Caitlin Rosenthal: "Sklaverei bilanzieren. Herrschaft und Management"
© Matthes & Seitz Berlin
Buchführung und Gewalt
06:15 Minuten
Caitlin Rosenthal
Aus dem Englischen von Jörg Theis
Sklaverei bilanzieren. Herrschaft und ManagementMatthes & Seitz, Berlin 2022416 Seiten
28,00 Euro
Modernes Management und archaisch-grausame Sklaverei haben nichts miteinander zu tun? Irrtum. Die Wirtschaftshistorikerin Caitlin Rosenthal kann zeigen, dass auf amerikanischen Plantagen auch Methoden des modernen Bilanzwesens entwickelt wurden.
Schon die Spaltung der Vereinigten Staaten vor dem Bürgerkrieg scheint deutlich zu machen, dass Sklaverei und modernes Management nichts miteinander zu tun haben: hier der moderne, industrialisierte Norden der Sklaverei-Gegner, dort der rückständige Süden der Plantagenwirtschaft und der Sklavenhalter.
In ihrer Studie "Sklaverei bilanzieren – Herrschaft und Management" kann die in Berkeley lehrende Wirtschaftshistorikerin Caitlin Rosenthal jedoch zeigen, dass moderne Methoden der Quantifizierung in der Sklaven-Ökonomie teils sogar früher entwickelt wurden als in der Industrie.
Mit Sklaven lässt sich gut rechnen
Zunächst beschäftigt sie sich mit den westindischen Kolonien. Viele karibische Zuckerproduzenten lebten fern von ihren Unternehmen. Um vom Schreibtisch in England oder Schottland aus die Kontrolle zu behalten, wurden moderne Formen der Buchführung und verlässliche Aufseher auf den Plantagen nötig – ein frühes Beispiel für die Trennung von Eigentum und Management. Die Distanz förderte zudem den abstrakten Umgang mit dem "Humankapital". Versklavte Menschen wurden zur "Analyseeinheit".
Die Sklavenwirtschaft kam den Innovationen der Buchhaltung entgegen, weil sie eine besonders hohe Berechenbarkeit der Produktionsabläufe gewährleistete. Während der freie Arbeitsmarkt für die Unternehmen Ungewissheiten schuf, etwa durch die extrem hohe Fluktuation der Arbeiter im 19. Jahrhundert, ließ sich mit Unfreien exakt kalkulieren. Ihre Kosten, ihre Verfügbarkeit, ihre Zahl und ihre jeweilige Arbeitskraft waren feste Größen.
Da auch ihre Lebensweise von den Sklavenhaltern bestimmt wurde, konnten alle Faktoren in die Berechnungen einbezogen werden, etwa inwieweit höhere Kosten für bessere Ernährung sich in maximierter Arbeitsleistung umsetzten. Die Pflege des 'menschlichen Maschinenparks' ging mit Gewalt einher: Regelmäßige Disziplinierung, Einschüchterung und drakonische Strafen bei Fluchtversuchen gehörten zum Alltag.
Rosenthal analysiert das Plantagenmanagement anhand der Betriebsbücher und Arbeitsprotokolle. In den Sklaven-Inventarlisten wurde die Sprache der Nutzungsdauer, Wertminderung und Abschreibung der "Produktionsmittel" eingeführt, bevor sie zu einer gängigen Methode der Rechnungslegung wurde. "Systematische Buchführungstechniken gediehen auf den Sklavenplantagen nicht trotz der Sklaverei, sondern wegen ihr", resümiert die Wirtschaftshistorikerin.
Keine Polemik gegen den Kapitalismus
Der Klappentext des Buches deutet darüber hinaus einen Schuldzusammenhang an: Rosenthal mache "die Gewalt sichtbar, die am Anfang der kapitalistischen Wirtschaftsform steht". Aber es geht Rosenthal nicht um antikapitalistische Polemik. Sklaverei hat es seit jeher in allen Hochkulturen gegeben. Ohne effektive Maschinen war die menschliche Arbeitskraft die wichtigste Ressource, die mit Gewalt verfügbar gemacht wurde.
Das Neue ist deshalb, dass Sklaverei im Europa und Nordamerika des modernen, sich industrialisierenden Kapitalismus plötzlich geächtet wurde. Und so stellt Rosenthal schon im Vorwort klar: "Ich habe keinen direkten Pfad gefunden, der von den papierenen Quellen der Sklavenhalter zu Microsoft Excel führt." Es geht ihr nicht um eine Kausalität, sondern eine (nahezu) parallel verlaufende Modernisierung.
Diesem detailreichen und verständlich geschriebenen Buch gelingt es, ungewöhnliche Perspektiven auf das Thema Sklaverei zu entwickeln. Und natürlich steht es den Lesern frei, im Effektivitätsmanagement der heutigen Ökonomie Parallelen zu den einstigen Ausbeutungspraktiken auf den Plantagen zu erkennen.