Cancelling Bond

Ein Filmformat schafft sich selbst ab

04:30 Minuten
Schauspieler Daniel Craig alias James Bond telefoniert mit dem Smartphone.
Daniel Craig als James Bond in „Keine Zeit zu sterben“: Roberto Simanowski bezweifelt, ob 007 eine tragfähige Zukunft hat. © picture alliance / TNS / MGM / newscom
Ein Kommentar von Roberto Simanowski · 29.09.2021
Audio herunterladen
Zweimal wegen Corona gecancelt, aber nun kommt er endlich, der neue Bond. Wie peinlich für den harten Draufgänger. Die wahre Bedrohung für das Format liege in Zeiten der Digitalisierung aber woanders, meint der Medienphilosoph Roberto Simanowski.
Niemand bleibt so gut alt wie Bond. Er ist noch immer der Mann der 60er-Jahre: Smoking, Auto, Pistole, Frauen, danach ein Martini. Wie konnte er damit so lange durchkommen? Nicht einmal die MeToo-Bewegung scheint ihm etwas anhaben zu können.
Was Bonds kulturellen Anachronismus erträglich macht, ist seine Verbindung mit dem technischen Fortschritt.

"So was machen wir nicht mehr"

Man denke nur ans Bond-Auto: Es kann fliegen, unter Wasser fahren, sich unsichtbar machen. Ganz zu schweigen von der Schussgewalt, die in seinen Scheinwerfern steckt. Q, der Quartiermeister, war jedes Mal sichtlich stolz, wenn er die neusten Specials erklärte.
Bis 2012 mit "Skyfall" ein neuer Quartiermeister auftrat, ein Bilderbuch-Nerd, der Bond nicht mehr gibt als ein Miniaturradio. Als Bond ihn enttäuscht anschaut, entgegnet Q: "Was haben Sie erwartet? Einen explodierenden Kugelschreiber? So was machen wir nicht mehr."
Bond-Kenner denken da an "Goldeneye" von 1995, wo Q einen Stift präsentiert, der explodiert, wenn man dreimal auf ihn drückt. Bond quittierte das gefährliche Schreibwerkzeug mit den Worten: "Früher sagte man, ein Stift sei mächtiger als ein Schwert", worauf Q stolz entgegnet: "Dank mir stimmt das auch."
Diese ironische Umdeutung des Sprichworts über die Macht der Worte wird in "Skyfall" wieder zurückgenommen.

Programmcode ist mächtiger als Waffen

Allerdings sind nun nicht die Worte mächtig, mit denen man Ideen in die Welt setzt, sondern die Zahlen, mit denen man - als Programmcode - Prozesse in der digitalisierten Welt auslöst.
Codierungsintelligenz lässt sich schwerer in Szene setzen als körperliche Schlagkraft. Ihr Angriff mag gewaltig sein, aber er produziert kein Blut. Dies ist das Zukunftsdilemma des Bond-Films: Setzt er weiterhin auf fortgeschrittene Technik, muss die Pistole dem Keyboard weichen und der Geldkoffer den Bitcoins.
Keine Verfolgungsjagd mehr, keine Reise um die halbe Welt, kein Auftritt des Bond-Girls. Der Film würde den Ast absägen, auf dem er ästhetisch sitzt.
Damit das nicht geschieht, reisen die Daten in "Skyfall" nicht online, sondern auf einem Memorystick, um den sich Verfolgungsjagden und Faustkämpfe arrangieren lassen. Aus dem gleichen Grund führt der Hack ins MI6-Gebäude nicht einfach zum Kollaps des Computersystems, sondern zu einer gewaltigen Explosion.
Der Actionfilm hackt das Hacking in seinem Sinne und gibt nicht dem Programmierer das letzte Wort, sondern dem Sprengmeister.

Hacker geben keine Action-Bilder her

Natürlich sah man Q auch im nächsten Bond, "Spectre", beim Programmieren. Aber nicht im Computerraum, sondern am Laptop im Auto während einer Verfolgungsjagd. Bond ist kein Nerd geworden, eher wird der Nerd zum Abenteurer. Gott sei Dank.
Aber ist das wirklich eine tragfähige Zukunft? Müsste nicht, um bei Bonds Auto zu bleiben, dieses längst voller Software sein? Wäre dann nicht der Hack der viel effizientere Angriff auf Bond als die Verfolgungsjagd?
So was stellt das Bond-Konzept auf dem Prüfstand. Wird Bond mit einer App seine Gegner analysieren und ausschalten statt mit Faust und Pistole? Der letzte Bond endet mit einem Lob auf die Pistole, mit der Bond den Hubschrauber des fliehenden Obermeier herunterholt. Auch der Trailer zum neuen Bond ist voller Schießereien und Explosionen und zeigt Q mittendrin statt am Bildschirm.
Wird der Bond-Film von einem Ort des technischen Fortschritts zu einem der Technikverweigerung? Es ist das Dilemma aller Actionfilme, die mit der Zeit gehen wollen. Man sagt, der neue Bond ist der letzte seiner Art. Der nächste, wenn es ihn geben soll, wird anders sein müssen.
Weiblich? POC? LGBTQIA? Wie wäre es mit einem gelähmten Asexuellen asiatischer Herkunft, der seine Abenteuer am Computer erlebt. Das radikale Gegenteil der Bond-Formel. Dann doch lieber canceln? Gleich nach diesem letzten, so lang ersehnten Bond? Time to die.

Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hong Kong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören "Facebook-Gesellschaft" (Matthes & Seitz 2016) und "The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas" (MIT Press 2018).

© privat
Mehr zum Thema