Can Merey: "Der ewige Gast"

Von einem der auszog, um sich in Deutschland zu integrieren

Can Merey: "Der ewige Gast"
In "Der ewige Gast" schildert Can Merey anhand der Biografie seines Vaters wie schwer es ist, sich in Deutschland zu integrieren. © dpa / Oliver Berg / Blessing Verlag
Von Christian Buttkereit |
In "Der ewige Gast" erzählt Korrespondent Can Merey die Geschichte seines Vaters Tosun, der bereits 1958 aus Istanbul nach Deutschland kam, hier studierte, Maria aus Bayern heiratete, nur deutsch sprach und Schweinebraten aß. Ein gelungenes Beispiel für Integration? Wohl kaum.
Es war 1958 als Tosun Merey voller Hoffnungen in ein Flugzeug nach Deutschland stieg. Jetzt, 60 Jahre später, sitzt er wieder in Istanbul. Was war passiert?
Mit großem Eifer hatte Tosun versucht, sich zu integrieren, lernte Deutsch, studierte und heiratete eine bayrische Bauerstochter. Er habe gerne in Deutschland gelebt, erzählt der 87-Jährige. Lange Zeit habe er gedacht, er sei ein "Teil dieses Systems". Nun, rückblickend vergleicht er sich "mit einem Kind, das farbig geboren wurde, das aber selbst nicht merkt. Wenn das Kind aber älter wird, merkt es, dass es doch irgendwie anders ist." So sei es ihm ergangen.

Irgendwie gehörte er nicht dazu

Obwohl er mit seinen Kindern nur deutsch sprach, Schweinebraten aß, Weißbier trank und ausschließlich deutsche Freunde hatte, fühlte Tosun, dass er irgendwie nicht dazugehört. Daran ändere auch die deutsche Staatsbürgerschaft nichts, die ihm um ein Haar wieder aberkannt geworden wäre. Diskriminierung, ja, die habe es gegeben, aber eher indirekt, beispielsweise, als er für eine Firma im Schwäbischen arbeitete. "Die Leute riefen mich aus Stuttgart an und wollten mit mir englisch reden, obwohl ich denen immer sagte, dass ich ein Mitarbeiter bin, ich kann auch deutsch sprechen." Ohne Erfolg: "Das war bei denen so fest verwurzelt, dass ich nicht deutsch sprechen könne – und dann haben sie immer weiter englisch gesprochen."

Sohn Can, in Deutschland mit dem Gefühl aufgewachsen, Deutscher zu sein, lebt heute in Istanbul – als Türkei-Korrespondent der Deutschen Presseagentur. Eigentlich, sagt er, wollte er nur die Lebensgeschichte seines Vaters aufschreiben. Dann habe er aber gemerkt, dass sich auch seine eigene Lebensgeschichte nicht vollkommen ausklammern ließ – und wie sehr "diese türkischen Wurzeln" auch sein eigenes Leben geprägt habe. "Ich habe das lange verdrängt und dann doch beim Schreiben gemerkt, wie oft das in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt hat." Beispielsweise bei der Wohnungssuche wenn es hieß, wir vermieten nicht an Türken.

Eine "kritische, türkenfeindliche Grundstimmung"

Weil Vater und Sohn immer wieder leidenschaftlich über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation diskutieren, reicht Tosuns Geschichte bis in die Gegenwart und zeichnet ein sehr differenziertes Bild der deutsch-türkischen Beziehungen. Durch das Schreiben habe er "sehr viel mehr Verständnis bekommen für die Türken in Deutschland", sagt Can Merey. "Auch habe ich verstanden, dass es in Deutschland eine kritische, türkenfeindliche Grundstimmung gibt, die sich oft auch entlädt in einer Art Wut gegen dieses System Erdogan." Natürlich könne und solle man die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan "sehr kritisch sehen". Trotzdem glaube er, "dieses Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei wird auf der deutschen Seite, aber auch auf der türkischen Seite eben nicht rational betrachtet, sondern sehr emotional. Und da spielt diese deutsch-türkische Geschichte vor allem der letzten Jahrzehnte eine wichtige Rolle."

Unterschiedliche Sichtweisen auf Erdogan

Das geht soweit, dass sich Tosun in der Rolle des Erdogan-Verstehers wiederfindet. Und das, obwohl er sich als ungläubig bezeichnet und große Stücke auf die Demokratie hält.
Aus seiner Sicht werde Erdogan "nicht immer gerecht behandelt". Natürlich könne man sagen, dass in der Türkei ein autoritäres System herrsche. Auch er sei dieser Meinung. "Aber oft wird etwas als falsch dargestellt, weil Erdogan es gesagt hat", sagt Tosun, während er auf dem Sofa in der Wohnung seines Sohnes sitzt und auf den Bosporus schaut.
Äußerlich macht der 78-Jährige einen vitalen und zufriedenen Eindruck. Und doch ist er zumindest in einer Hinsicht ein gebrochener Mann. "Das mit dem Buch, ja, da bin ich ein bisschen erschrocken, muss ich sagen, weil: Ich hätte vielleicht gar nicht nach Deutschland fliegen sollen, um dort zu studieren." – Er sagt es und schluckt. Stille macht sich im Raum breit. Ja, heute fühle er sich wieder mehr als Türke, sagt Tosun. Aber das bedeute ja nicht, dass er jetzt "gegen Deutschland" sei. "Man kann ja meiner Meinung nach mehrere Länder gerne haben."
Das Buch "Der ewigen Gast – Wie mein Vater versuchte, Deutscher zu werden" sagt viel über die Türkei aus und ist die Geschichte eines gescheiterten Versuchs, der vielleicht gar nicht gelingen kann.

Can Merey: "Der ewige Gast - wie mein Vater versuchte, Deutscher zu werden", Blessing-Verlag, 17 Euro. Das Buch erscheint am 10. April 2018.

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