Calvins Erbe
Vor wenigen Wochen jährte sich zum 500. Mal der Geburtstag Johannes Calvins. Der Theologe und Schriftsteller Klaas Huizing zeichnete anlässlich des diesjährigen Kirchentages das oft falsch verstandene Erbe des Reformators nach.
Calvin prägt. Bis in den Alltag hinein. Bis in die Gegenwart. Davon ist Klaas Huizing überzeugt. Und der 50-Jährige überzeugt auch sein Publikum, wenn er anschaulich aus seiner Kindheit und Jugend erzählt - aus dem Leben in einem calvinistischen Milieu im deutsch-niederländischen Grenzgebiet:
"Mein Vater, der sonntags mit scheinbarer Mühelosigkeit die Orgel spielte, werktags die Firma leitete, fuhr einen Volvo 164, blaumetallic, aus dickem Schwedenstahl, der hohe Kühler nicht zufällig an einen RollsRoyce erinnernd."
Jeden Sonnabend ließ der Vater den Wagen waschen, einmal im Monat gründlich polieren.
"Vor den Kirchentoren buhlte dieser Wagen mit anderen Marken, höheren Mittelklasse-Wagen und Premiummodellen um die Aufmerksamkeit. An keinem anderen Ort der Stadt traf man auf eine vergleichbare Ansammlung hochwertiger Autos wie vor der calvinistischen Kirche, ja es waren protzige Autos, aber alle fuhren diese Autos mit schlechtem Gewissen."
Nach dem Gottesdienst - die frommen Calvinisten gehen sonntags immer zweimal zur Kirche - brauste man keineswegs angeberisch von dannen, sondern man schlich eher untertourig davon.
"Kaufte mein Vater sich einen neuen Wagen, ging er wochenlang zu Fuß zur Kirche, erst dann lenkte er demütig seinen einen Wagen auf den Parkplatz, der Wagen war dann nicht mehr ganz neu. Angeberei - wirklich nicht."
Lange Zeit war es für den kleinen Klaas ein Rätsel, warum sich der Vater Autos kaufte, für die er sich eigentlich schämte. Sein Vater fuhr – nicht etwa mit stolzer Brust, sondern mit eingezogenem Kopf durch den Ort:
Wie alle Calvinisten bildete er mit dieser Kopfhaltung ein Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr.
Klaas Huizing berichtet, das er erst sehr spät hinter dieses seltsame antiaristokratische Verhalten gekommen sei.
"Es ging um Angst, größtmögliche Angst, es ging um ewige Verdammnis. Was für religiös eher entfremdete Gesellschaftsschichten der Psychiater, war für die Calvinisten der Autohändler. Dicke Autos verschafften eine kleine Verschnaufpause, vielleicht sogar himmlische Ruhe: Wer sich dicke Autos leisten konnte, durfte davon ausgehen, dass Gott ihn erwählt und nicht verworfen hatte. Ob Kredite die subjektive Gewissheit einschränkten, vermag ich nicht zu entscheiden."
Diese Edelkarossen chauffierenden Calvinisten sind einer falsch verstandenen Lehre von der doppelten Prädestination aufgesessen. Während es Johannes Calvin um den festen Glauben ging, der einen mit der Gnade Gottes auserwählen konnte, sahen viele seiner späteren Anhänger die dicken Autos als Zeichen des Gnadenstandes.
Eher gnadenlos empfand der junge Klaas Huizing die rigorose Sonntagsheiligung der calvinistischen Gemeinschaft. Zwischen den predigtlastigen Gottesdiensten um zehn und zwei Uhr blieb wenig Zeit für Freizeitvergnügen; was aber auch nicht so schlimm war, da am Sonntag ohnehin fast alles verboten war, was Kindern und Jugendlichen Spaß machte. Auch der Sport:
"Meine Karriere als Handballtorwart bei Olympia Uelsen, die ich sehr fanatisch verfolgt habe, fand ein jähes Ende, als die Spiele der A-Jugend an Sonntagen stattfanden. Mein Vater teilte mir mit roten Ohren und schwitzenden Händen mit, dass ich den Sonntagssport nicht ausüben könne, weil der Kirchenrat beschlossen habe, Jugendlichen, die am Sonntag Sport trieben, die Konfirmation zu verweigern."
Und ohne Konfirmation, auf die man sich jahrelang vorbereiten musste, kein Seelenheil. Also musste das Nachwuchstalent Klaas seine Knieschützer an den Nagel hängen.
Die so genannte Kirchenzucht sorgte dafür, dass vermeintliche Sünden offen bloß gestellt wurden. So wurde eine Frau aus der Nachbarschaft des Ehebruchs bezichtigt; der Kirchenrat ließ von der Kanzel verkünden, dass die Frau nicht mehr zum Abendmahl zugelassen sei.
"In meiner Erinnerung war diese Frau die einzige Frau, die auf uns Jugendliche halbwegs faszinierend und lebendig wirkte; sie trug Schuhe mit Absätzen, die sie – wie die Gemeindemitglieder meinten – allzu sehr erhöhten."
Doch nicht alles wurde bei den Calvinisten so streng gehandhabt: Klaas Huizing erinnert sich noch gern daran, dass bei den ewig langen Predigten die Tüten mit Pfefferminz durch die Reihen gingen: Bonbonslutschen war erlaubt.
"Mein Vater, der sonntags mit scheinbarer Mühelosigkeit die Orgel spielte, werktags die Firma leitete, fuhr einen Volvo 164, blaumetallic, aus dickem Schwedenstahl, der hohe Kühler nicht zufällig an einen RollsRoyce erinnernd."
Jeden Sonnabend ließ der Vater den Wagen waschen, einmal im Monat gründlich polieren.
"Vor den Kirchentoren buhlte dieser Wagen mit anderen Marken, höheren Mittelklasse-Wagen und Premiummodellen um die Aufmerksamkeit. An keinem anderen Ort der Stadt traf man auf eine vergleichbare Ansammlung hochwertiger Autos wie vor der calvinistischen Kirche, ja es waren protzige Autos, aber alle fuhren diese Autos mit schlechtem Gewissen."
Nach dem Gottesdienst - die frommen Calvinisten gehen sonntags immer zweimal zur Kirche - brauste man keineswegs angeberisch von dannen, sondern man schlich eher untertourig davon.
"Kaufte mein Vater sich einen neuen Wagen, ging er wochenlang zu Fuß zur Kirche, erst dann lenkte er demütig seinen einen Wagen auf den Parkplatz, der Wagen war dann nicht mehr ganz neu. Angeberei - wirklich nicht."
Lange Zeit war es für den kleinen Klaas ein Rätsel, warum sich der Vater Autos kaufte, für die er sich eigentlich schämte. Sein Vater fuhr – nicht etwa mit stolzer Brust, sondern mit eingezogenem Kopf durch den Ort:
Wie alle Calvinisten bildete er mit dieser Kopfhaltung ein Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr.
Klaas Huizing berichtet, das er erst sehr spät hinter dieses seltsame antiaristokratische Verhalten gekommen sei.
"Es ging um Angst, größtmögliche Angst, es ging um ewige Verdammnis. Was für religiös eher entfremdete Gesellschaftsschichten der Psychiater, war für die Calvinisten der Autohändler. Dicke Autos verschafften eine kleine Verschnaufpause, vielleicht sogar himmlische Ruhe: Wer sich dicke Autos leisten konnte, durfte davon ausgehen, dass Gott ihn erwählt und nicht verworfen hatte. Ob Kredite die subjektive Gewissheit einschränkten, vermag ich nicht zu entscheiden."
Diese Edelkarossen chauffierenden Calvinisten sind einer falsch verstandenen Lehre von der doppelten Prädestination aufgesessen. Während es Johannes Calvin um den festen Glauben ging, der einen mit der Gnade Gottes auserwählen konnte, sahen viele seiner späteren Anhänger die dicken Autos als Zeichen des Gnadenstandes.
Eher gnadenlos empfand der junge Klaas Huizing die rigorose Sonntagsheiligung der calvinistischen Gemeinschaft. Zwischen den predigtlastigen Gottesdiensten um zehn und zwei Uhr blieb wenig Zeit für Freizeitvergnügen; was aber auch nicht so schlimm war, da am Sonntag ohnehin fast alles verboten war, was Kindern und Jugendlichen Spaß machte. Auch der Sport:
"Meine Karriere als Handballtorwart bei Olympia Uelsen, die ich sehr fanatisch verfolgt habe, fand ein jähes Ende, als die Spiele der A-Jugend an Sonntagen stattfanden. Mein Vater teilte mir mit roten Ohren und schwitzenden Händen mit, dass ich den Sonntagssport nicht ausüben könne, weil der Kirchenrat beschlossen habe, Jugendlichen, die am Sonntag Sport trieben, die Konfirmation zu verweigern."
Und ohne Konfirmation, auf die man sich jahrelang vorbereiten musste, kein Seelenheil. Also musste das Nachwuchstalent Klaas seine Knieschützer an den Nagel hängen.
Die so genannte Kirchenzucht sorgte dafür, dass vermeintliche Sünden offen bloß gestellt wurden. So wurde eine Frau aus der Nachbarschaft des Ehebruchs bezichtigt; der Kirchenrat ließ von der Kanzel verkünden, dass die Frau nicht mehr zum Abendmahl zugelassen sei.
"In meiner Erinnerung war diese Frau die einzige Frau, die auf uns Jugendliche halbwegs faszinierend und lebendig wirkte; sie trug Schuhe mit Absätzen, die sie – wie die Gemeindemitglieder meinten – allzu sehr erhöhten."
Doch nicht alles wurde bei den Calvinisten so streng gehandhabt: Klaas Huizing erinnert sich noch gern daran, dass bei den ewig langen Predigten die Tüten mit Pfefferminz durch die Reihen gingen: Bonbonslutschen war erlaubt.