Burkhart Klaußner: Vor dem Anfang
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018
176 Seiten, 18 Euro
Wie eine Fahrt auf dem Rad durch das zerstörte Berlin
Schauspieler, Sänger, Regisseur, Hörbuchsprecher und nun noch Buchautor Burghart Klaußner debütiert mit seiner Erzählung "Vor dem Anfang" und streift dabei seine eigene Biografie – verbleibt jedoch in einem knappen Stil.
"Anfang" meint hier, was in den Geschichtsbüchern "Stunde Null" genannt wird: das Ende von Hitler-Regime und Zweitem Weltkrieg. Das Davor, in dem Klaußners Erzählung spielt (früher hätte man von einer Novelle gesprochen), ist der späte April 1945 in Berlin. Zwei Männer, Fritz und Schultz, 36 und 42 Jahre alt, der eine ein Drückeberger, der andere ein Kriegsversehrter, sollen einen Auftrag erledigen und Geld von sich verdünnisierenden Einheiten am Flugplatz Johannisthal im Südosten Berlins ins Reichsluftfahrtministerium in die Mitte der Stadt bringen.
Ein Schattenreich zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht
Dieses Szenario ist geeignet, die Vorstellung von einer "Stunde Null" zu dementieren. "Vor dem Anfang" zeigt eine Welt im Übergang zwischen sinnloser Pflichterfüllung und ungewissen Fluchtvorbereitungen. Das wuselige Schattenreich zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht. Als die beiden nach ihrer Odyssee durch Bombenalarm und Straßenkontrollen schließlich im Ministerium ankommen, befindet es sich in hektischer Auflösung. Keiner wartet auf das Ende, jeder versucht, sich einen für sich günstigen Platz für den Anfang zu suchen.
"Die Welt existierte zuletzt nur noch in einem Umkreis von einigen Kilometern. Ein Kreis, der sich wie durch ein elastisches Band, je nach dem Stand der Informationen, ausdehnte oder zusammenzog", ist ein Hinweis aus dem Buch, der die Leserin unmittelbar in die prekäre Ordnung jener Tage hineinzieht. Obwohl die Amerikaner weiter Bombenangriffe fliegen und die Sowjets in den Außenbezirken von Berlin stehen, ist der Krieg noch nicht vorbei: Eine gewisse Spannung zieht "Vor dem Anfang" auch daraus, ob es Fritz und Schultz gelingen wird, die letzten Tage vor dem Frieden zu überleben.
"Die Welt existierte zuletzt nur noch in einem Umkreis von einigen Kilometern. Ein Kreis, der sich wie durch ein elastisches Band, je nach dem Stand der Informationen, ausdehnte oder zusammenzog", ist ein Hinweis aus dem Buch, der die Leserin unmittelbar in die prekäre Ordnung jener Tage hineinzieht. Obwohl die Amerikaner weiter Bombenangriffe fliegen und die Sowjets in den Außenbezirken von Berlin stehen, ist der Krieg noch nicht vorbei: Eine gewisse Spannung zieht "Vor dem Anfang" auch daraus, ob es Fritz und Schultz gelingen wird, die letzten Tage vor dem Frieden zu überleben.
Schicksal des eigenen Vaters als Inspiration
Klaußner erzählt aus der Perspektive gewöhnlicher Leute; inspiriert hat ihn wohl das Schicksal des Vaters. Das Buch ist eine Imagination darüber, wie der Alltag am Ende von Krieg und NS-Diktatur ausgesehen haben mag. Seine Protagonisten sind keine Helden und keine Verbrecher, auch wenn Fritz noch schuldig wird. Die Judenverfolgung, eine Andeutung auf den Holocaust, kommt spät vor in dieser Alltagsgeschichte: eine Erinnerung Fritzens an eine frühe Szene der Demütigung eines älteren Herren mit Davidstern. Dazu die Frage, wie man sich verhalten soll angesichts solcher eruptiver Gewalt oder besser: hätte verhalten sollen – die in diesem Abschnitt kurz Klaußners eigentliche Profession streift. Denn Fritz, der Gastwirtschaftsbetreiber, erinnert sich in dem Zusammenhang auch an einen Schauspieler, dem es egal war, unter wem er seine wechselnde Rollen spielt. Rollen sind nur Rollen.
Für größere Momente der Selbstreflektion lässt diese Stelle wie das ganze Buch aber keinen Raum, was auch an Klaußners knappem Stil liegt. "Vor dem Anfang" liest sich fix, weil der Autor kurz und schlicht formuliert. Meistens sicher und durchaus bildhaft, also so, dass man sich die Fahrt auf dem Rad durch das zerstörte Berlin vorstellen kann (und vermutlich nicht zufällig Klaußners Biografie streift, wenn Fritz ausgerechnet im Schiller-Theater, oder das, was von ihm übrig ist, Station macht – wo Klaußner dereinst ein Engagement hatte als junger Mann).
Hilflosigkeit bei der Wahl der Ausdrucksmittel
Zugleich rutscht Klaußners Sprache bisweilen ins Ungelenke: "Besonders die Jahre seit Beginn des Krieges waren von Rücksichtslosigkeit und Härte geprägt", ist so ein Satz, der in seiner Behördenhaftigkeit etwas über die Hilflosigkeit bei der Wahl der Ausdrucksmittel sagt. Die vielen Rückblenden, mit denen der Autor seinen aktionsgetriebenen Protagonisten charakterliche Tiefe verleihen will, wirken gegen Ende etwas schematisch und übertrieben; zumal sich diese Einschübe meist in Chroniken familiärer Verbindungen erschöpfen.
In der Wahl seines Sujets und dem lesefreundlichen Drive offenbart "Vor dem Anfang" dennoch einen frischeren Blick auf die deutsche Geschichte, als es die Historie in einem plump-nachgeborenen Gut-Böse-Muster zementierenden Filme tun, in denen der Schauspieler Klaußner bisweilen mitspielen muss.
In der Wahl seines Sujets und dem lesefreundlichen Drive offenbart "Vor dem Anfang" dennoch einen frischeren Blick auf die deutsche Geschichte, als es die Historie in einem plump-nachgeborenen Gut-Böse-Muster zementierenden Filme tun, in denen der Schauspieler Klaußner bisweilen mitspielen muss.