Heraus aus der Sprachlosigkeit
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Viele geflüchtete Frauen haben keine Chance, Deutsch zu lernen oder sich mit anderen Frauen auszutauschen. Sie verbringen die meiste Zeit zu Hause bei den Kindern und kommen in Deutschland nicht wirklich an. Ein Projekt in Hannover versucht, dies zu durchbrechen.
Donnerstagvormittag im Kulturtreff im Stadtteil Hainholz in Hannover. Erzählcafé-Zeit. Elf Frauen und fünf Kinder sind gekommen. Anders, als der Titel vermuten lässt, gibt es hier nichts zu essen und nur Wasser, Kaffee oder Tee zu trinken. Aber viel zu erzählen:
Das Thema ist heute: Wie sieht dein Tag aus?Was machst du jeden Tag?Yildiz Demirer ist Integrationsmanagerin für die Stadt Hannover. Neben ihr sitzt Farrat, eine junge Mutter.
– "Meine Kinder essen und kochen und mein Mann arbeitet, Essen zusammen..."
– "Dein Mann arbeitet und wenn er nach Hause kommt..."
– "Mein Mann arbeitet und wenn er nach Hause kommt..."
– "Wiederholst Du bitte?"
– "...essen wir zusammen."
– "Sehr gut
Farrat wirkt schüchtern, zwei weitere Kinder begleiten sie. Ein Baby trägt sie auf dem Arm:
"Wie heißt das Baby? Wie heißt das Baby?"
Mohammed ist erst 40 Tage alt, am 10. Mai ist er geboren.
Farrats Geschichte ist typisch: viele geflüchtete Frauen arbeiten ausschließlich für ihre Familien zuhause. Sie haben kaum Kontakte außerhalb der Familie. Die meisten der, die heute gekommen sind, können kaum Deutsch, obwohl sie zum Teil schon drei oder fünf Jahre hier leben.
– "Welche Sprache sprichst du? Kurdisch?"
– "Englisch-Kurdisch."
– "Arabisch, Deutsch."
Herzlich, bestimmt - und alle beteiligen
Übersetzt wird hier kreuz und quer über den Tisch. Wichtig ist, dass die Frauen überhaupt sprechen – und auch wieder lachen. Sie stammen aus den typischen Kriegs- und Krisenregionen der Welt, aus Syrien, Iran, Irak, Ghana, dem Libanon oder Afghanistan. Die Sozialarbeiterin Demirer, selbst vor 30 Jahren aus der Türkei geflohen, trifft den richtigen Ton. Sie ist herzlich, aber bestimmt und schafft es, dass alle sich beteiligen. Einige der Frauen sind schon länger dabei und selbst Gruppenleiterin geworden. Wie Mintra, Giovama und Farah.
"Ich bringe meine Kinder zu Kindergarten und Schule, und danach um 8.30 Uhr ich gehe zum Deutschkurs."
"Ich arbeite hier als Stadtteilmutter in Hainholz und jeden Tag in Familienzentrm acht bis 17 Uhr und jeden Donnerstag ich komme und mache mit Eltern beraten."
"Ich mache Essen für meine Kinder und zum Kindergarten gehen."
Farah und Mintra organisieren bereits ein eigenes Café in einem anderen Stadtviertel.
"Wir lernen zusammen, wir gehen Bowlen, einmal zum Fahrradfahren und Eis essen..."
Mehr als nur reine Unterhaltung
Was nach reiner Unterhaltung und Freizeit klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Hier sprechen Frauen und Mütter, die sonst kaum sprechen und in ihren Unterkünften oder Wohnungen oft sehr zurückgezogen leben, oft mit mehreren Kindern. Frauen wie Mercy sind darunter, die 39-jährige Ghanaerin, deren Ausbildung als Friseurin hier nicht anerkannt wird und die als Teamleitung nach Jahren wieder erstes eigenes Geld verdient.
Manche scheuen die Öffentlichkeit aus Angst, andere aus Scham. Analphabetinnen und Zwangsverheiratete sind darunter, die nur langsam Vertrauen schöpfen. Aber Demirer und ihre Kollegin Doris Elver wollen gerade diese Frauen erreichen.
"Wir erleben leider, dass sie sich kaum oder nicht akzeptiert fühlen. Ich höre dann, dass sie sich nicht trauen, aufgrund ihrer Kleidung werden sie komisch angesehen. Dass Kinder nicht rausgehen dürfen im Sommer, weil ihre Mutter sagt ‚sonst wird deine Haut noch dunkler‘ – auch das zeigt, was die Menschen hier täglich an Rassismus erleben."
Das Modellprojekt will die eigenen Fähigkeiten fördern
Dabei bringen diese Frauen sehr viele Fähigkeiten mit, die notwendig sind für eine gelingende Integration – für sie selbst, aber auch für ihre Kinder und die Gesellschaft insgesamt. Der Ansatz des Modellprojekts, das vom Bundesinnenministerium für drei Jahre gefördert wird.
"Was bringt ihr mit? Was bieten wir und was machen wir gemeinsam. Das ist Integration. Und nicht: Ich biete an, und jetzt macht das mal. Und warum gelingt das nicht. Ich muss auch gehen und gucken. Zu den Menschen gehen, eine Offenheit haben, denn sonst kann das Miteinander nicht funktionieren", sagt Demirer.
Sie hat schon vor mehr als 15 Jahren das erste Erzählcafé organisiert und das Konzept nach und nach aus ihren Erfahrungen heraus entwickelt. Nun läuft die drei jährige Förderung durch das Innenministerium, das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Langfristig sollen die Frauen selbst entscheiden, wie es nach 2020 weitergeht:
"Was die Frauen wollen, ob die einen Verein gründen wollen oder ein Frauencafé eröffnen, wir wissen nicht. Wir wissen nicht, wir sind jetzt dabei."
Im Kulturtreff Hainholz ist nach zwei Stunden Schluss, Auch Farrat steht auf, ihr Baby schläft.
– "Wir freuen uns sehr, dass du dabei bist. Möchtest du immer kommen?
– "Ja, ja."
– "Sehr schön."
Alle wollen wiederkommen. Nächste Woche. Zum Erzählcafé.