Cannabisanbau in Marokko

Der Rausch ist woanders

22:57 Minuten
Cannabispflanzen auf einem Feld nahe Bab Berred in Marokko.
Die Legalisierung von Teilen der Cannabisproduktion in Marokko soll einen Entwicklungsschub in den Anbauregionen bewirken. © picture alliance / dpa / Le Pictorium / Louis Witter
Von Dunja Sadaqi |
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Marokko will Cannabis für medizinische und kosmetische Zwecke legalisieren. Für die Cannabisbauern in der bettelarmen Rif-Region könnte das eine gute Nachricht sein. Doch viele befürchten, dass das Geschäft wieder einmal an ihnen vorbeigeht.
Mohamed Lmrabet läuft in seinem langen braunen Gewand den Hang entlang, abseits der kurvigen Landstraße haben wir geparkt. Nur wenige Schritte hinunter, dann sind sie schon zu sehen: kleine grüne zarte Pflanzen, wohin das Auge reicht – Cannabis, in Marokko "Kif" genannt.

"Das sind Hanfpflanzen oder das traditionelle Kif Beldi", erklärt Mohamed Lmrabet. "Jetzt ist aber nicht die Zeit für die Ernte – erst im August."

Weltweit die besten Haschischprodukte

Frühsommer in Issaguen, auch als Ketama bekannt, einer 1600-Einwohner-Kleinstadt in der Region Al Hoceima im Norden Marokkos.
Die Region ist für den bislang illegalen Cannabisanbau und weltweit für eines der besten Haschischprodukte bekannt. Seit Jahrhunderten schon leben die Menschen hier von den Hanfpflanzen. Überleben, so nennt es Cannabisbauer Mohamed Lmrabet.

"Überleben, eigentlich nicht mal das. Die Leute hier können nicht mal Lebensmittel einkaufen. Sie leben im Wirtschaftsembargo. Nichts kommt hierher, sie haben kein Einkommen. Leute nehmen Kredite auf, um ihre Felder bestellen zu können. Das heißt, das Geld ist schon ausgegeben, bevor überhaupt geerntet werden kann."
Ein alter Herr mit bunter Mütze steht vor einem Talpanorama.
Das Geld wird schon vor der Ernte ausgegeben - Der Cannabis-Bauer Mohamed Lmrabet. © Dunja Sadaqi, ARD-Studio Marokko
Das grüne Gold habe der Region und den Cannabisbauern keinen Reichtum gebracht. Der Klimawandel und genmanipulierte eingeschleppte Pflanzen machten den Anbau und Verkauf schwerer.

Eine Drogenmafia ist in Europa aktiv

"Es sind die Mafias, die Geld verdienen, aber der Bauer hat nur harte Arbeit, er lebt im Elend."
Das sagt auch Mohamed Aabout. Er ist Journalist und Präsident der Allianz der Rif-Gebirge, eine Organisation, die sich um die Anliegen der Region kümmert. Aabout sagt, der Reichtum werde in Form von Hunderten Tonnen geschmuggelten Haschisch erst in Europa gemacht. Marokko zählt mit Afghanistan zu den größten Haschisch-Exporteuren weltweit.

"Es gibt ein Netzwerk der Drogenmafia, die in Europa aktiv ist. Sie koordiniert sich mit einigen Mitgliedern hier in Marokko, die in die Region der Cannabisbauern kommen, sie kaufen die Produkte an, vertreiben sie.
Die Mehrheit unter ihnen agiert zwischen Spanien, Holland und sogar Deutschland und Frankreich. Im Allgemeinen vereinheitlichen sie den Preis, um das Produkt in Marokko zu einem niedrigeren Preis zu kaufen.
Und wenn man den Preis für die Bauern und den Verkaufspreis der Ware in Europa vergleicht, ist die Diskrepanz hoch. Derzeit kostet das Gramm 20 Cent in Marokko. In Europa wird es für 10 Euro weiterverkauft."
Viele kleine grüne Pflanzen wachsen aus einem trockenen Erdboden in einem Feld.
"Die Mafia verdient, der Bauer lebt im Elend" - ein Cannabisfeld in der marokkanischen Rif-Region.© Dunja Sadaqi, ARD-Studio Marokko
Mohamed Aabout schätzt, dass etwa eine halbe Million Menschen in Marokko vom Cannabisanbau lebt.

Das Angebot übersteigt die Nachfrage

Die Corona-Pandemie habe die sowieso schon schwierige Lage der Menschen in den historischen Cannabis-Anbaugebieten verschärft.

"Die Lage ist schlimm, die Cannabis-Bauern befinden sich in einer wirtschaftlichen Erstickungs-Krise. Und wegen der Schließung der Grenzen durch die Pandemie kamen die Produkte nicht aus dem Land.
Hinzu kommt, dass das Angebot derzeit die Nachfrage übersteigt. Ich würde es so beschreiben: Die ärmsten Regionen Marokkos sind derzeit die Cannabis-Anbaugebiete."

Die ständige Angst vor der Polizei

Das sollte sich eigentlich nun ändern. Marokko hat den Cannabisanbau legalisiert, für den medizinischen und kosmetischen Gebrauch. Die neue Gesetzeslage habe in Issaguen erst einmal für Erleichterung gesorgt, erzählt Mohamed Lmrabet.
"Vorher haben wir im Untergrund gearbeitet, jetzt gehen wir erhobenen Hauptes an die Öffentlichkeit. Dass diese Landwirtschaft verboten war, darunter haben die Menschen gelitten. Sie und ihre Familie haben in ständiger Angst gelebt, von der Polizei drangsaliert zu werden.
Wenn du zum Beispiel ein Problem mit den Nachbarn hattest, konnten sie dich anzeigen und auf einmal standest du wegen Cannabis vor Gericht. So haben die Menschen immer nur wie auf Bewährung gelebt und es war an ihnen, ihre Unschuld zu beweisen."
Die Cannabisbauern wie Lmrabet sprechen heute offen mit Namen und Gesicht vor Mikrofon und Kamera. Das sei ein Fortschritt. Doch für ihn und viele andere hat das neue Gesetz nicht nur positive Seiten.

Wer durch die Kleinstadt Issaguen fährt, dem kann der Ort schon einmal düster vorkommen. Dicker Nebel zieht durch die Stadt, die Straßen sind kaputt und löchrig, es ist schlammig. Viele, vor allem junge Männer lungern auf der Straße herum, andere versuchen Fleisch und Gemüse an kleinen Straßenständen zu verkaufen.
Ein paar Anrufe und wir können uns mit Youssef und Mohammed treffen - beide jungen Männer bauen Cannabis an.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit

Das Einzige, was es hier an Arbeit gebe, sei das Cannabis, erzählt Mohammed. In ganz Marokko liegt die Jugendarbeitslosigkeit zweieinhalb Mal so hoch wie im nationalen Durchschnitt und übersteigt in den Städten vierzig Prozent.
Ein junger Mann mit Weste und Käppi sitzt im Auto.
Das Einzige, was es hier an Arbeit gibt, ist das Cannabis - der Cannabisanbauer Mohammed aus Issaguen.© Dunja Sadaqi, ARD-Studio Rabat
In Issaguen sei dies besonders zu spüren, sagt Mohamed. Viele hätten die Region verlassen, um in größeren Städten Arbeit zu finden. Oder sich aufzumachen Richtung Europa.

"Wir haben ein Auswanderungsproblem: Junge Leute gehen, weil sie keine Arbeit finden. Viele Familien wandern aus unserer Gegend in die Städte, weil die Landwirtschaft nichts mehr einbringt, weil sie arm sind, weil die Gegend einen schlechten Ruf hat und wegen der Dinge, die wir hier erleben."

Angst vor dem Machtmissbrauch durch die Polizei

Die Dinge – damit meint er Machtmissbrauch durch die Polizei, ständige Kontrollen, Bußgelder, Angst angezeigt zu werden und im Gefängnis zu landen. Das Risiko schwebe bislang wie ein Damoklesschwert über den Menschen.
Viele fühlten sich wie Gesetzlose. Manche, so erzählt Mohamed, hätten seit Jahren keinen neuen Personalausweis beantragt oder die Behörden aufgesucht, weil sie Angst hätten, als vermeintliche Drogendealer belangt zu werden.
Der Name der Region im Ausweis sei für manche sogar schon ein Karrierehindernis gewesen. Das führe dazu, dass Kinder nicht registriert würden und deshalb auch nicht in die Schule gehen könnten, weil sie nie bei den Behörden gemeldet wurden.

"Unsere Region wird sterben"

Mohamed und Youssef macht das neue Gesetz Hoffnung, aber auch Sorgen. Sie fordern, dass nur die historischen Anbaugebiete Cannabis produzieren dürfen.
"Wenn die Legalisierung auf nationaler Ebene verallgemeinert wird, dann wird es Probleme geben. Unsere Region wird sterben. Sie ist derzeit schon tot."
Ein junger Mann in Jeans und Weste dreht sich am Steuer seines Autos sitzend nach hinten um.
"Infrastrukturprojekte müssen her"- Cannabisanbauer Youssef aus Issaguen.© Dunja Sadaqi, ARD-Studio Marokko
Und nur beim Cannabis könne es nicht bleiben, sagt Youssef. Infrastrukturprojekte müssten her, für Bildung, Arbeit, Straßen, Krankenhäuser – und Tourismus. Ideen haben die Menschen vor Ort viele.
"Wir wollen Projekte, mehr Straßen, Krankenhäuser, Fabriken, damit die Leute arbeiten können. Ich bin viel in Europa gereist, in Spanien, Belgien, Holland. Hier ist es doch besser. Wir haben doch bessere Berge. Wir haben den zweitgrößten Berg Marokkos nach dem Toubkal. Warum soll es hier keinen Campingtourismus geben? Wenn die Leute einen Job finden, dann bleiben sie hier bei ihren Eltern und Geschwistern."

Der Staat vernachlässigt die Region

Cannabisbauer Mohamed Lmrabet blickt über die hügelige Landschaft seiner Region. Seltene Vogel- und Baumarten soll es hier geben. Wunderbar zum Wandern, sagt er. Den Frust der jungen Generation kann der über 60-jährige Familienvater gut verstehen. Seit er jung war, habe sich hier nicht viel verändert, der Staat vernachlässige die Region.
"66 Jahre Unabhängigkeit und hier fährt kein Zug, 66 Jahre und wir haben keinen Flughafen. Wie können wir in dieser Region über Tourismus sprechen, ohne Hotels, ohne Naturparks für diese Menschen?"
Investitionsprojekte für die strukturschwache Region – das habe die marokkanische Regierung immer wieder versprochen. Der vernachlässigte Norden Marokkos gilt seit Langem als Protesthochburg. Die Protestwellen der vergangenen Jahre nahmen vor allem hier ihren Anfang.

Zehntausende wegen Cannabis im Gefängnis

Cannabisbauer Mohamed Lmrabet sowie den jungen Männern Youssef und Mohammed geht es aber auch um Amnestie: Zehntausende Betroffene sollen wegen Cannabis angeklagt oder schon hinter Gittern sein.
"Die Anklagen gegen die Leute müssen aufgehoben werden. Diese Strafen von bis zu zehn Jahren, die darf es nicht geben. Einige werden mit einem Kilogramm angehalten und landen direkt im Gefängnis."
Bisher fühlen sich die Bauern mit ihren Forderungen nicht gehört.
"Sie müssen zu den Bauern kommen, und mit ihnen sprechen, um die Realität zu sehen. Es geht nicht darum, mit einer Akte in der Hand herumzulaufen, um in der Hauptstadt Rabat im Namen der Landwirte zu sprechen. Sie müssen hierherkommen und zuhören, woran wir leiden, was wir brauchen. Die Menschen hier sind verloren. Es gibt Leute, die haben nichts zu essen."

Milliardeneinnahmen durch Cannabis?

Dabei hat Marokko viel vor mit dem Anbau von Cannabis. Geplant sind eine nationale Behörde für Industrie und Produzenten, Bauern müssen sich in Genossenschaften organisieren. Marokkos Innenministerium rechnet damit, dass der Markt für medizinisches Cannabis in den nächsten Jahren weltweit um jährlich dreißig Prozent wachsen wird.
Das Land verspreche sich davon jährlich Milliardeneinnahmen für die Staatskassen, sagt Abdellah Nourou. Er gehört zu einer Initiative, die Familien und deren Nachkommen repräsentiert, die seit Generationen von Cannabis leben. Nourous Mutter war selbst Cannabisproduzentin.
"Die Cannabiswirtschaft hat nicht nur Einfluss auf die Menschen, die direkt davon leben, sondern sie beflügelt auch die Wirtschaft in der Region drumherum: Cafés, Restaurants usw. Die Region profitiert vom Cannabis, selbst die großen Städte in der Nähe."

Cannabisnutzung zum Vergnügen erlauben?

Damit spricht Nourou auch den Verkauf von Haschisch an. Auch wenn die Droge verboten ist – die Region ist für den Haschischtourismus bekannt.
In Städten wie der beliebten blau-weißen Gebirgsstadt Chefchaouen zum Beispiel wird ausländischen und einheimischen Touristen an allen Ecken und Enden der Stadt Haschisch angeboten oder sie werden in spezielle "Cafés" gelockt.
Eine steinige Berglandschaft mit spärlicher grüner Bepflanzung.
Nachdem immer mehr Staaten die Drogenpflanze Cannabis als Heil- oder Schmerzmittel zugelassen haben, wächst der Markt rasant - auch Marokko profitiert.© Dunja Sadaqi, ARD-Studio Marokko
Cannabisbauer Mohamed Lmrabet wünscht sich, dass Marokko auch den Konsum von Cannabis erlaubt. Immerhin sei das marokkanische "Kif" weltbekannt.

"Wir möchten, dass Cannabis bleibt. Wenn wir über Tourismus sprechen, muss auch die Nutzung zum Vergnügen bleiben. In Holland werden in 'Coffee Shops' Sorten aus verschiedenen Ländern verkauft. Und der Kunde kann wählen, was er will. Warum nicht hier bei uns? Schauen wir uns nur Israel an, es hat Cannabis legalisiert, du gehst zum Arzt, bekommst ein Rezept, dann gehst du zum Apotheker und du nimmst jedes Produkt, das du brauchst: 100 Gramm oder 200 Gramm, aus Öl oder Hanf. Warum sollen wir das nicht machen?"

Den Fluch des grünen Goldes beenden

Auch Aktivist Abdellah Nourou findet, es sei an der Zeit, dass der Fluch des grünes Goldes durch den marokkanischen Staat beendet werde. Immerhin habe Cannabis Marokko und Europa vor weiteren sozialen Unruhen bewahrt.
"Der Staat hat sich immer den sozialen Frieden mit Cannabis in der Region gekauft. Und es ist nicht nur der marokkanische Staat, der davon profitiert hat. Auch die europäischen Staaten, denn die Cannabiswirtschaft hat in den 80er-, 90er- bis zu den 2000er-Jahren vielen Menschen auf den Cannabisfeldern Arbeit verschafft. Wären die Menschen nicht so für die Saisonarbeit beschäftigt gewesen, hätten Abertausende mehr an Migration nach Europa gedacht."
Die neue Regelung muss in Marokko jetzt erst einmal angewendet werden – viele Cannabisbauern besitzen keine Landrechte für ihre Felder, eines von vielen Problemen, das auf die Cannabisbauern zukommen wird.
Aktivisten wie Abdellah Nourou und viele Cannabisbauern hoffen nun, dass der Staat seine Cannabisindustrie in der Rif-Region ansiedelt und damit das ganze Gebiet aus der Armut holen wird.
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