froh, dass dieses Papier nicht gewaltsam auf einen Kompromiss hingezogen wurde, sondern dass die Spannung der Diskussion erhalten bleibt und damit auch dieses Papier zur Diskussion anregt.
Gessler: Das ist jetzt natürlich sehr positiv gewertet. Gleich in mehreren Fragen war die Kammer, so steht es ja in dem Papier, nicht zu einem Konsens fähig unter den Autoren. Die unterschiedlichen Meinungen in der Kammer, die stehen in dem Papier praktisch unverbunden nebeneinander. Finden Sie das einen Nachteil, dass die EKD nicht mit einer klaren, einheitlichen Meinung spricht?
Meyer: Ich denke, manch einer würde sich wünschen, dass wir jetzt schon ein Ergebnis hätten und eine klare Meinung. Aber ich denke, der Diskurs muss auch im öffentlichen Raum geführt werden, und deswegen ist es gut, dass das Papier die Spannung aufrechterhält. Es wäre nicht zielführend gewesen, hätte man zugunsten eines Kompromisses eine Sichtweise ausgeblendet.
Gessler: Jetzt ist ja der Knackpunkt des Papiers, und den benennt der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ja gleich am Anfang in seinem Vorwort, dass die Kammer zu keiner klaren Stellungnahme fähig ist – ob jetzt die eingesetzten militärischen Mittel in Afghanistan eigentlich dem politischen Ziel angemessen sind. Wie müssen sich da eigentlich die deutschen Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan – Sie haben sie ja kennengelernt – fühlen, wenn die EKD sagt, wir wissen nicht genau, ob euer Einsatz eigentlich legitim ist oder nicht?
Meyer: Auf jeden Fall müssen wir da auch als Vertreter der Kirche sehr aufpassen, dass diese Position nicht in einer gewissen Weise als Soldatenschelte rüberkommt. Denn es ist keine Frage an Soldatinnen und Soldaten, ob der Einsatz legitim ist oder nicht. Natürlich sind sie da auch verantwortlich, aber eigentlich sind wir alle verantwortlich – denn wir haben eine Parlamentsarmee, und die Leute, die wir wählen, bestimmen darüber, in welche Einsätze unsere Soldatinnen und Soldaten gehen. Deshalb finde ich es gut, wenn gerade dieses Papier ein Stück weit zur Diskussion anregt und vielleicht diese Diskussion in der Öffentlichkeit und im politischen Raum noch einmal belebt. Manchmal haben Soldatinnen und Soldaten den Eindruck, viele machen es sich zu leicht und finden andere Dinge wichtig, die entscheidender für die Diskussion sind.
Sind gezielte Tötungen gerechtfertigt?
Gessler: Jetzt ist auch die Frage, ob gezielte Tötungen von Terroristen in Afghanistan, ob die gerechtfertigt sind oder nicht. Und da kommt auch die Kammer zu keinem einheitlichen Ergebnis. Was ist da Ihre Position dazu, zu dieser schwierigen Frage? Finden Sie, dass gezielte Tötungen von führenden Gegnern legitim sind?
Meyer: Für mich als christlichen Theologen gibt es keine Frage – solche Dinge sind nicht legitim. Und ich bin sehr froh, dass auch die Rules of Engagement, das sind die Regeln für militärisches Handeln, nach denen sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auch zu richten haben, solche gezielten Tötungen auch nicht vorsehen.
Gessler: Aber die USA führen diese gezielten Tötungen durch. Das ist ja der Bündnispartner in Afghanistan.
Meyer: Das ist richtig, aber es ist auch nach meinem persönlichen Dafürhalten sehr unglücklich. Ich gebe Ihnen recht, dass es ein Problem ist, wenn Bündnispartner anders handeln, als wir es tun würden. Aber dennoch bedeutet es ja eine politische Entscheidung, unter welchen besonderen nationalen Regeln unsere Bundeswehr dort im Einsatz ist, was sie tun darf und ob sich die Bundesrepublik Deutschland am ISAF-Einsatz beteiligt.
Gessler: Aber dann verstehe ich umso weniger, warum dann nicht die EKD zu einer klaren Stellungnahme gekommen ist, indem sie sagt, gezielte Tötungen sind nicht legitim?
Meyer: Ich denke, die gezielten Tötungen sind ja nicht der absolute Fokus, den dieses Papier beleuchtet. Ich sehe das Papier als einen Versuch, die grundlegenden Überlegungen der EKD zur Friedensethik auf den Einsatz in Afghanistan anzuwenden und zu prüfen. Gerade deshalb ergeben sich ja Zweifel und Fragen – wie ist es eigentlich mit der Legitimität dieses Einsatzes? Wie ist es eigentlich mit den Mitteln, die man einsetzen kann?
Gessler: Jetzt ist ja ganz bekannt der Satz der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käsmann, ungefähr vier Jahre alt – sie hat gesagt: "Nichts ist gut in Afghanistan." Da gab es einen großen Aufruhr, und damals konnte man den Eindruck haben, dass dieser Satz damals auch zu Frust unter den deutschen Soldatinnen und Soldaten geführt hat, die ja eigentlich dort hingegangen sind, zumindest nach ihrem Selbstbild, um eben Gutes zu tun. Welche Ansichten herrschten damals über diesen Satz, und hat sich da vielleicht etwas gewandelt, nach Ihren Erfahrungen in Afghanistan?
Meyer: Natürlich haben sich Soldatinnen und Soldaten über diesen Satz erheblich geärgert. Das ist richtig. Das haben sie auch deutlich artikuliert. Aber es ist auf der anderen Seite auch deutlich wahrzunehmen, dass die dann angestoßene Diskussion von den Soldatinnen und Soldaten sehr positiv betrachtet wurde. Endlich wurde über Afghanistan gesprochen, aber wiederum war es auch die Frage der Soldaten, wie ist es denn eigentlich mit dem, was wir hier erleben, und wie ist es mit der Perspektive der EKD-Ratsvorsitzenden? Sollte sie nicht einmal kommen, mit uns sprechen und sich die Sachen selbst angucken? Der evangelische Militärbischof, Dr. Martin Dutzmann, hatte damals gleich reagiert und sie nach Afghanistan eingeladen. Zu einem Besuch kam es nicht mehr, da ihre Dienstzeit ja dann schnell zu Ende war.
Afghanistan-Papier wird "die Politik nicht unberührt lassen"
Gessler: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Markus Grübel von der CDU, hat etwas böse gesagt: Die Durchschlagskraft kirchlicher Stellungnahmen zur Verteidigungspolitik im Bundestag, also in dem Fall jetzt dieses Papier, was wir auch in der zu Ende gehenden Woche jetzt vorgelegt bekommen haben, diese Durchschlagskraft sei im Bundestag nicht allzu hoch. Wenn solche Papiere nun also in Afghanistan bei der Bundeswehr nicht besonders wahrgenommen werden oder wichtig genommen werden und auch im Bundestag nicht, dann fragt man sich natürlich schon, warum schreibt man dann solche Papiere?
Meyer: Ich denke, wir müssen abwarten, ob dieses Papier wirklich so wenig wirken wird. Ich war sehr überrascht, dass ich kurz nach Erscheinen des Papiers mehrere Anrufe hatte, obwohl ich ja mit diesem Papier gar nicht in Verbindung stehe, von politischen Gruppierungen, auch von aktiven Soldaten, die auf dieses Papier hin ansprachen, die sich aktiv im Internet umgetan hatten, die bei einem Blogger auch von der Podiumsdiskussion, als dieses Papiern vorgestellt wurde, sich Dinge besorgt hatten, und die einfach deutlich zeigten, das interessiert uns, darüber müssen wir reden.
Ich würde eigentlich ungern von vornherein sagen, dass dieses Papier wirkungslos ist. Ich frage mich auch, ob Herr Grübel wirklich alle Papiere, die es mal gegeben hat, auf ihre Wirkung untersucht hat. Aber wenn schon jetzt die Wirkung so ist, dass wir hier sitzen, miteinander über das Papier reden und natürlich auch, dass offensichtlich ein breiter Kreis an Interessierten anfängt, über das Papier nachzudenken, habe ich doch eine gewisse Hoffnung. Ich denke, wenn in der Gesellschaft die Diskussion voran geht und es dort zu einer Meinungsbildung kommt, wird das die Politik nicht unberührt lassen.
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