"Cancel Culture"

Skandalbelastete Künstler stumm schalten

55:00 Minuten
Das Deutschlandfunk-Kultur-Panel auf dem Pop-Kultur-Festival in Berlin.
Inzwischen gibt es „Mute“-Tasten bei Streaming-Diensten, mit denen man belastete Künstler zum Verstummen bringen kann. © Marius Schwarz
Moderation: Dirk Schneider und Hartwig Vens |
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Wenn populäre Künstler moralische Verfehlungen begehen, verweigert ihnen ihr Publikum die Gefolgschaft. Prominente Fälle sind R. Kelly, Michael Jackson oder Kevin Spacey. Sie werden "gecancelt". Ist "Cancel Culture" wichtiges Korrektiv oder Selbstjustiz?
Don Henley von den Eagles musste 1980 den Notarzt rufen: In seinem Schlafzimmer hatte sich eine 16-jährige eine Überdosis Kokain und Quaaludes reingezogen, laut Medienberichten wurde sie nackt aufgefunden. In Henleys Haus wurde außerdem ein 15-jähriges Mädchen angetroffen, das ebenfalls Drogen genommen hatte.
Die 16-Jährige wurde wegen Prostitution festgenommen, die 15-Jährige wegen Besitzes illegaler Drogen. Don Henley haben sie auch mitgenommen, der Vorwurf: Anstiftung Minderjähriger zu Straftaten. Henley kam auf Kaution frei, musste 2500 Dollar Strafe zahlen und bekam zwei Jahre auf Bewährung.
Das juristische Urteil fiel also mild aus, Henley wurde ja auch nur für die Bagatellen verurteilt und nicht für sein eigentliches Vergehen. Don Henleys Karriere tat das keinen Abbruch, eine Dokumentation über seinen Hang zu Minderjährigen wurde nicht gedreht, für einen Shitstorm fehlte das Internet, und so denkt man heute beim Namen Don Henley nicht unbedingt an Sex mit Minderjährigen.
"Got crazy, got drunk, got high, had girls, played music and made money" - so hat Eagles-Mitglied Glenn Frey die Karriere der Band mal beschrieben, und so erbärmlich das klingt, war das doch lange auch die entscheidende Kraft des Rock’n’roll, dass er eben ein Leben abseits bürgerlicher Normen feierte.

Spotify führte eine "Mute"-Funktion ein

Rote Linien gab es da auch schon immer, sie waren aber eher fließend, und man schien es lieber nicht so genau wissen zu wollen. So genau wie möglich wollten die Dokumentationen "Surviving R. Kelly" und "Leaving Neverland" wissen, welche sexuellen Übergriffe sich R. Kelly und Michael Jackson geleistet haben.
Das kam spät, hatte aber Folgen: Viele Fans "cancelten" die Stars, Spotify führte eine "Mute"-Funktion ein, mit der man belastete Künstler zum Verstummen bringen kann. Den Streamingzahlen der Künstler hat das übrigens bis jetzt nicht geschadet, und die Diskussion, wie man mit dem Werk eines verstorbenen Künstlers umgeht, der posthum belastet wird, ist zu keinem Schluss gekommen.
Gleichzeitig wird immer mehr gecancelt, im kleinen und im großen Maßstab, es scheint dass die Ethik im Pop Hochkonjunktur hat. Ist das gut und wichtig, oder tötet das die Kunst? Wird es im Pop eine neue Erzählung geben, die ethisch und politisch unbedenklich ist? Und ja, immer noch, was machen wir mit dem Erbe von Michael Jackson?

Bei dem Audio handelt es sich um einen Zusammenschnitt des Deutschlandfunk-Kultur-Panels auf dem Pop-Kultur-Festival.

Gesprächsgäste:
Lisa Ludwig, Kulturjournalistin
Samira El Ouassil, Schauspielerin und Kulturwissenschaftlerin
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