Bundeswehr

Nicht die NATO, der Bundestag entscheidet

Deutschlandflagge auf Bundeswehr-Uniform
Deutschlandflagge auf Bundeswehr-Uniform © Philipp Schulze
Von Reinhard Mutz · 08.09.2015
Der Bundestag wird sich nach der Sommerpause mit der parlamentarischen Mitsprache bei Bundeswehr-Auslandseinsätzen befassen. Der Friedensforscher Reinhard Mutz plädiert dafür, hier die weitreichenden Kompetenzen des Parlaments nicht einzuschränken.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. So will es das Bundesverfassungsgericht. Vor jedem Auslandseinsatz bewaffneter Streitkräfte ist die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Damit zählt Deutschland zu der Minderheit von Staaten, deren Verfassung die Befugnis, über Krieg und Frieden zu entscheiden, nicht der Exekutive anheim gibt.
Ein Handstreich wie am Vorabend des Golfkriegs von 1991 kann sich also nicht wiederholen. Damals hatte die NATO ihre Mitglieder zur militärischen Flankierung der bevorstehenden Luftoffensive gegen den Irak aufgefordert. Noch am selben Tag verlegte die Bundesregierung ein Jagdbombergeschwader mit 18 Kampfflugzeugen an die südanatolische Küste.
Kein Militäreinsatz ohne Öffentlichkeit
Seit dem Grundsatzurteil 1994 entscheidet das Parlament. Es hat ausnahmslos alle Anträge gebilligt, häufig nach kontroverser Debatte. Zur bisher heftigsten, die dicht an den Regierungssturz führte, kam es im November 2001 vor der Abstimmung über die deutsche Teilnahme an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan und Kuweit. Die rot-grüne Koalition überlebte nur knapp.
In jedem dieser Fälle – und darin liegt ihr Verdienst – sorgte die Plenardebatte des Bundestages dafür, dass sich die Abgeordneten dem Pro und Kontra militärischer Auslandseinsätze stellen mussten und dass die Entscheidung nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit fallen konnte.
Möglicherweise führt ein geschärftes Bewusstsein für die Illegitimität bestimmter bewaffneter Interventionen sogar dazu, dass die deutsche Mitwirkung schon im Vorfeld politisch verworfen wird und ein Mandatsantrag den Bundestag gar nicht erst erreicht.
Der Irakkrieg von 2003 und der Libyenkrieg 2011 könnten als Beispiele dienen. Beide Male hat das Nein aus Berlin die Bundesrepublik davor bewahrt, Mitverantwortung zu tragen für die heute desolate Lage im Nahen und Mittleren Osten mit zerfallenen Staaten, tagtäglichem Terror und Flüchtlingsströmen ohne Ende.
Aber auch die Kritiker des Parlamentsrechts sind nicht verstummt. Ihr Hauptargument lautet, Deutschland verliere an Gewicht und Einfluss im eigenen Bündnis. In einer zunehmend arbeits- und lastenteiligen Rüstungsstruktur sei die Verlässlichkeit unabdingbar, dass Fähigkeiten, die nur in einzelnen Ländern vorhanden sind, im Bedarfsfall der ganzen Gemeinschaft zur Verfügung stehen.
NATO-Treue versus Parlamentsvorbehalt
Eine Expertenkommission mühte sich um Kompromisslösungen, konnte sich aber nur auf einen einzigen substanziellen Vorschlag einigen: Entsendungen ins Ausland sollen nicht länger zustimmungspflichtig sein, sofern die Soldaten in ständigen integrierten Stäben Dienst leisten.
Dem könnte man für Friedenszeiten zustimmen, solange daraus kein Militäreinsatz wird. Denn was das bedeutet, illustriert die NATO-Operation Unified Protector. Obschon die Bundeswehr sich nicht an den Luftangriffen auf Libyen beteiligte, schickte sie elf weitere Soldaten zum Stabsdienst in die alliierte Einsatzzentrale, ohne Mandat des Bundestages. Später wurde bekannt, dass im regionalen Oberkommando der NATO ein Offizier der Bundeswehr die Zielplanung leitete.
An Kampfhandlungen aber wirkt nicht nur mit, wer eine Bombe zündet, sondern auch derjenige, der das Ziel auswählt. Die Bundesregierung darf den Verbündeten demnach nicht militärische Leistungen abrufbereit zuzusichern und dadurch im Einsatzfall der nationalen Volksvertretung die politische Letztentscheidung vorenthalten.
Mit noch so geschickten Verfahrensregeln lässt sich nicht aus der Welt schaffen, dass zwei Prinzipien einander widersprechen: Bündnisbindung versus Parlamentsrecht. Das Karlsruher Grundsatzurteil ist eindeutig: Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gelte ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung.
Reinhard Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dreijährigem Militärdienst Politikwissenschaft und Neueren Geschichte. Er arbeitete bis 1984 am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin und bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik.
Reinhard Mutz
Reinhard Mutz© privat
Mehr zum Thema