Butterwegge kritisiert Spahn

"Na ja, was heißt denn Hungern?"

Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, steht vor einer mit Graffitis besprühten Mauer
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher: "Als Hartz IV am 1. Januar 2005 in Kraft trat, da schossen die Tafeln wie Pilze aus dem Boden." © imago stock&people
Christoph Butterwegge im Gespräch mit Dieter Kassel |
Karitative Initiativen übernehmen in Deutschland Aufgaben, die eigentlich im Verantwortungsbereich des Sozialstaates liegen, meint der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Er antwortet auf den CDU-Politiker Jens Spahn und spricht sich für eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze aus.
Die Debatte um die Rolle der 934 Tafeln bei der Armutsbekämpfung in Deutschland kommt nicht zur Ruhe. "Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln in Deutschland nicht gäbe. Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt", hatte dazu der designierte Gesundheitsminister und CDU-Politker Jens Spahn am Wochenede in einem Interview gesagt.
"Na ja, was heißt denn Hungern?", antwortet darauf der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge im Deutschlandfunk Kultur. Er vertritt die Ansicht, dass es in einem reichen Land wie Deutschland nicht darum gehen dürfe, ob jemand hungere, sondern ob der Sozialstaat seiner Verantwortung gerecht werde und jedem Bürger ein "würdiges Leben" ermögliche.
"Und das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Hartz-IV-Urteil auch so festgestellt: Es hat von einem menschenwürdigen – ich würde es ein soziokulturelles nennen – Existenzminimum gesprochen", so Butterwegge.
Der Regelsatz der Hartz-IV-Leistungen liege derzeit bei 416 Euro im Monat, das bedeute pro Tag 4,77 Euro für Essen und alkoholfreie Getränke, so Butterwegge:
"Das jetzt hinzustellen, als sei das ein gutes Leben, das finde ich schon empörend."

Butterwegge: Sozialstaat kommt seinen Verpflichtungen nicht nach

Politiker wie Jens Spahn Spahn hätten dafür gesorgt, dass sich der Sozialstaat immer mehr aus seiner Verantwortung zurückgezogen habe und karitative Initiativen "mehr und mehr als Ersatz des Sozialstaates" aufgetreten seien, so Butterwegge. Nach Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze zum 1. Januar 2005 seien die Tafeln "wie Pilze aus dem Boden" geschossen.
Wer die Tafeln überflüssig machen wolle, müsse die Regelsätze und den Mindestlohn anheben, meinte Butterwegge. Von 8,84 Euro Mindestlohn können niemand ohne Armiutsbedrohung - und erst recht nicht ohne Altersarmut - leben:
"Die Lebensmitteltafeln sind ursprünglich entstanden in den 90er-Jahren, um Obdachlose zu verpflegen. Nun haben wir inzwischen 860.000 Wohnungslose und 59.000 Obdachlose in Deutschland. Wir haben aber eben auch immer noch sechs Millionen Hartz-IV-Betroffene."
(huc)
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