Callan Wink: "Big Sky Country", Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
378 Seiten, 23 Euro
Der republikanische Männertraum ist ausgeträumt
06:48 Minuten
Ein Seelenpanorama der USA: Der Debütroman "Big Sky Country" des gefeierten US-Autors Callan Wink führt uns an der Seite eines stillen jungen Helden in die ländliche Welt des Mittleren Westens.
"Big Sky Country" ist ein Buch, das in seiner lebenszugewandten, detailgenauen, in der Tradition Hemingways wunderbar unmanierierten Schilderung des naturnahen Lebens im Norden der Vereinigten Staaten schiere Lust auf diese von Ranches durchzogenen Weiten macht. Zugleich zeichnet es das Porträt eines in seinem republikanisch-maskulinen Selbstverständnis verunsicherten Landes: ein Seelenpanorama der in Traditionen erstarrten, mit der andrängenden Moderne hadernden USA.
Ein hinreißend gelungener, erstaunlich reifer Debütroman. Solch einen Eindruck der Leichtigkeit zu erwecken, ist erzählerisch alles andere als leicht. Da muss jedes Wort sitzen, weil sich diese Stimmung sonst sofort eintrübt.
Umso mehr verwundert es, dass der Autor Callan Wink bislang nur einige, allerdings grandiose Erzählungen vorgelegt hat. "Big Sky Country" – die Handlung spielt in den George W. Bush-Jahren; der Nine-Eleven-Schock lässt sich gedämpft spüren – ist ein Coming-of-Age-Roman in mehrfacher Hinsicht. Sein Held, der junge August, Sohn eines Farmers in Michigan und eine milde Version von unglücklichem Außenseiter, muss zunächst mit seiner bereits zu Beginn des Buchs zerbrochenen Familie klarkommen. Er zieht mit der akademisch und demokratisch gesinnten Mutter Bonnie in die nächstgrößere Stadt und nach deren Examen, von Filmen wie "Legenden der Leidenschaft" dazu animiert, nach Big Sky Country, nach Montana.
Ein Vater namens Darwin
Hier beendet er die Schule, blüht auf beim Football, findet aber nur halbe Freunde, liebt die Einsamkeit des Fischens – Wink selbst ist passionierter Angler – und wird auf leicht ungewöhnliche Weise zum Mann. Die Affäre mit der älteren Nachbarin Julie, einer Freundin seiner schließlich einschreitenden Mutter, bedeutet ihm deutlich mehr als ihr.
Der sich treibenlassende Protagonist steht aber auch für die Coming-of-Age-Frage einer ganzen Generation. Welchen Weg soll man gehen? Voll stoischen Gleichmuts, der zur Landschaft passt, wählt August zunächst den vorgezeichneten Pfad der Tradition.
Er arbeitet hart auf einer Ranch im Norden, findet dabei zwar zu sich selbst, muss aber bemerken, wie brüchig diese enge, ohne alles Fremde auskommende Männerwelt geworden ist. Er ahnte es längst, seit ihn sein Vater namens Darwin (mit allen Obertönen, die das hat) als Kind gegen Geld Katzen töten ließ: August tat es mit Fleiß, aber seither verdunkelt ein Fleck sein Gewissen. Die Schule der Abhärtung funktioniert nicht mehr.
Ein Buch, das nach Heu duftet
Auf subtile Weise rumort die Schuld- und Gewaltthematik weiterhin, bis die Katzeneepisode schließlich in einem Verbrechen gespiegelt wird, einer Gruppenvergewaltigung, an der August zwar nicht teilnimmt, die er aber auch nicht verhindert. Es trifft die von ihm angehimmelte June.
Auf Cowboyweise, mit Fäusten und Alkohol, lässt sich diese Tat nicht mehr aus der Welt schaffen. Das ist für August der Auslöser dafür, doch noch dem Rat der Mutter zu folgen und sich für die Universität zu entscheiden, was hier auch bedeutet: das von einer patriarchalen Kultur getragene US-amerikanische Autarkieideal gegen Weltoffenheit einzutauschen.
Wie uns Wink über unzählige Alltagsabenteuer zu diesem sanft-radikalen Finale führt, das hat nichts Bevormundendes oder Konzeptuelles, sondern ist – auch in der hervorragend ruhigen Übersetzung von Hannes Meyer – von filmischer Brillanz und beglückender Authentizität. Selten duftet ein Buch nach frischem Heu oder glitzert wie ein Gebirgsbach. Dieses tut aber beides.