Militärputsch in Burkina Faso

34-jähriger Herrscher unter Druck

26:47 Minuten
Der neue Herrscher nach dem Staatsstreich in Burkina Faso, Ibrahim Traoré, aufgenommen am 02.10.2022 bei einer Pressekonferenz in Ouagadougou
Der neue Herrscher nach dem zweiten Staatsstreich in diesem Jahr: der 34-jährige Ibrahim Traoré. © picture alliance / AA / Stringer
Von Katrin Gänsler · 31.10.2022
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Burkina Faso ist in der Dauerkrise: wirtschaftlich, politisch, humanitär. Aus Angst vor Terror sind rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Seit dem letzten Staatsstreich hat Ibrahim Traoré die Macht. Auf ihn warten gewaltige Aufgaben.
Bilder aus Burkina Faso in Westafrika sind am 30. September 2022 um die Welt gegangen. Im Zentrum der Hauptstadt Ouagadougou haben sich auf dem Place de la Nation spontan hunderte, meist junge Männer versammelt. Schon Stunden zuvor am frühen Morgen waren in Kasernen erste Schüsse gefallen. Soldat:innen wie Zivilist:innen hatten genug von Militärherrscher Paul-Henri Damiba, der erst Ende Januar durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war.
Vor allem in der Grenzregion zu Mali und Niger kommt es seit Jahren zu Terroranschlägen, die seit diesem Jahr aber noch zugenommen haben. Rund zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht. In der Nacht zu Samstag verkündet die Junta schließlich im Staatsfernsehen RTB Damibas Absetzung und macht Ibrahim Traoré zum neuen Militärherrscher – mit folgenschweren Konsequenzen.  
Diesen Tag wird Moussa Sanfo nicht vergessen. Der Generalsekretär von MALIT, der afrikanischen Bewegung für die absolute Unabhängigkeit Afrikas, hat an den Protesten teilgenommen.
„Wir haben zum Widerstand aufgerufen. Derjenige, der an der Macht war, wollte diese gar nicht wieder hergeben. Deswegen mussten wir auf die Straße gehen und Druck machen. Wenn man an der Macht ist, dann ist man das für die Menschen. Und wenn man sich um diese nicht mehr kümmert, dann entscheiden sie auch, dass man gehen muss. Deswegen hat es überall im Land Proteste gegeben. Die haben seinen Sturz unterstützt. Dabei hatte er die Unterstützung von Frankreich.“

Die Wut auf Frankreich ist enorm

So wie Moussa Sanfo denken derzeit viele, vor allem junge Menschen im Land. Sanfo sitzt mit Freunden in einem Café im Grünen. Von der vielbefahrenen Straße mitten in Ouagadougou dringt der Lärm der Autos herüber. Auch Wochen nach dem zweiten Staatsstreich in diesem Jahr führen sie hitzige Debatten über die Zukunft von Burkina Faso.
Junge Männer in Burkina Faso, die gegen Militärherrscher Paul-Henri Damiba demonstrieren, aufgenommen am 30.09.2022 in Ouagadougou
Junge Männer demonstrierten Ende September 2022 gegen Militärherrscher Paul-Henri Damiba und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich in Ouagadougou.© picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Sophie Garcia
Eins wird deutlich: Die Wut auf Frankreich, das bis 1960 Kolonialmacht war, hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Erstmals in der Geschichte haben die Demonstrant:innen Anfang Oktober sogar die französische Botschaft sowie französische Kulturinstitute in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt im Land, angegriffen. Sie werden vorerst geschlossen bleiben.
Moussa Sanfo findet das angebracht. „Wir können die schlechte Politik Frankreichs nicht mehr akzeptieren. Sie tötet, um sich selbst zu bereichern. Wir sind doch Opfer des Terrors geworden, weil wir so viele Bodenschätze haben. Und dann hat Präsident Macron gerade auch noch gesagt, dass die Zukunft Europas in Afrika liegt. Was soll das? Gibt es dafür so viele Ermordete? Diesen Krieg gegen die Terroristen hat uns Europa aufgedrückt. Wir Afrikaner werden doch gar nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als Gegenstände.“

Russland ist der neue Hoffnungsträger

Kritik an einer zu großen Einflussnahme Frankreichs in der Region gibt es seit Jahrzehnten. Neu ist, dass sie im Sahel inzwischen überall mit dem erfolglosen Anti-Terrorkampf in Mali verknüpft wird. Ab 2013 waren im Rahmen der – mittlerweile beendeten – Antiterrormission Barkhane zeitgleich mehr als 5000 französische Soldat:innen im Land stationiert. Trotzdem hat sich der Terror bis nach Burkina Faso ausgebreitet. Mitunter wird sogar behauptet: Frankreich unterstütze Terrorist:innen, die dem Islamischen Staat und Al Quaida nahestehen. Es gibt zahlreiche Gerüchte. Auch den abgesetzten Paul-Henri Damiba sehen viele als Handlanger Frankreichs.
 Paul-Henri Damiba bei der Vereidigung zum Staatspräsidenten am 16. Februar 2022.
War nicht lange Staatspräsident: Paul-Henri Damiba bei der Vereidigung am 16. Februar 2022.© picture alliance / Xinhua News Agency
Während Frankreichs Reputation gegen null sinkt – wachsen die Hoffnungen, die auf Russland gesetzt werden. Zwar sind die russischen Flaggen, die während der Demonstrationen zu sehen waren, inzwischen aus dem Stadtbild verschwunden. In Gesprächen wird aber klar, dass der Blick auf das Land von Präsident Wladimir Putin deutlich abweicht von dem in der EU. Der Angriffskrieg auf die Ukraine ist höchst selten ein Thema. Dafür gibt es jahrzehntelange Verbindungen nach Russland: Tausende Burkinabé studierten in der einstigen Sowjetunion und wurden zu Ingenieur:innen, Ärzt:innen und Agrarexpert:innen ausgebildet.
Mit diesem Land möchte Moussa Sanfo eine Partnerschaft eingehen. „Wir brauchen einen ernsthaften Partner, der uns helfen kann. Russland kann ein Partner sein, der uns mit Waffen ausstattet. Wir wollen doch keinen neuen Meister. Wir brauchen aber eine Ausstattung für die Armee, um diese verworrene Situation zu beenden.“

Neue Militärgeneration strebt nach der Macht

Für diese Aufgabe gilt Hauptmann Ibrahim Traoré nun als großer Hoffnungsträger. Die Familie des neuen Militärpräsidenten stammt aus Bobo-Dioulasso. Traoré studierte Geologie, gehörte einer muslimischen Studierendenorganisation an und war zuletzt Kommandeur des Artillerie-Regiments von Kaya, rund 100 Kilometer nördlich von Ouagadougou. Dazu hatte ihn erst im März Vorgänger Damiba befördert. Damit verkörpert Traoré eine neue Generation innerhalb der burkinischen Armee, die über viele Jahre oft gespalten war. Markenzeichen seiner Auftritte ist ein beige-farbener Mundschutz, der sein halbes Gesicht bedeckt. Aus Traorés Privatleben ist bisher allerdings wenig bekannt geworden.
Nana Idrissa hat mit ihm in Ouagadougou dieselbe Schule besucht. „Einer meiner jüngeren Brüder war mit ihm in derselben Klasse. Ich hatte immer den Eindruck, dass er weiß, was er tut. Zwei- oder dreimal haben wir uns in der Schule unterhalten.“
Dass ausgerechnet Traoré neuer Militärherrscher wird, war für Nana Idrissa jedoch eine Überraschung. „Das kann doch nicht er sein, dachte ich. Ich sehe ihn nicht im Zentrum dieser Entwicklung. Sein bisheriger Platz war vermutlich besser für ihn, um korrekt zu arbeiten. Er ist sehr integer und wird seine Aufgaben erledigen. Aber als Präsident nach einem Staatsstreich sehe ich ihn nicht.“

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Bisher hat er auf viele Menschen einen guten Eindruck gemacht. Er wirkt eher unauffällig, aber zugänglich und intelligent. Anfangs wurde spekuliert, ob er als junger Militär eher Marionette ist und andere im Hintergrund die Fäden ziehen. Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Seine Wortwahl ist sorgfältig überlegt. Er hat sich bisher nicht klar auf einer Seite – klar gegen Frankreich oder pro-russisch – positioniert und somit die andere verärgert.
Gleichzeitig wird Traoré bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte sehr deutlich: „Hier muss viel schneller etwas passieren. In diesem Land ist alles dringend. Alle müssen zügiger arbeiten und sich von unbrauchbaren Verwaltungsstrukturen verabschieden. Dinge müssen sich schnell ändern, im Bereich der Sicherheit, der Verteidigung, der Gesundheit, auf sozialer Ebene, bei der Infrastruktur. Auch in Ministerien haben wir Mitarbeiter, die ihre Aufgaben nicht wahrnehmen, sondern sogar noch etwas Zusätzliches erwarten. Lasst uns diese Menschen ausfindig machen.“

Viele sind mit ihrer Geduld am Ende

Ibrahim Traoré steht allerdings auch massiv unter Druck: 40 Prozent des Landes wird nicht mehr vom Staat kontrolliert. Mehr als 4000 Schulen bleiben aus Angst vor Terrorangriffen geschlossen. Wenn er nicht zügig liefert, könnte schon bald ein nächster Coup d‘Etat folgen. So viel Geduld wie mit Paul-Henri Damiba – er putschte im Januar gegen den gewählten Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré – haben viele Menschen nicht mehr.
Aus einem Lautsprecher dröhnt Werbung für ein neues, lokal hergestelltes Getränk. Energie Sankara heißt die gelbe Flüssigkeit. Thomas Sankara, auch gern als Afrikas Che Guevara bezeichnet, ist ein Nationalheld in Burkina Faso. Er kritisierte Neokolonialismus und Wirtschaftsliberalismus scharf. 1987 wurde der einstige Präsident – auch er kam durch einen Staatsstreich an die Macht – ermordet. Ein Gericht befand seinen Nachfolger Blaise Compaoré im April für schuldig, an dem Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein und verurteilte ihn in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.
Menschen gedenken Thomas Sankara in Burkina Faso an dem Ort, an dem er ermordet wurde
Gedenken an einen einstigen, ermordeten Präsidenten: Thomas Sankara, auch gern als Afrikas Che Guevara bezeichnet, ist ein Nationalheld in Burkina Faso.© picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Sophie Garcia
Schon jetzt heißt es in Burkina Faso: Traoré könnte der nächste Sankara werden. Soziologe Alain Siasso ist Forschungsdirektor der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Künste und Literatur in Ouagadougou.
„Es stimmt: Beide sind im Alter von 34 Jahren an die Macht gekommen, allerdings jeweils unter ganz anderen Vorbindungen. Die ideologische Entwicklung hat bei Sankara Jahre vor seiner Zeit als Präsident begonnen. In dieser Phase entstanden marxistische und linke Bewegungen, die auch eine Verbindung zum Militär hatten. Das politische System entwickelte sich. Der Staatsstreich, den Sankara ausgeführt hat, hatte also ideologische Gründe, dieses Mal hat die Sicherheitslage dazu geführt“, sagt er.

Thomas Sankara hat bis heute Vorbildcharakter

Gleichwohl habe Thomas Sankara bis heute Vorbildcharakter. Seine Ideale seien heute ebenso gültig wie vor mehr als 35 Jahren.
„Als Sankara an die Macht kam, war Ibrahim Traoré noch gar nicht geboren. Trotzdem kann er sich von Sankara inspirieren lassen, um uns aus dieser Krise zu führen. Wir hoffen, dass sich Dinge ändern, wenn ihm ein echter Bruch mit den alten Strukturen gelingt. Das möchte auch die Bevölkerung. Die Sicherheitslage muss sich verbessern, weil die Bevölkerung enorm leidet“, ergänzt Alain Siasso.
Dabei hat Burkina Faso bereits eine ganze Reihe an Brüchen erlebt. Der Staatsstreich vom 30. September ist der Zehnte seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960. Dabei gab es sogar einen Moment der Hoffnung, der in der ganzen Region als ein Signal des Aufbruchs wahrgenommen wurde. Vor acht Jahren, am 31. Oktober 2014 wurde der Langzeitherrscher Blaise Compaoré friedlich gestürzt. Nach mehr als 27 Jahren an der Macht brach sein Regime zusammen.
Damals rief die Bewegung Balai Citoyen – Bürgerbesen – zu friedlichen Protesten auf. Monatelang hatte sie friedlich Druck ausgeübt, Demokratie eingefordert für das Land. Obwohl die Macht aktuell wieder beim Militär liegt, wurden einige Ziele auch erreicht, meint Nationalkoordinator der Balai Citoyen, Zinaba Rasmane.
„Als Bewegung der Zivilgesellschaft und junge Burkinabé wollten wir den Wechsel. Der ist uns erfolgreich gelungen. 2015 ist Marc Roch Christian Kaboré zum Präsidenten gewählt worden. Immerhin hat er eine ganze Amtszeit absolviert. Die zweite konnte er allerdings nicht mehr beenden.“

Die Lage der Flüchtlinge ist extrem prekär

Zwei Staatsstreiche in knapp neun Monaten: Das lässt sich nicht schönreden. Zinaba Rasmane sieht trotzdem Gründe fürs Weitermachen. „Möglicherweise war die Basis einfach nicht solide genug. Ein Wandel reicht nicht. Jeder, gleich ob Bürger oder Politiker, muss sich aktiv beteiligen. Die Bevölkerung erwartet schließlich auch von uns, dass Demokratie mit guter Regierungsführung einhergeht und die Interessen aller vertreten werden.“
Auf dem Hof der Privatschule Wend-Lamita, am Stadtrand von Ouagadougou: Dutzende Frauen und Männer stehen unter großen Bäumen im Schatten, warten darauf, dass die 50 Kilo schweren Säcke mit Getreide endlich verteilt werden. Organisiert hat das Adama Sawadogo, selbst ein Binnenflüchtling aus der Nähe von Djibo im Nordwesten des Landes.
„Wir haben Spenden aus Polen erhalten und davon Getreide gekauft. Damit können wir die Binnenflüchtlinge unterstützen. Deshalb sind heute Morgen viele Menschen hergekommen, die aus dem Ort Pobé-Mengao stammen.“
Pobé-Mengao liegt in der Nähe von Djibo, wo es in den vergangenen Wochen schwere Angriffe gegeben hat. Alleine Anfang September starben bei dem Anschlag auf einen Konvoi mehr als 35 Menschen. Der Angriff gilt mit als ein Grund für den Staatsstreich vom 30. September. 

Die Toten konnten nicht mal begraben werden

Auch Safiatou Konfé steht hier für einen Sack Mais an. Sie ist schon im vergangenen Jahr mit 13 anderen Menschen nach Ouagadougou geflüchtet. „Die Flucht hierher war schwierig. Alleine bis nach Bourzanga mussten wir etwa 40 Kilometer zu Fuß gehen. Von dort aus sind wir weiter bis nach Ouagadougou gefahren. Angekommen sind wir mit leeren Händen. Nicht einmal die Papiere unserer Kinder konnten wir mitnehmen.“
Besonders ein Bild geht der großen, schmächtigen Frau nicht aus dem Kopf. „Es hat nicht nur Angriffe gegeben. Ich habe Leichen gesehen. Sie haben viele in ihren Häusern umgebracht und dort liegen lassen: Frauen, Kinder, Männer. Im Pobé-Mengao haben wir sechs oder sieben Tote zurückgelassen, die wir nicht beerdigen konnten.“
Auch Safiatou Konfé beschäftigt der Staatsstreich und die Rolle des neuen Militärpräsidenten Traoré, sie redet viel darüber mit anderen Vertriebenen. Für sie ist eine Frage zentral: Werden sie zurück nach Pobé-Mengao gehen können? Die Antwort fällt ernüchternd aus. „Wir hoffen natürlich, dass das das Ende dieser Krise ist. Aber einfach ist das nicht. Wir hatten ja erst einen Staatsstreich vor acht Monaten. Was hat das alles zu bedeuten? Wir wünschen uns Gesundheit, Sicherheit. Wir wissen aber nicht, wie das alles enden soll.“

Das Terrorproblem muss gelöst werden

Die Vertriebenen beladen Mopeds und motorisierte Dreiräder – Tricycles – mit den Nahrungsmitteln. Es ist unklar, wann die nächste Unterstützung kommt. Dabei hat sich die Lage in den vergangenen Monaten weiter verschärft, sagt Adama Sawadogo.
„Vor dem Staatsstreich sind vor allem die Menschen aus den Dörfern geflohen, nach Ouagadougou, aber auch in Orte wie Kongoussi und Bourzanga. Doch auch die sind nicht mehr sicher, weshalb jetzt so viele in Ouagadougou ankommen.“
Das Terrorproblem lösen muss der Staat allerdings selbst, findet Adama Sawadogo. Russland, Frankreich, egal, welches Land, das ist doch eins. Mit Russland könnte schlimmer als Frankreich werden, auch wenn viele jetzt die Zusammenarbeit mit Russland wollen. Für uns ist es besser, wenn wir selbst um unsere Freiheit kämpfen.“
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