Autor Can Dündar

"Das Leben hat uns ungefragt zu Aktivisten gemacht"

06:40 Minuten
Porträt des Autors Can Dündar in Denkerpose.
„Das Exil verändert einen Schriftsteller“, sagt der türkische Autor Can Dündar. © Getty Images / Adam Berry
Von Luise Sammann |
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„Das schlechte Gewissen ist immer da. Deine Freunde sitzen im Gefängnis und du bist hier frei“, beschreibt der türkische Autor Can Dündar sein Leben im Berliner Exil. Dorthin floh er 2016, nachdem Erdogan ihn zum Staatsfeind Nummer eins erklärt hat.
Der türkische Journalist und Schriftsteller Can Dündar steht im Hintergarten eines Berliner Mehrfamilienhauses, hebt mahnend den Finger. Vor ihm sitzt Susu – kurzes braunes Fell, knapp ein Jahr alt und hyperaktiv. „Das ist, als ob man noch mal Vater wird“, sagt der 60-Jährige und lacht, dass die weißen Locken auf und ab wippen. Dann wirft er den Ball. Pfeilschnell saust Susu über den von rosaweißen Kastanienblüten übersäten Rasen.
Ob er sich wohlfühlt, im Berliner Exil? Can Dündar überlegt nicht lange. „Ich mag Berlin, ja. Es ist schön ruhig, eine gute Umgebung“, sagt er. „Die Wahrheit ist: Ein Schriftsteller fühlt überall dort zu Hause, wo er in Freiheit schreiben kann.“

Staatsfeind Nummer eins

In Freiheit schreiben – in seiner Heimat, der Türkei, kann Can Dündar das schon lange nicht mehr. 2015 hatte er in einem Artikel über angebliche Munitionslieferungen des türkischen Geheimdienstes an den IS berichtet. Es folgten Anklagen wegen Spionage und Geheimnisverrats und mehrere Monate Haft. Vor allem aber erklärte der türkische Präsident Erdogan den bekannten Autor persönlich zum Staatsfeind Nummer eins, drohte ihm öffentlich mit lebenslanger Haft.
2016 floh Dündar nach Berlin. Türkische Gerichte verurteilten ihn inzwischen in Abwesenheit zu mehr als 27 Jahren Gefängnis. Zum Schweigen bringen konnten sie ihn damit nicht. Im Gegenteil. Vier Bücher hat Dündar seit seiner Flucht in Deutschland veröffentlicht. Zuletzt eine gezeichnete Biografie Erdogans.

Exil oder Gefängnis

Außerdem gründete er das Webradio Özgürüz – zu Deutsch: Wir sind frei. Dort kommentiere er jeden Tag die Entwicklungen in der Türkei. Zusätzlich schreibe er regelmäßig für die „Zeit“. „Gestern habe ich mich mit der Kampagne gegen die kurdische Sprache und Kultur in der Türkei beschäftigt. Sie lassen immer häufiger kurdische Musiker nicht mehr auftreten. Nicht nur die türkische, auch die deutsche Öffentlichkeit muss diese Dinge erfahren!“
Doch trotz seines unermüdlichen Engagements: Einigen Oppositionellen in der Türkei gilt Can Dündar als Verräter. Wer das Land und vor allem seine Kultur gegen das Erdogan-Regime verteidigen wolle, dürfe nicht einfach wegrennen, so ihre Meinung. „Anstatt ins Exil zu gehen, gehe ich lieber ins Gefängnis“, erklärte der 72-jährige Schriftsteller Ahmet Altan kürzlich in einem Interview.
Protest in Berlin gegen die Verurteilung von Kavala: Die ehemals politischen Gefangenen in der Türkei (von links nach rechts) Deniz Yücel, Zehra Dogan, Can Dündar, Asli Erdogan und Peter Steudtner stehen vor dem Bundeskanzleramt vor einem Nachbau einer Zelle. Sie fordern die Freilassung weiterer Menschenrechtsaktivisten, welche auf den Plakaten zu sehen sind, unter anderem Osman Kavala. Berlin, 4. Mai 2022.
Die ehemals politischen Gefangenen in der Türkei (von links nach rechts) Deniz Yücel, Zehra Dogan, Can Dündar, Asli Erdogan und Peter Steudtner stehen vor dem Bundeskanzleramt. Sie fordern die Freilassung weiterer Menschenrechtsaktivisten, unter anderem Osman Kavala. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
„Ich stimme nicht zu, nein“, sagt Can Dündar und schüttelt entschieden mit dem Kopf. „Denn für einen Schriftsteller ist es doch das Allerwichtigste, dass er schreiben kann. Wenn er das nicht kann, ist er wie tot. Ich ziehe das Exil dem Gefängnis deswegen vor. Aber natürlich steht mein Koffer immer gepackt in der Ecke. Meine Frau und ich warten ständig darauf, dass wir zurückkehren können.“

Schlechtes Gewissen als ständiger Begleiter

Nicht nur der gepackte Koffer, auch Zweifel und Schuldgefühle seien in Berlin zu seinen ständigen Begleitern geworden, so Dündar. „Das schlechte Gewissen ist immer da“, sagt er. „Deine Freunde sitzen im Gefängnis und du bist hier frei. Natürlich haben wir es auch nicht leicht. Das Überleben im Exil ist ein täglicher Kampf. Allein in meinem Alter ein komplett neues Leben in der Fremde aufzubauen, immer in Angst, dass der türkische Geheimdienst oder irgendwelche Erdogan-Anhänger dich finden, ist nicht leicht. Aber trotzdem ist es nicht mit dem Gefängnis zu vergleichen.“
Spaß zu haben, es sich wirklich gut gehen zu lassen, verbiete sich für ihn, so Dündar. Stattdessen fühle er sich verpflichtet, wann immer möglich seine Stimme zu erheben. Neben seinen Texten nimmt er regelmäßig an Demonstrationen teil oder organisiert sie gar selbst.

Vom Schriftsteller zum Aktivisten

Vor zwei Wochen etwa demonstrierte er gemeinsam mit der ebenfalls im Berliner Exil lebenden Schriftstellerin Asli Erdogan und anderen gegen die Verurteilung des Kulturförderers Osman Kavala zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen. „Mit uns allen ist etwas passiert, was wir eigentlich nie wollten: Wir sind komplett politisiert“, sagt Dündar. „Wir organisieren Proteste, halten Banner in die Luft und treffen deutsche Politiker und Politikerinnen. Das sind Dinge, die eigentlich nicht zur Tätigkeitsbeschreibung eines Schriftstellers zählen. Aber das Leben hat uns ungefragt zu Aktivisten gemacht.“
Can Dündar schaut sich in dem kleinen Berliner Garten um, in dem er sitzt. Hund Susu hat sich in der Sonne auf dem Rasen zusammengerollt, ein leichter Wind lässt rosaweiße Kastanienblüten wie Konfetti herunterregnen.
Gerne würde er auch einmal wieder etwas Unpolitisches schreiben, sagt er. Doch der Blick in seinen Augen verrät: Die Hoffnung, dass das bald wieder möglich sein wird, hat Can Dündar verloren. „Das Exil verändert einen Schriftsteller“, sagt er. „Sowohl seine Themen, als auch seine Art zu schreiben. Manchmal merke ich, dass meine Texte härter geworden sind. Ich schäme mich regelrecht etwas aufzuschreiben, was nicht politisch ist. Mein Land steckt in einer großen Krise, Menschen leiden, Freunde von mir sind im Gefängnis – da kann ich doch nicht darüber schreiben, dass in Berlin Frühling ist und die Kastanienbäume blühen.“

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