Schwierige Rückkehr vom Auslandseinsatz
Der Oberstarzt Andreas Lison leitet das Sportmedizinische Institut der Bundeswehr in Warendorf, wo verletzte Heimkehrer aus dem Afghanistaneinsatz behandelt werden. Vielen gehe es eigentlich nur um eine gewisse Anteilnahme, so der Mediziner.
Britta Bürger: Wie fühlen sich Bundeswehrsoldaten, die von einem Auslandseinsatz nach Deutschland zurückkehren? Wie bewältigen sie das Grauen, das sie erlebt haben, und wie finden sie zurück in die deutsche Gesellschaft? Das sind Fragen, mit denen der Bundeswehrarzt Andreas Lison täglich konfrontiert ist. Nach eigenen Auslandseinsätzen in Kambodscha und Afghanistan leitet er heute das sportmedizinische Institut der Bundeswehr in Warendorf und behandelt dort Soldaten, die verletzt von Auslandseinsätzen zurückgekehrt sind. Herr Lison, willkommen im "Radiofeuilleton"!
Andreas Lison: Danke, dass ich hier sein darf!
Bürger: Ihr erster eigener Auslandseinsatz, das war 1992 in Kambodscha, wo die Bundeswehr ein Krankenhaus für UN-Soldaten aufgebaut hat. Sie waren dort ein gutes halbes Jahr. In welcher Weise hat dieser Einsatz Ihr eigenes weiteres Leben geprägt?
Lison: Ich denke, das hat er in doppelter Weise getan. Einmal natürlich für meinen Werdegang als Arzt, die Erfahrungen, die man dort fachlich sammelt, sind natürlich ungeheuer intensiv gewesen, weil wir dort eine Medizin gemacht haben, wie sie mit der Medizin in Deutschland nicht vergleichbar ist, und auch da mit sehr krassen Situationen konfrontiert worden sind. Aber ich muss auch sagen, dass sie mich als Mensch auch ganz deutlich verändert hat, weil man natürlich nach sechseinhalb Monaten in einer anderen Kultur und unter so extremen Bedingungen eine ganz andere Anschauung bekommt, wenn man wieder nach Hause kommt.
Bürger: Wenn Sie sagen, krasse Situationen, was müssen wir uns darunter vorstellen?
Lison: Die krassen Situationen sind so, dass man so mit der Endlichkeit des Daseins, mit einer ungeheuren Gewalt und Elend konfrontiert wird, wie wir sie in unserer Gesellschaft uns nicht vorstellen können. Und wenn wir Filme darüber sehen, ist das immer noch eine große Distanz. Aber wenn Sie das hautnah erleben und gerade wenn es zum Beispiel um Kinder geht, die verletzt sind oder schwersterkrankt sind und Sie da stehen und kommen irgendwie nicht weiter, das macht einen auch als jungen Mediziner dann oft hilflos und sprachlos. Und das muss man irgendwie wegdrücken.
Bürger: Gab es Erlebnisse, die auch über 20 Jahre danach bei Ihnen heute noch wieder hochkommen?
Lison: Ich würde sagen, nicht wieder hochkommen im Sinne eines Traumas, aber die mich immer wieder auch motivieren, bestimmte Dinge zu tun, ganz viele sind das. Erlebnisse guter Art, schlechter Art, natürlich Erlebnisse, wo wir Menschen verloren haben, aber ich erinnere mich auch an ein sehr schönes Erlebnis, nachdem wir also über Monate am Tag zwischen vier und fünf Tote bei uns im Hospital hatten, war eines Tages mal eine junge Frau plötzlich vor der Tür, hochschwanger, und die hat dann ihr Baby bei uns bekommen. Und da kann ich mich noch gut dran erinnern, dass das also durch das Hospital ging wie ein Ruck, die Laune war plötzlich wieder bei allen da, keiner hatte so richtig Ahnung von Geburtshilfe, aber wir haben das Kind zur Welt gebracht und die hat sogar einen deutschen Namen bekommen, die Kleine!
Bürger: 2009 sind Sie dann für vier Monate auch nach Afghanistan entsandt worden, haben das Bundeswehrkrankenhaus im deutschen Feldlager in Masar-i-Scharif geleitet. Wie sah Ihre Arbeit dort aus?
"Zu jeder Tages- und Nachtzeit für alle Eventualitäten bereit"
Lison: Das war eine ganz andere Arbeit, das war mehr ein organisatorischer Job. Aber da ich ja aktiv kurativer Mediziner bin, war das gar nicht so schlecht, weil ich dort mit den Ärzten dann vor Ort ganz kooperativ das Krankenhaus leiten konnte. Ich habe mich immer in die Arztbesprechungen gesetzt und meine Aufgabe war halt, dieses Krankenhaus so zu organisieren, dass wir zu jeder Tages- und Nachtzeit für alle Eventualitäten bereit waren, also was Material, Personal und die internen Abläufe anging.
Bürger: Lief das so ab, wie Sie sich das von vornherein vorgestellt hatten, oder wurden Sie vor Ort dann doch auch von den Ereignissen überrollt?
Lison: Ich habe es mir ganz anders vorgestellt, und zwar habe ich es mir viel schlechter vorgestellt. Ich kannte ja noch die Eindrücke aus Kambodscha und als wir da hinkamen, da gab es da quasi nichts, und als ich dann in das Krankenhaus nach Masar-i-Scharif kam, was ja schon aufgebaut war, als ich da diese Drehtür betreten hatte, da habe ich gedacht, ich bin in Deutschland. Es roch sogar deutsch und es sind also alle Hygieneregeln und alle technischen Regeln und alle Normen, die wir auch in Deutschland kennen, sind da in diesem Krankenhaus verwirklicht, eine technische Ausstattung. Und da wurden mir diese 20 Jahre noch mal klar, was da alles Positives passiert ist, nämlich dass hier eine Leistung erbracht wird, dass also deutsche Soldaten im Einsatz auch das Gefühl haben können, wenn mir was passiert, dann wird wirklich das Optimum getan, um das, was erlitten worden ist, möglichst zu lindern.
Bürger: Sie hatten, wenn man das so sagen kann, das Privileg, nicht selbst kämpfen zu müssen, und doch haben Sie ja viel Leid miterlebt. Hat Sie das nicht auch am Sinn solcher Auslandseinsätze manchmal zweifeln lassen und somit am Sinn Ihrer Arbeit?
Lison: Zunächst mal ist es so, dass ja alle Auslandseinsätze, die die Bundeswehr fährt, eine parlamentarische Legitimation haben, und das ist auch der Grund, warum ich überhaupt Soldat bin, weil das auf einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung liegt. Das heißt also, ich kann zunächst mal davon ausgehen, dass das, was da an Einsätzen befohlen wird, auch bestimmten Normen unterliegt. Ich als Sanitätsoffizier und wir als Sanitäter haben das natürlich auch noch mal ein Stück einfacher, weil, eigentlich ist es relativ egal, was in dem Moment da passiert. Wir haben einfach einen Job, und das ist Leiden lindern, Leben retten. Und das habe ich auch meinen Leuten im Krankenhaus gesagt: Wenn mal der eine oder andere Zweifel an der Sinnhaftigkeit im politischen Sinn dieses Einsatzes kommt oder wenn bestimmte Aufgaben, die man sich gestellt hat, nicht erfüllt werden können, dann haben wir als Sanitäter es immer leicht, denn wir sind da und wir geben den Soldaten auch ein gutes Gefühl, dass, wenn was passiert, wir auch dann wirklich einsatzbereit sind.
Bürger: Wir werden gleich noch ausführlicher über die Traumatisierung der Soldaten sprechen. Wie haben Sie selbst sich jeweils bei der Rückkehr gefühlt, wie haben sich die Parameter, die Wertigkeiten in Ihrem Leben verschoben?
"Binnen kurzer Zeit zu Krüppeln geworden"
Lison: Ich sage, besonders krass war das eigentlich bei der Rückkehr aus Kambodscha. Weil, da gab es diese Programme, wie wir sie heute haben, leider noch nicht, da sind wir nicht nachbereitet worden. Das war also schon ein sehr, sehr großer Schritt wieder zurück und das hat lange gebraucht und ich bin im Kopf lange nicht nach Hause gekommen. Ich habe eine andere Sprache gehabt, ich habe Patienten, weiß ich noch ganz genau, die über unerträgliche Schmerzen sprachen, verglichen mit Patienten, die wirklich unerträgliche Schmerzen hatten. Und habe das erst mal gar nicht so richtig wahrgenommen, dass ich wieder in der neuen Welt bin.
Als ich aus Afghanistan zurückkam, war das leichter. Aber was mich in Afghanistan eben weiter geleitet hat, waren auch Erlebnisse, die ich an ausländischen Soldaten erlebt habe, die also auf so eine Sprengfalle gefahren waren und die dann binnen kurzer Zeit zu Krüppeln geworden waren. Und ich habe auch erlebt, wie die Kameraden, das waren Schweden, tagelang bei uns im Krankenhaus genächtigt haben, also so eher kämpferisch wirkende Typen, die dann wie kleine Kinder geweint haben. Ich habe das Leid der Angehörigen mitbekommen, die dann angerufen haben und gefragt haben. Und das hat mich also immens beflügelt, das, was ich da schon längere Zeit vorhatte, dann voranzutreiben, nämlich auch in Deutschland was für verwundete Soldaten zu machen.
Bürger: Über die Schwierigkeiten von Bundeswehrsoldaten nach der Rückkehr von einem Auslandseinsatz sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Oberstarzt Andreas Lison, er leitet das Sportmedizinische Institut der Bundeswehr und behandelt jetzt verletzte Heimkehrer. Sie haben das Stichwort gegeben: Sie wollen etwas für die Rückkehrer tun. Was konkret können Sie tun und wo geraten Sie an Ihre Grenzen?
Lison: Sie müssen wissen, ich bin selber Sportler und jeder Mensch hat ja in seinem Leben Höhen und Tiefen und ganz viele Menschen berichten, dass man über den Sport da sehr viel erreichen kann. Und das ist das, was wir in Warendorf in engerer Kooperation mit der Sportschule der Bundeswehr machen. Die haben da Sportwissenschaftler und wir holen die Patienten also zu uns und machen so einen interdisziplinären Check-up, das heißt, da ist außer dem Orthopäden wie mir auch ein Internist, Allgemeinmediziner mit dabei. Und wir machen uns ein Bild von unserem Patienten und wir definieren dann gemeinsam mit den Sportwissenschaftlern ganz persönliche Ziele, die in drei, in sechs und zwölf Monaten erreicht werden sollen. Aber die sich ganz stark nach den individuellen Bedürfnissen unserer Patienten richten. Und alle, die zu uns kommen, haben ein Ziel: dass es aufwärts geht. Und da kann der Sport eben eine wichtige Rolle spielen und dann werden die in Trainingslehrgängen weitergebracht, aber stellen sich auch regelmäßig ambulant bei uns vor.
Bürger: Woran leiden diese Menschen am meisten, neben den körperlichen Versehrtheiten?
Lison: Sie sprechen da ein wichtiges Thema an. Ich habe gelernt, dass wir bei dem Thema Behinderung, bei dem Thema Einsatzschädigung nicht so sehr auf eine seelische Problematik fokussieren dürfen. Also, wir haben sehr schwer verletzte Soldaten, die also primär am Körper verletzt sind, die also sehr schwere seelische Belastungen dadurch haben. Aber wir haben auch umgekehrt Soldaten bei uns, die eben eine seelische Traumatisierung erlitten haben und die dadurch starke körperliche Symptome bekommen, zum Beispiel starkes Übergewicht, weil sie ganz inaktiv werden. Aber ich lerne immer wieder, dass die einen oder anderen Soldaten darüber berichten, dass eine gewisse Verbitterung in ihnen ist, dass sie also mit einem guten Gefühl in diesen Einsatz gegangen sind und dann passieren da Dinge, die sie eigentlich gar nicht beabsichtigt hatten, und dass es dann so schwer ist, wenn sie nach Hause kommen, das zu erklären, was da vorgegangen ist. Und ich kenne keinen einzigen Soldaten, der diesbezüglich einem Heldenepos unterliegt, sondern ganz im Gegenteil. Es geht den meisten eigentlich nur um eine gewisse Anteilnahme, nicht mal um Mitleid.
Bürger: Anteilnahme, Respekt wahrscheinlich, Wertschätzung. Welche Auswirkung hat das auf das Selbstbild eines Rückkehrers, wenn er all das nicht bekommt?
"Dieses Gefühl dann, allein gelassen zu sein"
Lison: Man fühlt sich alleine. Man fühlt sich alleinegelassen, auch innerhalb der Bundeswehr gab es da große Schwierigkeiten, es sind auch noch nicht alle Schwierigkeiten gelöst. Aber in dem Dschungel von Paragrafen sich zurechtzufinden, da durchgelotst zu werden, das ist sehr schwierig. Und dieses Gefühl dann, allein gelassen zu sein, das ist ein ganz schwieriger Punkt, um überhaupt diesen Krankheitsbewältigungsprozess zu schaffen, der in verschiedenen Phasen abläuft.
Bürger: Der Sohn einer Bekannten von mir, der war im Auslandseinsatz in Afghanistan und ich habe sie nach seiner Rückkehr gefragt, wie es ihm geht, was er erzählt hat. Und ihre Antwort war: Er will darüber nicht sprechen und ich will es im Grunde auch lieber gar nicht so genau wissen. – Ist das ein bekanntes Muster?
Lison: Das ist ein sehr bekanntes Muster und da muss man beide Seiten verstehen. Es ist so schwierig, durch Erzählungen die Atmosphäre, die dort herrscht, oder was da passiert ist, anderen Menschen näherzubringen, und wir wissen das ja alle selber. Wir beschäftigen uns alle sehr ungern mit so ganz unangenehmen Themen wie Verletzung und Tod. Und wenn man dann darüber berichtet, dann führt das häufig dazu, dass andere Menschen davon sich zurückziehen und Abstand nehmen. Und das ist gerade für die Verletzten und für die PTBS-Patienten auch eine ganz schwierige Sache. Weil die Zurückgelassenen und die Menschen, die hier sind, auch Schwierigkeiten im Umgang haben und gar nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Und da fehlt dann einfach die richtige Kommunikation.
Bürger: Und wie sollte die Gesellschaft reagieren?
Lison: Ich denke, dass das etwas ist, was wir in vielen Bereichen mit Opfern tun sollten, nämlich einfach zuhören. Und sich auch ein bisschen darauf einlassen. Und umgekehrt, finde ich, sollten Soldaten reagieren, indem sie auch ein bisschen mehr auf die Nichtsoldaten zugehen. Ich würde mir insgesamt wünschen, dass die Bundeswehr auch ein bisschen mehr Teil der Gesellschaft wird. Wir können uns nicht beklagen, ich glaube, dass das Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft gestiegen ist, das ist auch Afghanistan zu verdanken. Ich finde es gut, dass auch Menschen in Deutschland kritisch darüber nachdenken, warum wir Soldaten in den Auslandseinsatz schicken. Deswegen bin ich noch bei dieser Armee, weil ich weiß, dass das nicht einfach entschieden wird. Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir beide aufeinander zugehen sollten, und zum Beispiel so ein Moment wie jetzt ist ein Stück Öffentlichkeitsarbeit, der dazu beitragen kann.
Bürger: Andreas Lison, danke, dass Sie bei uns waren!
Lison: Ich danke Ihnen!
Bürger: Andreas Lison ist auch beteiligt an dem Buch "Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz", erschienen im Christoph Links Verlag. Das wird heute Abend vorgestellt, auch öffentlich darüber diskutiert am Gebäude des "Tagesspiegels" in Berlin, 19:00 Uhr am Askanischen Platz. Und in unserer "Debatte" um zehn vor vier setzen wir das Thema fort und fragen Sie dann: Bekommen deutsche Soldaten nach ihrer Rückkehr zu wenig Wertschätzung in unserer Gesellschaft?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.