Bypass, Stent oder Medikamente

Von Susanne Nessler |
Verengungen der Blutgefäße können auf verschiedenste Weise behandelt werden: Durch Medikamente, durch das Implantat eines Stents - das ist ein kleines Drahtröhrchen - oder durch eine Bypass-Operation. In jedem Fall sollte genau abgewogen werden, welche Behandlung am sinnvollsten ist.
Sie gehört zu den häufigsten medizinischen Eingriffen in Deutschland: Die Implantation eines Stents. Das ist ein kleines Drahtröhrchen, das in ein zu enges Herzkranzgefäss geschoben wird. Das Verfahren ist beliebt, weil es ambulant und ohne Narkose durchgeführt werden kann. Die Alternative ist eine Bypass-Operation. Doch das bedeutet auch: Vollnarkose und zehn Tage Krankenhaus. Daher ist es nicht so sehr verwunderlich, dass Kardiologen in Deutschland viele Stents in die Engstellen der Herzen ihrer Patienten schieben.

Wie sinnvoll das tatsächlich ist und ob andere Maßnahmen nicht besser wären, darüber diskutieren Mediziner derzeit in Mannheim auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.

"Was der Patient oft denkt, dass er länger lebt oder keinen Herzinfarkt mehr kriegen kann: Das stimmt nicht. Die Patienten denken immer: 'Herzerkrankung ist lebensgefährlich. Ich krieg einen Stent und leb dadurch länger.' Das stimmt nicht. Meist verbessern wir die Belastbarkeit der Leute."

Wolfgang Bocksch ist Kardiologe, sein Spezialgebiet die Kathedertechnik. Täglich schiebt er mehrmals einen langen dünnen Draht von der Beinvene bis ans Herz seiner Patienten. Einige Meter Strecke legt er so im Körper der Patienten zurück. Dabei verfolgt er am Bildschirm, wie sich der Draht durch die Blutbahn bis zum Herzen vorschiebt. Wenn es nicht mehr weiter geht, hat der Arzt in der Regel sein Ziel erreicht: Eine Engstelle in den Herzkrankgefäßen. Jetzt muss er sich entscheiden, welche Therapie für den Patienten am sinnvollsten ist. Ein Erweiterung des Blutgefäßes mit einem Art Ballon, der Einsatz eines Metallröhrchen - einem sogenannten Stent - oder die Überweisung zum Chirurgen für eine Bypass-Operation.
"Der Trend geht eindeutig zur Kathederintervention, weil: Es ist der minimal invasivste Eingriff, den wir bisher haben - keine Vollnarkose, kurzer Krankenhausaufenthalt. Und das ist attraktiv für die Patienten. Wenn es technisch geht, versuchen wir heute einen Stent-Implantation zu machen."

Bei den Stents hat der Kardiologe die Qual der Wahl. Zahlreiche Modelle mit verschiedenen Eigenschaften stehen ihm zur Verfügung: schlichte Metallröhrchen, die einfach in die Blutbahn zum Herzen gesetzt werden, oder Röhrchen, die mit speziellen Medikamenten beschichtet sind, um das erneute Verschließen der Blutbahn zu verhindern. Diese modernen Stents werden bevorzugt verwendet, sind aber auch erheblich teurer. Deshalb haben kürzlich Gesundheitsexperten den Nutzen dieses Verfahrens genauer untersucht.

"Uns hat interessiert, ob sich die Stent-Typen in ihrer Wirksamkeit unterscheiden. Aber die bisherigen Analysen unserer Studien zeigen, dass sie bezüglich Überlebenszeitverlängerung und Lebensqualität der Patienten langfristig keinen Unterschied haben."

Stefan Willich, Leiter des Instituts Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité in Berlin. Häufig, so das Fazit der aktuellen Studie, ist es sogar besser, wenn der Patient eine Bypass-Operation bekommt,

" ... die nach wie vor unter Überlebensprämissen gut abschneidet. Also wenn sie eine Mehrgefäßerkrankung haben oder wenn das Hauptgefäß des Herzens betroffen ist, dann schneiden sie mit einer Bypass-Operation besser ab, was das langfristige Überleben betrifft."

Die Alternative Bypass-Operation heißt: An den verengten Herzkranzgefäßen wird quasi eine Umleitung gebaut. Dazu werden Venen aus dem Bein des Patienten entnommen und an den Herzkranzgefäßen befestigt. Doch eine Bypass-Operation heißt auch: Vollnarkose und zehn Tage Krankenhaus - weshalb Arzt und Patienten meist die Stents bevorzugen. Was aber, wenn gleich mehrere Engstellen zu umgehen sind?

"Technisch geht das unbegrenzt. Sinn macht es, dass man pro Engstelle nicht mehr als zwei bis drei Stents nimmt. Und wenn man eben sieben Engstellen hat, dann geht das bis 20 Stents, wobei das ein absoluter Ausnahmefall ist. Der Kardiologe kann sich da schon beherrschen. Wenn ich glaube, dieser Patient braucht 20 Stents, um erfolgreich behandelt zu werden, dann schicke ich ihn doch lieber zur Herzchirurgie, weil das nicht effektiv ist."

Dr. Bocksch hat soeben bei einer Patientin entschieden, keinen Stent einzusetzen. Er kommt mit dem Katheder nicht über das verengte Herzkranzgefäß. Die 80-jahrige Frau ist körperlich aber fit und gesundheitlich in einer sehr guten Verfassung, sodass Medikamente für sie vollkommen ausreichend sind.

Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung ist hauptsächlich vom Gesundheitszustand des Patienten abhängig. Würde man auf diesen Aspekt bereits im Vorfeld mehr Wert legen, könnte auf zahlreiche Eingriffe und Untersuchungen in der Kardiologie verzichtet werden, betont Stefan Willich.

"Wir haben viele Möglichkeiten im Bereich der medizinischen Versorgung, aber wir tun viel zu wenig im Bereich der Prävention. Und die Kardiologie ist ein gutes Beispiel: Man kann im Grunde genommen mit entsprechender Lebensstilgestaltung viele Herzerkrankungen schon im Vorfeld verhindern."

Nicht Rauchen, sich regelmäßig bewegen und sich gesund ernähren - es sind die bekannten Klassiker. Aber genau sie könnten über die Hälfte aller Herzerkrankungen verhindern, wenn mehr in die Vorsorge investiert würde.
"Wir geben 97 Prozent für Akut-Medizin aus und nur drei Prozent für Prävention. Und das ist kein gesundes Gleichgewicht."