Entspannung mit Risiko
Parallel zu den Präsidentschaftswahlen wurde in Kalifornien in einem Referendum über die Legalisierung von Cannabis für den Privatgebrauch abgestimmt – und sich dafür entschieden. Viele jubeln darüber, für andere ist Cannabis der Inbegriff einer Einstiegsdroge, die unabsehbare Folge haben könnte.
"Ich hab nach dem Frühstück angefangen zu kiffen. Ungefähr ein Viertel Gramm Gras, pur."
Tom, 40, Layouter bei einer Tageszeitung.
"In der Mittagspause hab ich mich dann nochmal aus dem Büro verkrümelt, hab dann auch gekifft. Und dann vor dem Schlafengehen nochmal."
Cannabis ist in Europa die in allen Altersgruppen am häufigsten konsumierte illegale Droge. Laut europäischem Drogenbericht 2015 hat fast ein Viertel der Europäer zwischen 15 und 64 Jahren im Leben mindestens einmal Haschisch oder Marihuana geraucht – in Deutschland liegt der Anteil bei rund 23 Prozent. Das Image: entspannend und harmlos – nicht erlaubt, aber irgendwie normal.
"Das hatte in meinem Leben den Status, den Kaffee im Leben anderer Leute hat."
Es gibt gute medizinische, juristische und politische Gründe für einen legalen Konsum von Cannabis. Und: es gibt viele Menschen, die jahrelang kiffen, ohne Schaden zu nehmen, sagt Rainer Matthias Holm-Hadulla, Psychoanalytiker und Psychiater an der Universität Heidelberg. Das öffentliche, nett-harmlose Bild von Cannabis und Kiffern unterscheide sich trotzdem erheblich von dem, das Ärzte und Therapeuten zu sehen bekommen.
"Wir wissen, dass Ängste bei Cannabisabhängigkeit, also gravierende Ängste, die auch behandlungsbedürftig sind, zwei- bis sechsmal so hoch sind. Dass bipolare Störungen häufiger sind, natürlich Süchte – und als sehr gefährliche Nebenwirkung Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, wie man sagt. Die sind doppelt so hoch bei regelmäßigem Konsum. Es gibt sogar Herzinfarkte und Schlaganfälle. Und auch Selbstmorde. Das gibt es."
250.000 Menschen in Deutschland sind richtig abhängig
Von den rund zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland, die regelmäßig Haschisch oder Marihuana rauchen, ist Schätzungen zufolge knapp eine Viertelmillion cannabisabhängig. Rund 160.000 Menschen sind so schwer beeinträchtigt, dass sie keine sozialen Beziehungen mehr eingehen und aufrechterhalten können. Die Folgeschäden des Kiffens sind dabei umso größer, je früher jemand damit angefangen hat:
"So um das zehnte, elfte Lebensjahr finden neuronale Umbauprozesse statt. Also die sprichwörtliche Pubertätskrise hat ein neurobiologisches Korrelat. Und dass genau in diesen Umbauprozessen Cannabis – übrigens auch hohe Dosen Alkohol – Schäden verursachen können, die nicht wieder reparierbar sind. Das hat man auch sehr genau nachgewiesen, dass sie Volumenminderung im Amygdala-Kern haben, dort werden Emotionen reguliert."
Tom: "Morgens hab ich gekifft, um mich für den Tag zu motivieren. Nach dem Feierabend hab ich gekifft um zu entspannen – Kiffen verstärkt die Stimmung, in der man sich befindet. Wenn man nicht weiß, was man vorhat, dann führt das dazu, dass man breit in der Ecke hängt und nichts tut."
Dass Kiffen Motivation und Konzentration manipuliert, ist auch wissenschaftlich belegt. Eine Auswertung mehrerer Studien zu den Folgen starken Cannabis-Konsums, die 2014 im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, wies außerdem auf Veränderungen im Hippocampus hin:
Holm-Hadulla: "Dort wo Gedächtnisfunktionen eine Rolle spielen. Und dann weiß man auch, im Gehirn gibt es Fasersysteme, die Hirnareale miteinander verbinden. Corpus callosum zum Beispiel. Diese Fasern sind für kombinatorisches Denken zuständig. Und man weiß, dass auch dort ausgeprägte Schäden bei frühzeitigem und regelmäßigem Konsum passieren."
Tom: "Was hat mir gefallen am Kiffen? Die gesteigerte Fantasie, die Intensivierung der Wahrnehmung, was sowohl Geräusche als auch Farbwahrnehmung betrifft. Was nervt, ist die Vergesslichkeit. Und die Ablenkbarkeit. Das kann einen auch sehr vom Weg abbringen, den man gehen müsste. Das kann sehr unangenehm sein."
Vor allem unter Jugendlichen sei der Konsum bedenklich
Dass fast ein Viertel der 15- bis 16-jährigen Schüler in Europa mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert haben, sei daher bedenklich, so Holm-Hadulla. Neben den Hirnveränderungen riskierten sie regelrechte Löcher in der Entwicklung – weil persönliche und soziale Spannungen oft nicht wirklich durchlebt, sondern gedämpft würden.
Holm-Hadulla: "Deswegen bin ich ja auch immer zurückhaltend, wenn man den entspannenden Effekt von Cannabis so betont. Der kann schädlich sein. Indem man eben auch dieses gewisse kreative Unwohlsein, die Suche und die manchmal unangenehme kreative Spannung damit reduziert und damit auch seine Schaffenskraft und Produktivität reduziert."
Tom: "Man hat viele Ideen, aber setzt viele von denen nicht um. Weil der Antrieb einfach nicht gegeben ist."
Holm-Hadulla: "Wenn Sie alle vier Wochen Cannabis rauchen, dürfte da bei einem Erwachsenen nicht viel passieren. Wenn die dann sich mit Freunden an einen See setzen und da ein bisschen Marihuana reinmischen – hoffentlich von guter Qualität – dann sei es drum. Das ist auch die Freiheit jedes Menschen. Aber: Es geht ja darum, dass eine gesellschaftliche Atmosphäre entsteht, wo man das Gefühl hat, das ist harmlos. Und sie werden keinen 13-Jährigen davon abhalten, wenn jeder das tut, das nicht auch zu probieren. Das wird schwierig."