Camus im Schnelldurchlauf
Widerstandskämpfer, Philosoph, Schriftsteller: Albert Camus galt als "Gewissen seiner Generation". Anhand von Texten und O-Tönen Camus' hat Ruthard Stäblein die wichtigen Stationen in dessen Leben und Werk nachgezeichnet. Nichts für Camus-Kenner, aber für alle, die ihn erst entdecken wollen.
"Ich denke an einen kleinen Jungen, der in einem Armenviertel lebte. Dieses Viertel, dieses Haus. Es besaß nur ein Stockwerk, und auf der Treppe gab es kein Licht. Noch heute, nach langen Jahren, vermöchte er in dunkler Nacht dorthin zurückzukehren. Er weiß, dass er die Treppe in Windeseile hinaufstürmen könnte, ohne ein einziges Mal zu straucheln. Sein ganzer Körper ist von diesem Haus durchtränkt."
Ein Ausschnitt aus dem frühen Text "Zwischen Ja und Nein" von Albert Camus, geschrieben Ende der 1930er-Jahre, als Philosophiestudent in Algier. Auch in seinem letzten Roman "Der erste Mensch" erinnert sich Camus an seine Kindheit in Algerien:
"Das Meer war ruhig, lau, die Sonne jetzt sanft auf den nassen Köpfen, und die Herrlichkeit des Lebens erfüllte diese jungen Körper mit einer Freude, die sie unaufhörlich schreien ließ. Sie herrschten über das Leben und über das Meer. Und das Prachtvollste, was die Welt zu geben hat, empfingen sie und machten maßlosen Gebrauch davon wie Herren, die sich ihrer unersetzlichen Reichtümer sicher sind."
Diese Lesung von Martin Benrath hat Ruthard Stäblein ans Ende der zwei CDs mit dem Titel "Leben heißt Handeln" gesetzt, wie er überhaupt chronologisch vorgeht. Durch diese Klammer will Stäblein zeigen, dass Camus, der französische Literaturnobelpreisträger, Pariser Lebemann, zutiefst von seiner mediterranen Herkunft geprägt war. Keine wirklich neue These, aber ein Rahmen für dieses Feature, das im Untertitel zwar bescheiden "Begegnungen mit Albert Camus" heißt, aber irgendwie doch den ganzen Camus vorstellen will.
Stäblein ist tief in die Rundfunkarchive gestiegen, hat Original-Töne von Albert Camus und seiner Tochter Catherine gehoben, Lesungen von Camus' Texten aus vielen Jahrzehnten mit kurzen überleitenden Informationen verbunden. Wobei die Gattungsbezeichnung "Feature", die der Verlag aufs Cover gedruckt hat, zu hohe Erwartungen an die Radiokunst weckt: "Leben heißt Handeln" ist eher eine akustisch etwas angereicherte Lesung aus Camus' Hauptwerken. So zum Beispiel wird die Lesung von "Der Fremde" kurz und knapp eingeleitet:
"Gleichzeitig mit den Reflexionen über das absurde Leben arbeitet Albert Camus an seinem Roman, der ihn mit einem Schlag in Frankreich berühmt macht und dann in der ganzen Welt. Und mit der Verwendung des Perfekts im Roman schafft er zugleich einen neuen Stil, den der Kritiker Roland Barthes den 'Nullpunkt der Literatur nennt'. 'Der Fremde' erscheint 1942 im von Deutschen besetzten Paris."
Camus: "Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht. Aus dem Heim erhielt ich ein Telegramm: Mutter verschieden. Beisetzung morgen. Vorzügliche Hochachtung."
Und dann liest Wolfgang Büttner die berühmte Beisetzungs-Szene aus "Der Fremde". Diesem 20-minütigen literarischen Textausschnitt kann man als Hörer gut folgen. Doch Camus ist ja in Deutschland weniger als Romancier, denn als Philosoph berühmt. Und daran hält sich auch Stäbleins Textauswahl. Helge Heynold liest zum Beispiel "Der Mythos des Sisyphos". In die Gedankengebäude Camus' anhand von kurzen Lesepassagen einzusteigen, ist allerdings ungleich schwieriger.
"Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges. Seine Last findet man immer wieder. Sisyphos jedoch lehrt uns die höhere Treue, die die Götter leugnet und Felsen hebt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."
Ruthard Stäblein hat die Entscheidung getroffen, möglichst alle wichtigen Aspekte von Camus' Leben und Werk vorkommen zu lassen: die ärmliche Kindheit bei der tyrannischen Großmutter in Algier, die Geburt der existenzialistischen Ideen, die Verzweiflung am als absurd empfundenen Leben und dessen gleichzeitige Feier, Camus' politischer Einsatz gegen die französische Kolonialpolitik und im Zweiten Weltkrieg für die Résistance, seine Abkehr vom Absurden und das Besinnen auf Gerechtigkeit, der Streit mit Sartre, der Literaturnobelpreis, der tödliche Autounfall 1960.
Der ganze Camus auf zwei CDs – sie machen notwendigerweise eine oberflächliche Tour d'Horizon. "Leben heißt Handeln" bietet für Camus-Kenner vielleicht nichts Neues. Aber es ist ein guter Ausgangspunkt für alle, die Albert Camus neu oder überhaupt erst entdecken wollen.
Besprochen von Dina Netz
Ein Ausschnitt aus dem frühen Text "Zwischen Ja und Nein" von Albert Camus, geschrieben Ende der 1930er-Jahre, als Philosophiestudent in Algier. Auch in seinem letzten Roman "Der erste Mensch" erinnert sich Camus an seine Kindheit in Algerien:
"Das Meer war ruhig, lau, die Sonne jetzt sanft auf den nassen Köpfen, und die Herrlichkeit des Lebens erfüllte diese jungen Körper mit einer Freude, die sie unaufhörlich schreien ließ. Sie herrschten über das Leben und über das Meer. Und das Prachtvollste, was die Welt zu geben hat, empfingen sie und machten maßlosen Gebrauch davon wie Herren, die sich ihrer unersetzlichen Reichtümer sicher sind."
Diese Lesung von Martin Benrath hat Ruthard Stäblein ans Ende der zwei CDs mit dem Titel "Leben heißt Handeln" gesetzt, wie er überhaupt chronologisch vorgeht. Durch diese Klammer will Stäblein zeigen, dass Camus, der französische Literaturnobelpreisträger, Pariser Lebemann, zutiefst von seiner mediterranen Herkunft geprägt war. Keine wirklich neue These, aber ein Rahmen für dieses Feature, das im Untertitel zwar bescheiden "Begegnungen mit Albert Camus" heißt, aber irgendwie doch den ganzen Camus vorstellen will.
Stäblein ist tief in die Rundfunkarchive gestiegen, hat Original-Töne von Albert Camus und seiner Tochter Catherine gehoben, Lesungen von Camus' Texten aus vielen Jahrzehnten mit kurzen überleitenden Informationen verbunden. Wobei die Gattungsbezeichnung "Feature", die der Verlag aufs Cover gedruckt hat, zu hohe Erwartungen an die Radiokunst weckt: "Leben heißt Handeln" ist eher eine akustisch etwas angereicherte Lesung aus Camus' Hauptwerken. So zum Beispiel wird die Lesung von "Der Fremde" kurz und knapp eingeleitet:
"Gleichzeitig mit den Reflexionen über das absurde Leben arbeitet Albert Camus an seinem Roman, der ihn mit einem Schlag in Frankreich berühmt macht und dann in der ganzen Welt. Und mit der Verwendung des Perfekts im Roman schafft er zugleich einen neuen Stil, den der Kritiker Roland Barthes den 'Nullpunkt der Literatur nennt'. 'Der Fremde' erscheint 1942 im von Deutschen besetzten Paris."
Camus: "Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht. Aus dem Heim erhielt ich ein Telegramm: Mutter verschieden. Beisetzung morgen. Vorzügliche Hochachtung."
Und dann liest Wolfgang Büttner die berühmte Beisetzungs-Szene aus "Der Fremde". Diesem 20-minütigen literarischen Textausschnitt kann man als Hörer gut folgen. Doch Camus ist ja in Deutschland weniger als Romancier, denn als Philosoph berühmt. Und daran hält sich auch Stäbleins Textauswahl. Helge Heynold liest zum Beispiel "Der Mythos des Sisyphos". In die Gedankengebäude Camus' anhand von kurzen Lesepassagen einzusteigen, ist allerdings ungleich schwieriger.
"Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges. Seine Last findet man immer wieder. Sisyphos jedoch lehrt uns die höhere Treue, die die Götter leugnet und Felsen hebt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."
Ruthard Stäblein hat die Entscheidung getroffen, möglichst alle wichtigen Aspekte von Camus' Leben und Werk vorkommen zu lassen: die ärmliche Kindheit bei der tyrannischen Großmutter in Algier, die Geburt der existenzialistischen Ideen, die Verzweiflung am als absurd empfundenen Leben und dessen gleichzeitige Feier, Camus' politischer Einsatz gegen die französische Kolonialpolitik und im Zweiten Weltkrieg für die Résistance, seine Abkehr vom Absurden und das Besinnen auf Gerechtigkeit, der Streit mit Sartre, der Literaturnobelpreis, der tödliche Autounfall 1960.
Der ganze Camus auf zwei CDs – sie machen notwendigerweise eine oberflächliche Tour d'Horizon. "Leben heißt Handeln" bietet für Camus-Kenner vielleicht nichts Neues. Aber es ist ein guter Ausgangspunkt für alle, die Albert Camus neu oder überhaupt erst entdecken wollen.
Besprochen von Dina Netz
Ruthard Stäblein: Leben heißt Handeln. Begegnungen mit Albert Camus
Gelesen von Helge Heynold, Werner Wölbern, Martin Benrath, Wolfgang Büttner, Josef Manoth
Hörverlag, München 2013
zwei CDs, 141 Minuten, 14,99 Euro
Gelesen von Helge Heynold, Werner Wölbern, Martin Benrath, Wolfgang Büttner, Josef Manoth
Hörverlag, München 2013
zwei CDs, 141 Minuten, 14,99 Euro