Die Tradition des "Whitefacings" begann auf den Sklavenplantagen in den amerikanischen Südstaaten und wurde von prominenten schwarzen Schauspieler*innen wie Whoopi Goldberg, Eddie Murphy oder Dave Chappelle praktiziert. Was mich an dieser Installation "Whiteface" interessiert, ist aber der umgekehrte Versuch: nämlich Weißsein als Zustand sichtbar zu machen, anstatt es unsichtbar werden zu lassen.
Mit dem "Whiteface" gegen rassistische Vorurteile
05:32 Minuten
Vorurteile weißer Menschen gegenüber Schwarzen und People of Color stehen im Zentrum einer Videoinstallation von Candice Breitz. In der Ausstellung "Whiteface" im Museum Folkwang demontiert die in Südafrika geborene Künstlerin rassistische Mantras.
Sieben große Videoscreens hängen in einem Ausstellungsraum. Sie alle zeigen nur eine Person: die Künstlerin Candice Breitz selbst, gekleidet in ein weißes Hemd, auf dem Kopf trägt sie platinblonde Perücken, außerdem Spezial-Kontaktlinsen, die ihre Iris weiß färben. Demagogin und Dämonin zugleich.
Toxische Mantras
Wie bei einer kaputten Bauchrednerpuppe wiederholt Candice Breitz in dieser Mehrkanal-Installation gebetsmühlenartig die toxischen Mantras, die sie zuvor aufgenommen hat, im Fernsehen, im Netz, in den Medien:
"It is not a privilege to be white."
"Not all people are racists."
"I don’t see colour."
"We can’t say anything, we can’t have an opinion."
"It is not a privilege to be white."
"Not all people are racists."
"I don’t see colour."
"We can’t say anything, we can’t have an opinion."
"Die Arbeit besteht aus Fragmenten, die ich in den letzten Jahren in einem Archiv gesammelt habe", erklärt Breitz.
"Es sind Aussagen von weißen Menschen, die über Rasse sprechen. Darunter: bekannte Persönlichkeiten, aber auch weniger bekannte, anonyme Persönlichkeiten wie YouTube-Blogger. Ich lasse diese Stimmen durch meinen eigenen weißen Körper strömen, um die Sprache und die Grammatik zu untersuchen und zu zeigen, wie Menschen mit weißer Hautfarbe ihre Vorherrschaft rechtfertigen."
Umdeutung von "Whitefacing"
"Whiteface" ist die erste Installation, mit der Candice Breitz auf dieses vielstimmige Archiv zurückgreift. Die 50-jährige, in Südafrika geborene Künstlerin ist bekannt für ihre politischen Video-Installationen: Missbrauch in der Familie, die Notlage Geflüchteter, die Schmerzen Gebärender. Immer macht sie sich die Mechanismen unserer mediengesättigten globalen Kultur zunutze.
"Whiteface" bezeichnet den Versuch, durch das Weißschminken des Gesichts die dunkle Hautfarbe zu übertünchen. Auf dieses Phänomen greift Candice Breitz zurück und deutet es zugleich um.
Ein anderer Teil von Candice Breitz' neuer Installation "Whiteface" besteht aus einem dreißigminütigen Video, das in einem zweiten Raum zu sehen ist. Wieder schlüpft Breitz in ihre Verkleidung: weißes Hemd, platinblonde Perücke, Kontaktlinsen. Wieder purzeln wie bei einer Bauchrednerpuppe die Sätze anderer aus ihrem Mund. An die 400 verschiedene kurze Originalzitate setzt Breitz hintereinander in Szene: Anfeindungen, Verschwörungstheorien, Klischees.
Weiße in der Opferrolle
"Eine der Hauptverteidigungslinien des Weißseins besteht darin, sich eine Umkehrung der Machtverhältnisse vorzustellen", sagt Breitz, "sich vorzustellen, dass der Rassismus jetzt gegen Weiße ausgeübt wird, sich vorzustellen, dass Weiße jetzt irgendwie auf die gleiche Weise unterjocht werden, wie es in der Vergangenheit bei People of Colour oder Schwarzen der Fall war. Im Extremfall gibt es eine Angst vor dem Aussterben der Weißen."
Ein kleiner Monitor zeigt die Originalaufnahmen, die Candice Breitz benutzt hat. Das meiste stammt aus den USA. Doch lassen sich die amerikanischen oder südafrikanischen Verhältnisse auf ein Land wie Deutschland übertragen, das mit Rassismus eine ganz eigene Geschichte verbindet?
Beinahe-Amoklauf gegen den "großen Austausch"
"Das ist ja gerade eigentlich das Gute an der Arbeit, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung bringt, was bei uns überhaupt nicht so diskutiert wird und oder vielleicht auch zu wenig diskutiert wird", sagt Anna Fricke, die Kuratorin der Ausstellung.
"Und es gibt ja unter anderem darin diese Passage, wo es um den 'großen Austausch' geht, und wir hatten hier in Essen im Mai einen vereitelten Anschlag von einem 16-Jährigen aus Essen-Borbeck, und der hat sich darauf bezogen."
Der "große Austausch" – eine rechte Verschwörungstheorie, die das Ende der weißen Bevölkerung prophezeit. Candice Breitz zeigt mit ihrer theatralischen Inszenierung "Whiteface" das verschrobene Weltbild und die Konstruiertheit von Vorurteilen und Rassismen. Ein künstlerischer Beitrag zu einer aktuellen Debatte, der lange im Gedächtnis hängen bleibt.
Candice Breitz: "Whiteface"
Folkwang Museum, Essen
15. Juni bis 21. August 2022