Wenn wir den Namen Julius Caesar hören, haben wir sofort Assoziationen – ein Bild, berühmte Zitate.
Die Würfel sind gefallen!
Ich kam, sah und siegte!
Auch du, mein Sohn!
Caesar am Rubikon, Caesar als siegreicher Feldherr nach der Schlacht und Caesar als Opfer des tödlichen Attentats an den Iden des März. Die Zitate beziehen sich auf ikonische Szenen aus dem Leben Caesars. Was aber haben unsere Assoziationen und Bilder im Kopf mit dem realen römischen Staatsmann zu tun?
Ist das Caesar, wie wir ihn aus Asterix-Heften kennen – hager, mit scharfkantigem Gesicht, weißem Haar und immer mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf? Und was für eine Person verbirgt sich hinter diesem Caesar? Ein genialer Militärstratege? Ein brutaler Feldherr? Ein enttäuschter Ziehvater?
Antworten suchen der Latinist Matthias Grandl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“ der Freien Universität Berlin, und der Archäologe Martin Maischberger – Amtierender Direktor der Antikensammlung im Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel.
Wie erfährt man etwas über Caesars Aussehen?
Während Matthias Grandl Caesar aus philologischer Perspektive betrachtet, ist Martin Maischbergers Blick auf eine antike Büste gerichtet: den sogenannten „Grünen Caesar“. Ist dieses berühmte Porträt der Antikensammlung im Alten Museum in Berlin tatsächlich ein Abbild Caesars? Wie erfährt man etwas über sein Aussehen?
Die wohl berühmteste und zugleich ergiebigste Quelle, um zum Beispiel etwas über Caesars äußere Erscheinung zu erfahren, sind die Kaiserviten des römischen Autors Sueton. Diese antike Sammlung von Lebensgeschichten römischer Kaiser ist etwa 160 Jahre nach Caesars Tod entstanden – also um das Jahr 120 n. Chr. Die erste darin enthaltene Biografie zeichnet das Leben von Julius Caesar nach.
Es heißt, Caesar sei groß gewesen, habe einen hellen Teint, zarte Arme und Beine, ein ziemlich rundes Gesicht und schwarze, lebhafte Augen gehabt. Was seine Körperpflege betraf, war er ziemlich pingelig. So stutzte und schnitt er seine Haare nicht nur sorgfältig, sondern zupfte sie sich auch aus, wie einige bekrittelten. Ganz besonders zu schaffen machte ihm dabei seine unschöne Glatze.
Welche dieser Eigenschaften sind nun beim „Grünen Caesar“ erkennbar, der seinen Namen der Farbe des edlen, besonders harten ägyptischen Vulkan-Gesteins verdankt, aus dem er gefertigt wurde.
„Sehr pointiert hat der uns unbekannte Bildhauer die Bereiche im Gesicht modelliert, die dann die Alterszüge einerseits und die Tatkraft andererseits des Dargestellten verkörpern sollen. Beim Mund haben wir sehr schmale, aufeinandergepresste Lippen vor uns. Also da ist keine Lockerheit, keine Entspannung zu sehen, sondern tatsächlich eher Anspannung, die auch zu Recht, denke ich, gedeutet wurde als Ausdruck eines tatkräftigen, auch energischen, vielleicht zuweilen auch brutalen Mannes, der tatsächlich ja in seinen Kriegszügen unter Beweis gestellt hat, dass er zuweilen nicht zimperlich umging mit den Besiegten“, sagt Martin Maischberger.
Friedrich der Große hatte ihn als Cicero gekauft
Dennoch ist diese Darstellung Caesars wenig individuell, denn sie zeigt Merkmale eines sogenannten Zeitgesichts.
Darunter sind allgemeingültige Gesichtsmerkmale zu verstehen, die einer Person beispielsweise Macht und Würde verleihen und die sich in den Darstellungen vieler großer Politiker einer Zeit wiederfinden lassen.
So hatte Preußenkönig Friedrich II. die Büste einst im Glauben gekauft, sie bilde einen Philosophen ab:
„Friedrich der Große hat ihn ja als Cicero gekauft und als Cicero aufgestellt und fand das natürlich dann in seiner Bibliothek besonders passend", sagt Martin Maischberger.
Nach dem Abgleich der Büste mit historischen Texten, aber auch mit Reliefs auf Münzen, ist die Porträtforschung überzeugt, dass es sich beim „Grünen Caesar“ tatsächlich um ein Abbild Julius Caesars handelt.
„Eine der bekanntesten Anekdoten ist die mit dem Ausspruch Caesars „veni, vidi, vici – kam, sah und siegte“. Also wir stellen uns Caesar vor, wie er irgendwo ankommt, sich einen schnellen Überblick verschafft über eine Situation in der Schlacht und dann sofort gewinnt", sagt Matthias Grandl.
Was bedeutet einer seiner berühmtesten Sprüche?
Ein Blick in die Schilderungen dieser Szene bei dem griechischen Geschichtsschreiber Plutarch lehrt uns aber – so der Latinist Matthias Grandl – dass Julius Caesar diesen Spruch vermutlich gar nicht deklamierte. Vielmehr berichtete er in einem Brief an seinen Freund Martius von seinem fulminanten Sieg mit nur diesen drei Worten: „Kam, sah, siegte.“ Matthias Grandl untersucht die in verschiedenen literarischen Quellen überlieferten Caesar-Anekdoten.
„Besonders interessant ist, dass es zu Caesar einen festen Kanon von kleinen Geschichten, von Anekdoten gibt, die eben mehr als 2000 Jahre, überstanden haben, ja, die immer wieder auftauchen – sei es in modernen Caesar-Biografien, sei es in Adaptionen des Caesar-Stoffs im 21., im 20., im 19. Jahrhundert – und dass diese Anekdoten, gerade weil sie einen festen Kanon bilden, extrem wichtig sind, was das Wissen über Caesar betrifft.“
Die Bezeichnung „Anekdote“ für eine kurze pointierte Geschichte geht auf den griechischen Geschichtsschreiber Prokop zurück, der im 6. Jahrhundert eine Schmähschrift über Kaiser Justinian verfasste – tatsächlich aber seien Anekdoten eigentlich schon immer da gewesen, sagt Melanie Möller, Professorin für Lateinische Philologie an der Freien Universität Berlin:
„Denn von Beginn an haben wir natürlich das Bedürfnis, Menschen als Akteure in den Mittelpunkt zu stellen von Geschichte. Das hat sich eigentlich auch bis heute nicht geändert, obwohl das häufig behauptet wird. Nun ist es in der Antike zunächst so, dass Biografisches und Historisches dann auch als Gattung sehr eng geführt werden.“
Die Aussagekraft von Anekdoten
Schon der griechische Geschichtsschreiber Plutarch glaubte an die Aussagekraft von Anekdoten. Friedrich Nietzsche meinte im 19. Jahrhundert gar, mit drei Anekdoten ließen sich ganze Denksysteme skizzieren. Melanie Möller sieht die Anekdote also in einem komplexen Zusammenspiel mit der allgemeinen Geschichtsschreibung: Darin setze die Anekdote bestimmte Akzente, lenke den Blick auf relevante Details abseits der großen Eroberungs- oder Schlachtenerzählungen. Anekdoten müsse man …
„... immer wieder ins Verhältnis zum großen Ganzen setzen. Muss man ja letztlich auch, denn die Kleinen werden ja auch nicht sichtbar, wenn es nicht diesen großen Hintergrund gäbe, und umgekehrt. Insofern ist es vielleicht die ja tatsächlich vernünftigere und logischere, argumentativ sicherere Variante, sich gleich zum Stellenwert von Anekdoten zu bekennen – als Gegenkonzept zu Geschichte nicht so sehr, sondern als Komplementärstück, würde ich sagen.“
„Ein besonderes Potenzial der Anekdote ist, Dinge einfach zu zeigen und nicht unbedingt ausführlich erklären zu müssen“, sagt der Latinist Matthias Grandl und verweist als Beispiel auf eine Stelle in Suetons Caesar-Biografie: Darin geht es um Caesars Reaktion auf die Weissagung des Sehers Spurinna. Der hatte Caesar vorhergesagt:
..., dass er sich vor den nächsten 30 Tagen, als wären sie fatal für ihn, in acht nehmen sollte. Der letzte Tag waren die Iden des März. Als sich die beiden am besagten Tag früh morgens zufällig im Haus des Calvinius Domitius aus dienstlichen Gründen begegneten, da sagte Caesar zu Spurinna: „Schau, die Iden des März sind längst da.“ Darauf Spurinna zu Caesar: „Schau, sie sind aber noch nicht vorbei!
Der Seher sollte recht behalten. Noch am gleichen Tag ereilte Caesar der Tod.
„Sueton muss an dieser Stelle nicht sagen, dass sein Caesar die Religion vernachlässigt, dass er arrogant ist. Er tut das indirekt über die Anekdoten, weil, wie wir wissen, sie mehr zeigt, als sie sagt", sagt Matthias Grandl.
Die antiken Anekdoten zeigen einen Caesar, dessen Charaktermerkmale geradezu ikonisch wurden – im Wandern von Autor zu Autor, von Medium zu Medium, von Shakespeares Caesar-Drama bis zu den heutigen Caesar-Filmen, Serien und Comics. Mit jedem Transfer, jeder Neukontextualisierung verändert sich dabei auch das Wissen selbst. Es härtet aus, wird sprichwörtlich, löst sich von der Person Caesars ab, erfährt Umdeutungen und moderne Missinterpretationen. Und – am Ende basiert vielleicht der Kern der Geschichte gar auf einem bloßen Gerücht.
Wie verwoben sind Gerüchte und Fakten, historische Realitäten, miteinander? Die Reflexion über solche Fragen mache die Anekdotenforschung über die klassische Philologie hinaus hoch aktuell, sagt Melanie Möller:
„Aber man muss eben so eine gewisse Bereitschaft zum Spiel, zur Niederlage, zur Offenheit mitbringen, wenn man sich historischen Ereignissen, Persönlichkeiten der Vergangenheit, aber durchaus auch der Gegenwart, nähert.“
Was auch immer Anekdoten über historische Persönlichkeiten wirklich aussagen – sie entwickeln zuweilen ein wundersames Eigenleben. So wird ein berühmter Ausspruch Caesars von CSU-Chef Markus Söder nach seiner Niederlage im Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union 2021 gegen den eigenen Gesichtsverlust eingesetzt:
„Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Würfel sind gefallen. Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“