Cannabis Made in Germany

Der schwere Weg zur ersten Ernte

30:05 Minuten
Eine Halle mit Cannabispflanzen unter rotem LED-Licht.
Kontrolliertes Wachstum unter rotem LED-Licht – Cannabis-Anbau bei Aphria in Neumünster. © Journalistenbüro Grenzgänger / Ernst Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster |
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Seit 2017 kann Cannabis auf Rezept verschrieben werden, bisher wird die "grüne Medizin" aus Holland und Kanada importiert. Drei Unternehmen sollten bis 2020 die Versorgung garantieren. Dann kam Corona.
Berlin-Kreuzberg, im April 2020: Die Frühlingssonne scheint, vor einem Eisladen toben Kinder über den Bürgersteig. Die Erwachsenen tragen Masken. Der erste Coronalockdown hat die Republik im Griff. Zwei Häuser weiter läuft Adrian Fischer durch frisch renovierte Büroräume, vorbei an leeren Schreibtischen, stummen Rechnern, schwarzen Flachbildschirmen.
Fischer ist Arzt, er hat lange im Bereich der Neuropsychologie geforscht. Sein Kumpel Cornelius ist Ökonom, und der Dritte im Bunde, Constantin, ist Jurist. Alle sind etwa Mitte 30 und seit knapp drei Jahren auch Firmeninhaber. Demecan heißt ihr Unternehmen. Das steht für "Deutsches Medizinal Cannabis". "Wir produzieren pro Jahr 600 Kilo Cannabis. Insgesamt ist der Markt viel größer, allein der derzeit ausgeschriebene Bedarf für 2020 sind 16.000 Kilo."

Jahrzehnte war der Anbau in Deutschland verboten

Cannabis-Produktion für Patienten: eine Premiere in Deutschland. Bisher hat Fischer noch nie Cannabis angebaut, ebensowenig wie seine Freunde. Ein Millionen-Experiment: Über Jahrzehnte war der Anbau in Deutschland verboten. Nun sollen ein Jurist, ein Mediziner und ein Ökonom ihn in Schwung bringen. "Unser einziger Abnehmer ist ja die Bundesregierung, und das ist ja auch ein fixes Kontingent. Wir werden die gleiche Menge produzieren für die nächsten vier Jahre, das ist unser Ziel."
Dutzende Firmen aus aller Welt bewarben sich um die Anbau-Lizenz. Am Ende bekamen drei den Zuschlag. Zwei Konzerne aus Kanada, wo schon lange Cannabis als Medizin angebaut wird, und Demecan. "Es gibt bestimmte Dinge, die ganz klar vorgeschrieben sind. Das ist eben die Sicherungsrichtlinie Betäubungsmittel. Das heißt konkret, dass die "Umschließung" aus 24 Zentimeter dickem Stahlbeton bestehen muss. Es darf eigentlich keine Öffnung geben, nur wenn sie zwingend notwendig sind."

Investoren glauben an das Cannabis-Geschäft

Alles ist geregelt, vor allem die Sicherheit: dicke Stahlbetonmauern, Panzerglas, spezielle Abwasserbehandlung. All das treibt den Baupreis des Anbauortes in die Höhe, und trotzdem glauben Investoren an das Cannabis-Geschäft. Der Chef der Krombacher-Brauerei genauso wie ein Spielwaren-Millionär. Einige Millionen Euro Startkapital hat das Trio eingesammelt. Adrian Fischer lächelt etwas gequält. Nun müssen sie nur noch liefern. "Ungefähr im Plan sind wir schon. Was man jetzt natürlich sagen muss: Mit der Coronasituation ist noch nicht ganz abzusehen, welche Lieferungen möglicherweise davon jetzt beeinträchtigt sind. Also zum Beispiel ist es ja so, dass wir auch bei der Herstellung von Cannabis natürlich sehr sauber arbeiten müssen. Das heißt, wir brauchen Schutzmasken und Schutzkleidung, und die ist derzeit kaum erhältlich."
Allerdings: Wo das Cannabis angebaut werden soll, ist zu diesem Zeitpunkt – im Frühjahr 2020 - noch nicht bekannt. In Lohmen, einem Örtchen in Sachsen, hat sich Demecan ein Grundstück gesichert, 10.000 Quadratmeter im Gewerbegebiet. Die Gemeinde hat dem Verkauf zugestimmt. "Investitionszweck ist die Errichtung eines phytopharmazeutischen Betriebes", steht in der Mitteilung des Gemeinderates. Doch bislang baut dort niemand. In der letzten Gemeinderatssitzung war von einem "Planungsstopp" die Rede.
Einige Kilometer weiter dreht Maximilian Plenert routiniert eine silberne Dose in den Händen, zermahlt eine Cannabisblüte. Vor ihm liegt ein Blättchen. Plenert verteilt darauf das Cannabis, bröselt noch ein Bröckchen einer weißen Substanz dazu. "Gerade tagsüber nehme ich das Cannabis auch nicht nur so, sondern das ist CBD in kristalliner Form, um auch ein paar Nebenwirkungen des Cannabis, also zum Beispiel den Rausch, abzumildern."

Beruhigend nicht berauschend

CBD ist ebenfalls ein Bestandteil von Cannabis, wirkt aber anders als THC, nicht berauschend, sondern beruhigend: "Weil: Tagsüber will ich ja nicht völlig breit in der Ecke rumhängen. Das ist für viele Patienten eigentlich auch genau das Richtige, THC plus CBD, weil diese ganzen psychotropen Effekte ist ja nicht das, was der Patient haben will, dass er lustig im Kopf ist, also das kann vielleicht mal ganz lustig sein, aber tagüber, wenn ich aktiv sein will, will ich das ja gar nicht."
Plenert inhaliert, lehnt sich auf dem Sofa zurück. Er ist Ende 30, trägt die Haare raspelkurz und ist einer der ersten Cannabis-Patienten Deutschlands. "Ich bin Physiker und deshalb bin ich allgemein verstreut. Deswegen weiß ich Dinge nicht auswendig, sondern weiß, wo die Sachen stehen." Er greift in seine Umhängetasche, zieht ein DIN-A5-Heftchen hervor, beginnt zu blättern. Seine Krankengeschichte Punkt für Punkt: 2013 diagnostizieren Ärzte bei ihm ADHS, gleichzeitig noch eine schwache Form von Autismus.

Einsatz bei Multipler Sklerose und Krebs

"Die ADHS-Diagnose war 2013, was durchaus auch in meiner Lebensbiografie ein ganz typischer Punkt ist, weil mit Familie und Kinder der Problemdruck so groß wird, dass dann Diagnosen entstehen, 2014 habe ich dann meine Ausnahmeerlaubnis bekommen." Von der Bundesopiumstelle als offiziell anerkannter Cannabis-Patient. Davon gibt es zu diesem Zeitpunkt knapp 1000 in Deutschland. Die behandelnden Ärzte haben für ihre Patienten den therapeutischen Nutzen der Cannabis-Anwendungen bestätigt. Etwa bei Multipler Sklerose oder Krebserkrankungen. Nur: Es gibt es kein Medizin-Cannabis made in Germany.
Apotheken müssen die Ware aus dem Ausland importieren, aus Kanada, Holland oder Israel. Doch der Nachschub stockt immer wieder, und wenn es etwas gibt, muss Plenert dafür selbst zahlen. Etliche Patienten sind deshalb vor Gericht gezogen, haben geklagt auf eine Cannabis-Grundversorgung und bekamen meist recht. 2017 hat die Bundesregierung eingelenkt: Cannabis gibt es seitdem auf Rezept. Eine staatliche Agentur soll für Nachschub aus heimischem Anbau sorgen. Maximilian Plenert konnte aufatmen und auf deutsches Gras hoffen. Im Frühjahr 2018 beantragt er eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse – die wird abgelehnt. "Allein, dass eine Krankenkasse ablehnt, braucht schon ein Dreivierteljahr. Es gibt Leute, die warten länger, und seitdem klage ich."

Preise treiben Kunden auf den Schwarzmarkt

Kein deutsches Cannabis, keine Kostenübernahme: Plenert zuckt mit den Schultern. Mittlerweile klagt er vor dem Sozialgericht. Sein Medizinal-Cannabis besorgt er sich – wie viele Patienten – so lange privat, nicht in der Apotheke. Denn seit Cannabis offiziell verschrieben werden darf, hat sich der Preis fast verdoppelt. Vorher kostete die Fünf-Gramm-Dose knapp 70 Euro. Jetzt sind es etwas mehr als 110. "Das Gesetz hat dafür gesorgt, dass der Druck jetzt entweder selbst anzubauen oder sich auf dem Schwarzmarkt zu bedienen, was gerade für die medizinische Nutzung fragwürdig ist, wie gut das funktioniert – dieser Druck hat eigentlich zugenommen."
September 2020: In Neumünster zerrt ein Schlepper einen schweren Container über die Baustelle. Überwachungskameras registrieren jede Bewegung, rund um eine große, neue weiße Halle im Gewerbegebiet. Eine Besuchergruppe, alles Männer, alle mit Helm, drängt sich vor dem Eingang. "Aphria" leuchtet in blauen Buchstaben auf einem großen Plastikbanner an der Fassade. Interessiert blicken Techniker und Ingenieure auf eine dicke Glasscheibe.
Thorsten Kolisch erzählt, dass dieses Glas sogar dem Beschuss eines Maschinengewehrs standhält. Die Besucher nicken anerkennend. Früher hat Kolisch Computerspiele entwickelt, jetzt koordiniert er die Bauarbeiten für einen kanadischen Cannabis-Konzern. Neben ihm steht Henrik Knopp. Der Jurist kümmert sich ums Geschäftliche und um Genehmigungen. "Das wir gesagt haben: Wir fangen einfach schon an, bevor wir den Zuschlag haben. Wir haben viel früher angefangen, haben, um überhaupt eine Genehmigung zu bekommen, erst einmal überlegt: Welche Pflanze ist denn so ähnlich wie Cannabis? Und haben dann für Pharma-Chili die Anlage beantragt, weil Chili tatsächlich ähnliche Voraussetzungen hat, und haben eigentlich eine riesige Indoor-Growanlage für Pharma-Chili gebaut."
Henrik Knopp muss grinsen, wenn er von dem Coup mit der Chili-Fabrik erzählt. Der Mann mit den Sneakers hält sich bei der Führung im Hintergrund, lässt seinen Kollegen Kolisch erzählen. Hinein ins Gebäude mit den hohen Decken, unter denen sich Rohre entlang dicker Wände ziehen: Knopps & Kolischs Werk. Seit vier Jahren basteln der Jurist und der Wirtschaftsingenieur an dem Standort. "Ich bin auch ein Quereinsteiger", witzelt Knopp. Vorher war er Marketingdirektor bei einem Sportwetten-Anbieter. "Als wir dann den Zuschlag zum Anbau von medizinischem Cannabis bekommen haben, konnten wir sozusagen das laufende Gebäude in eine Cannabis-Produktion umwidmen, und haben auch versucht, einfach rechtlich immer so sauber wie möglich zu sein, dass wir auch in diesem ideologisch aufgeladenen Feld immer sagen können: Wir sind ganz transparent, und wir versuchen uns einfach an die Spielregeln zu halten."

Anbau hinter 24 Zentimeter Stahlbeton

Die lassen nicht viel Spielraum. Der Auftrag: gute 1000 Kilogramm Blüten, drei Sorten, exakt definierter Wirkstoffgehalt, maximal zehn Prozent tolerierte Abweichung. Anbau in einem Hochsicherheitstrakt. Zwei Seiten Vorschriften, die jeden Bau in eine Festung verwandeln. Knopp aber kann gelassen bleiben. Aphria ist ein kanadisches Unternehmen, gut eine Milliarde Dollar wert, schon seit Jahren im Medizin-Cannabis-Geschäft. "Zum einen war das die Erfahrung, die man mitbringen musste, zum anderen aber auch dieser riesige Kapitalbedarf, weil das, was diese Anlage so teuer macht, ist ja die Sicherungsrichtlinie der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, alles, was sie hier machen, muss hinter 24 Zentimeter Stahlbeton stattfinden."
Die Besucher-Gruppe bleibt stehen, zwängt sich in einen Nebenraum. Große Metall- und Plastiktanks stehen hier, Schläuche verbinden sie mit einer Pumpstation, Leuchtdioden blinken. "Wir sagen immer: Das ist unsere Küche, jeder Pflanzraum kriegt hier seine eigene Mahlzeit. Hier steht der Koch und mischt dann das, was die Pflanze braucht - so ein bisschen wie Coca-Cola, die Geheimrezeptur: was welche Pflanzen in welchem Wachstumsstadium haben darf, und das wird über die Computer dann an die einzelnen Räume verteilt."

Deutschland hat die strengstens Vorgaben

Cannabis-Anbau ist Hightech-Gärtnern. Das Gros der Technik kommt hier aus den Niederlanden. Sogar das Trinkwasser wird vorbehandelt, um den Mineralhaushalt nicht zu gefährden. "Diese arme Pflanze wird natürlich niemals die Sonne sehen, weil sie ja hinter Stahlbeton wächst. Wir kontrollieren Helligkeit, also sozusagen die Sonne, wir kontrollieren Luft und Temperatur und wir kontrollieren auch, was die Pflanze isst und trinkt." Links und rechts liegen die Pflanzräume: silberglänzende Rinnen auf rollenden Pflanztischen, Bewässerungsschläuche. An der Decke hängen LEDs. Alle Pflanzen, die hier wachsen werden, stammen von derselben Mutterpflanze. Bloß keine Variationen.
"Der größte Unsicherheitsfaktor ist die Pflanze. Es ist halt dann doch Biologie und Natur. Und Natur kann ich nicht zu 100 Prozent kontrollieren. Die Vorgaben, die Deutschland an die Pflanze macht, sind die strengsten weltweit. Das ist schon sehr sportlich." Höchstens zehn Prozent darf der THC-Gehalt von den Vorgaben abweichen, so sind die Vorschriften. Knopp und Kolisch können nur bauen, anbauen und abwarten, ob denn die Pflanzen auch mitmachen. "Ich glaube, das Spannendste ist die Pflanze, also der Hauptakteur, ob der sich so verhält, wie wir es ins Drehbuch geschrieben haben. Wir glauben daran, unsere Fachleute bestätigen uns das immer wieder. Aber man muss auch sagen: Die Pflanze, die wir holen, hat noch nie in einem Indoor-Prozess gelebt und gewohnt."
Die Mutterpflanzen werden sie aus Kanada einfliegen. Eigentlich sollten die schon längst hier sein. Dann aber wurden auch die Kanadier in Neumünster ausgebremst – genau wie ihre deutschen Kollegen aus Berlin, wegen Corona. "Das Ziel war eigentlich, dass wir jetzt, wo wir hier sitzen, also quasi jetzt im dritten, vierten Quartal liefern. Wir hatten coronabedingt gewisse Verzögerungen, einfach weil bestimmte Sachen nicht lieferbar waren, und haben dadurch ein paar Monate verloren."

Testanbau in einem umgebauten Schlachthof

Adrian Fischer blinzelt ins gleißende Licht. Der Demecan-Gründer kneift die Augen zusammen. Er steht in einem ehemaligen Schlachthof. Vor einer weißen, telefonzellengroßen Box, unweit von Dresden. Der Arzt nickt zufrieden. Mehr als ein halbes Jahr sind seit unserem letzten Treffen vergangen. Es sind die letzten Tage des Jahres 2020. Der Testanbau startet, und - als hätte Fischer vom Chili-Coup der Kanadier gelernt - er startet mit Chilipflanzen.
Blick in eine Halle mit Cannabis-Pflanztischen aus Metall.
Letzte Bauarbeiten – Cannabis-Pflanztische bei Demecan unweit von Dresden.© Journalistenbüro Grenzgänger / Ernst Ludwig von Aster
"Sie können sich gerne bedienen. Bei denen müssen sie ein bisschen vorsichtig sein. Die sind wirklich extrem scharf, das ist die schärfste der Welt, die ist nochmal fünfmal schärfer als die Habanero. Das ist d-i-e Habanero. Das ist keine einfache Jalapeno, die könnte man einfach so essen." Drumherum laufen die Bauarbeiten. Oder besser: Abbauarbeiten. Arbeiter entkernen das riesige Gebäude, verlegen neue Leitungen. Ein Neubau hätte den Cannabis-Anbau noch weiter verzögert, sagt Fischer. Da kam der alte Schlachthof gerade recht.
Massive Wände, dicke Decken – ein Vorteil für die Sicherheit. Dann noch die Lage: weit draußen, auf dem Land. Wie ein gigantisches Ufo drückt sich der Schlachthof zwischen die Felder. Ursprünglich gehörte das Gelände einem kanadischen Unternehmen, das auch im Cannabis-Geschäft mitmischen wollte, sich dann aber verspekulierte. "Wir sind vielleicht die einzige Cannabis-Firma, bei der ein deutsches kleineres Unternehmen den Kanadier übernommen hat. Beziehungsweise: Wir haben ja von denen hier die Betriebsstätte gekauft und sind jetzt auch sehr stolz darauf, dass die uns selbst gehört."

1,2 Millionen Euro Umsatz im Jahr

Auch die Investoren ließen sich überzeugen und machten noch einmal ein paar Millionen locker. Mittlerweile weiß auch die Öffentlichkeit, wie viel die Hersteller im Schnitt kassieren können. 2,20 Euro zahlt die Cannabisagentur pro Gramm, antwortete die Bundesregierung Mitte Dezember auf eine kleine Anfrage. Staatliche Gewinnabsichten gäbe es keine. 600 Kilogramm Cannabis-Blüten pro Jahr würden Demecan so einen Umsatz von 1,2 Millionen Euro bringen.
Durch große, leere Hallen geht es. Jede Öffnung, jeder Lüftungsschacht muss hier vergittert, Hunderte Kameras eingebaut, Infrarotsensoren und Körperschallmelder installiert werden, so schreibt es die sogenannte Sicherungsrichtlinie vor. Kein Gramm Cannabis darf illegal nach draußen gelangen. In einem Raum kniet Charles, auf dem Kopf die Basecap in der Hand den Akkuschrauber. Der "Growmaster", wie er hier heißt, baut seine erste Forschungsbox: "American-Style" sagt er, mit einem breiten Grinsen. "Da hatten wir sehr viel Glück. Der kommt ursprünglich aus den USA, ist aber auch Deutscher, hat einen deutschen Pass, kann hier arbeiten und hat ein Rieseninteresse daran, mal wieder zu seinen Wurzeln zurückzukommen. Und hat legal in den USA und Canada Erfahrungen gehabt als Anbauer direkt im Cannabisbereich." Charles nickt, ein bisschen Deutsch versteht er schon. Er kann es kaum erwarten, dass es losgeht mit dem Cannabisanbau "Made in Germany".
"Wir haben schon die ersten Samen importiert, und die werden noch dieses Jahr dazu gebracht, dass sie erstmal sprießen und anfangen zu wachsen in unserem Forschungsbereich. Wir importieren dann auch die lebenden Pflanzen, wahrscheinlich in der zweiten Kalenderwoche im Januar."

Corona sorgt für Absturz der Cannabis-Aktien

Acht Monate später, Ende August 2021. Berlin Alexanderplatz: Eine große Bühne ist hinter dem Neptunbrunnen aufgebaut, flankiert von gut ein Dutzend Ständen. Die Hanf-Parade ist das jährliche Highlight der Cannabis-Freunde. Informationen, politische Debatten, Demonstration. Im blauen Slim-Fit-Anzug wartet ein FDP-Bundestagsabgeordneter neben der Bühne auf seinen Auftritt. Gut hundert Meter weiter inspiziert Cannabis-Patient Maximilian Plenert seinen Stand.
Plenert sprüht sich noch schnell ein wenig Deo unter die Achseln. Das Thermometer zeigt schon über 23 Grad. Es soll noch heißer werden. Die letzten Wochen waren anstrengend, sagt er. "Wir haben jetzt auch so einen Verein gegründet, zusammen mit Stefan. Aus unserer Selbsthilfegruppe ist ein ganzer Verein geworden, Cannabishilfe Berlin." Patienten, die warten. Krankenkassen, die nicht zahlen. Produzenten, die nicht wie geplant liefern. Ernüchterung aller Orten.
Plenert setzt sich kurz auf eine Bierbank im Patientenzelt, rekapituliert. In den letzten Monaten sind Cannabis-Aktien an der Börse abgesackt, der Lockdown macht sogar den kanadischen Multis zu schaffen, viele der internationalen Konzerne haben massiv an Wert verloren. "Es gab durchaus Spekulationen um die Frage, ob denn überhaupt etwas kommen wird, denn zu diesem Zeitpunkt, wo die Ausschreibung stattgefunden hat, die kanadischen Firmen, die haben doch im Geld geschwommen, die wussten gar nicht, wohin damit, völlig überbewertet. Inzwischen ist die Lage völlig anders, da konsolidiert sich der Markt, da gehen große Firmen wie Tilray und Aphria zusammen, damit sie noch ein Standing haben."

Die FDP will die Legalisierung

Auf der Bühne greift jetzt Wieland Schinnenburg zum Mikrofon. Der Hamburger Zahnarzt und Rechtsanwalt ist gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. "Da ist es ja so, dass seit 2017 im Sozialgesetzbuch drinsteht: Man kann Medizinal-Cannabis aus medizinischen Gründen auf Kosten der Krankenkasse verschreiben. Gut so. Die Realität ist leider so, dass die Krankenkassen diesen guten Ansatz zu erheblichen Teilen sabotieren: Etwa ein Drittel der Verschreibungen werden von den Krankenkassen nicht genehmigt."
Schinnenburg verspricht Abhilfe, nach der Wahl, wenn seine Partei mitregieren sollte. Dann will er auch die Legalisierungsdebatte wieder in Schwung bringen, genauso wie die Grünen. Cannabis-Freigabe für alle Erwachsenen, kontrollierte Abgabe über Apotheken und Fachgeschäfte: Das ist das FDP-Programm. "Wieviel Geld lassen wir uns denn entgehen? Auf dem Schwarzmarkt. Der macht sehr vieles, nur eines nicht: Er zahlt keine Steuern. Es gibt Untersuchungen: Ein oder zwei Milliarden Euro würden wir einnehmen als Staat, wenn wir Cannabis kontrolliert abgeben."
Als nächstes ist Maximilian Plenert dran. Er wartet immer noch auf ein Urteil des Sozialgerichts in Sachen Kostenerstattung. "Hallo Hanfparade. Ich bin Maximilian Plenert. Ich vertrete hier vor allem die Patientenseite. Unser Cannabis ist legal. Wir haben eine Regelung, aber da merkt man ganz schnell, das alleine hilft noch nicht. Ein Gesetz alleine schafft noch nicht, dass Cannabis als Medizin normal wird."

Das erste deutsche Cannabis ist auf den Markt

Eines aber hat das Gesetz doch geschafft. Das erste deutsche Cannabis ist mittlerweile auf dem Markt. Allerdings nur ein paar Kilogramm, geliefert Anfang Juli 2021 vom Team Kanada aus Neumünster. Thorsten Kolisch stellt seine Sneakers zur Seite, schlüpft in einen Schutzanzug, wäscht die Hände, geht durch eine Sicherheitsschleuse, dann noch eine, dann noch eine. "Das, was wir zuerst ausgeliefert haben, ist der Typ 1, der jetzt auch in den Apotheken verfügbar ist. Das ist eine der nachgefragtesten Sorten, die insbesondere bei der Indikation Schmerz, aber auch MS ist. Die Besonderheit ist, dass es einen sehr hohen THC-Gehalt hat, zwischen 18 und 22 Prozent."
Hinter Kolischs Maske deutet sich ein Lächeln an. Endlich. Cannabis made in Germany. Die letzten Monate waren turbulent, in Neumünster und im weltweiten Cannabis-Geschäft. Sein Unternehmen Aphria fusionierte mit dem Cannabis-Konzern Tilray: eine Elefantenhochzeit. So entstand das größte Cannabis-Unternehmen der Welt. "Als Gruppe sind wir die Tilray, nur aus regulatorischer Sicht sind wir die Aphria RX GmbH hier in Neumünster. Wir sind auch offiziell noch der Vertragsnehmer, aber wir gehören zur Tilray-Gruppe." Auf "Kostensynergien" von 80 Millionen Dollar spekuliert der neue Konzern und begann in Neumünster gleich mit dem Sparprogramm: Geschäftsführer Henrik Knopp musste gehen, ebenso wie der medizinische Direktor.
Süßlicher Cannabis-Geruch liegt in der Luft. Durch die Rohre unter der Decke plätschert Pflanzennahrung. "Jetzt ist Fütterungszeit, achtmal am Tag wird gefüttert. Wenn die Pflanzen im Wachstum beziehungsweise in der Blühphase sind, haben wir zwölf Stunden Licht und zwölf Dunkelheit. So kriegen sie alle zwei Stunden ihre Menüs serviert. Das heißt, die Dünger sind in Wasser aufgelöst."
Halle mit bereites abgeernteten und zurück geschnittenen Cannabis-Pflanzen.
Nach der Ernte müssen die Pflanzenreste verbrannt werden, unter Zeugen, in einer speziellen Abfallverbrennungsanlage.© Journalistenbüro Grenzgänger / Ernst Ludwig von Aster
Kolisch drückt einen Knopf, lautlos hebt sich eine Jalousie, gibt den Blick frei auf eine Cannabis-Plantage. 1000 Pflanzen stehen nebeneinander, dicht an dicht, alle gleich groß, die Wurzeln in Steinwolle, von der Decke strahlt rötliches LED-Licht. "Wir stehen hier vor der Varietät Bienville, die THC-stärkste Sorte aus unserem Portofolio. Die werden in ungefähr zehn Tagen geerntet." In acht Räumen wachsen die Pflanzen, immer tausend Stück, mit unterschiedlichem Wirkstoffgehalt. Die Handelsnamen, ausgedacht in Canada, stehen an den Türen: Bienville, Big Bear und Churchill. Letzteres ist eine sogenannte 'balanced Sorte', die darf nur hier angebaut werden", sagt Kolisch. Sie enthält eben so viel THC wie CBD und soll ausgleichen, so wie einst Churchill. "Letztendlich ist das angestrebte Ziel, alle zehn Tage eine Ernte durchzuführen. Wir sind jetzt gerade dabei, auf 14 Tage, also alle zwei Wochen eine Ernte durchzuführen, und was wir hier so an Produkt rausliefern, ist dann pro Ernte 60 bis 70 kg an Fertigprodukt."

Investorensuche in Pandemiezeiten

Und was macht der Cannabis-Anbau unweit von Dresden? Der umgebaute Schlachthof wird die "Sichtbarkeit des Pharmastandortes Sachsen nachhaltig stärken", frohlockte Mitte Juli der Wirtschaftsminister. Im Oktober 2021 soll der richtige Anbau beginnen, meldet die örtliche Presse. Adrian Fischer lächelt. Er sieht hinter seiner Maske etwas groggy aus. Vor neun Monaten haben wir uns das letzte Mal getroffen. Jetzt ist es Ende September. Mittlerweile ist er Vater von Zwillingen geworden, in ein paar Tagen wird geheiratet. "Das ganze Team wächst jetzt zusammen. Wir können ja auch nicht darauf zurückgreifen, dass es Leute gibt, die das schon oft gemacht haben. Das heißt: Wir lernen zusammen und gemeinsam." Beim Schlachthof-Umbau. Denn nach der Entkernung stand der Innenausbau auf dem Plan. Im April brauchten Fischer und seine beiden Kollegen erneut frisches Geld, läuteten noch eine Investorenrunde ein.
"Ist natürlich schwierig, eine Investitionsrunde zu machen unter Coronabedingungen, gerade weil der Cannabismarkt ja auch ein internationaler ist. Mit Reisebeschränkungen ist es einfach sehr sehr schwierig, einen Investor nach Deutschland zu kriegen, wenn er nicht fliegen darf." Am Ende klappte es trotzdem. Ein paar Millionen kamen zusammen. Damit geht der Ausbau in die Endphase. Mit Helm und Sicherheitsschuhen geht es die langen Gänge entlang. Frisch rot glänzen die Rohre der neuen Sprinkleranlage. "Wir haben schon die meisten Sachen fertiggestellt, zum Beispiel die Klimaanlange. Die Düngeanlage wird gerade noch installiert. Aber das Wesentliche ist, dass dann am Ende alles zusammenspielt, das heißt, die ganzen Sensoren müssen zusammengeführt werden."

Zum Glück ist der Staat der Kunde

Im Innern Pflanztische, Reihe an Reihe, seitlich rollbar wie ein Bibliotheksregal. Noch eine Überdruckprüfung, dann Einbau der Sicherheitstüren. Die Cannabis-Pflanzen werden derweil in einem Versuchslabor auf ihre Performance getestet. Bald kann es losgehen, sagt Adrian Fischer. Sehr bald. "Wir erwarten, dass die erste Ernte dann im Dezember, Januar kommt, auf jeden Fall noch im ersten Quartal 2022."
Gut ein Jahr später als geplant. Zum Glück ist der Staat der Kunde, der hat Geduld, anders als die Patienten. Fischer zuckt mit den Schultern. Das Monopol der Cannabis-Anbauer erleichtert die Kalkulation, aber nicht die Bauarbeiten. "Wir haben das Beste gemacht. Aber es war unter den gegebenen Bedingungen einfach sehr, sehr schwierig, ein so großes Bauprojekt umzusetzen, wenn dann auch noch die Corona-Situation dazukommt. Leider war ja auch gerade Sachsen mit hohen Inzidenzen betroffen. Das war natürlich schon ein Druck. Aber wir sind froh, dass das überstanden ist und wir auf der Zielgeraden sind."
Fischer eilt weiter. Er will noch eine Halle zeigen. Die haben sie gleich mit umgebaut, für die Zukunft, wenn die Cannabis-Nachfrage steigt. Im letzten Jahr mussten noch mehr als 20 Tonnen importiert werden. Viel Arbeit also für die Anbauer in Dresden und Neumünster. "Hier ist die Reservefläche. Das ist alles BTM-sicher, aber noch nicht für Pflanzen hergerichtet. Das heißt, wenn man sich entscheidet, man brauche mehr in Deutschland produziertes Cannabis, kann das in relativ kurzer Zeit hergerichtet werden und dann eben noch einmal fast die doppelte Menge hergestellt werden."
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