Info: Die Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa" ist vom 16. Dezember 2018 bis 24. März 2019 im Centraalmuseum Utrecht zu sehen.
"Mit ungekanntem Realismus für eine Revolution gesorgt"
Caravaggios neuartiger Realismus und sein mysteriöses Licht waren prägend für viele Maler. Eine einzigartige Ausstellung zeigt rund 70 der wichtigsten Werke der bedeutendsten "Caravaggisten", zuerst in Utrecht und 2019 in den Münchner Pinakotheken.
Drei Wege führten nach Rom: die Basler Route über die Alpen, dann die über München, Innsbruck und Mailand, und eine dritte an die Häfen der Côte d'Azur, per Schiff nach Genua und dann über Land weiter nach Rom. Hunderte von Künstlern aus ganz Europa machten sich um 1600 auf in Richtung Süden.
Rom galt damals als kulturelles Zentrum der Welt. 2.700 Künstler waren dort registriert, darunter gut 600 aus dem Ausland: Sie alle wollten die Antike studieren und die Meisterwerke der Renaissance. Welche Route die drei jungen Utrechter Maler nahmen, ist unbekannt. Aber auch sie dürften den größten Teil der mehr als 1.600 Kilometer zu Fuss zurückgelegt haben: Gerard van Honthorst, Dirck van Baburen und Hendrick ter Brugghe.
Zusammenarbeit mit der Alten Pinakothek München
"Sie sind der Ausgangspunkt dieser Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Alten Pinakothek in München entstand", so Kuratorin Liesbeth Helmus vom Utrechter Centraalmuseum.
In Rom wollten die drei Utrechter vor allem eines sehen: Das Werk jenes Mannes, dessen Ruhm sich bis an die Nordsee herumgesprochen hatte und der, wie es der niederländische Kunsthistoriker Karel van Mander damals formuliert hatte, "wonderlijcke dinghen" malte - "wunderliche Dinge": Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio.
Mit dramatischen Licht-Dunkel-Effekten und einem ungekannten Realismus hatte er für eine Revolution gesorgt, für einen regelrechten Schock. Die Niederländer kannten zwar selbst bereits eine lange realistische Bildtradition, aber so etwas hatten auch sie noch nie gesehen, erklärt Helmus' Münchner Kollege Bernd Ebert von der Alten Pinakothek bei der feierlichen Eröffnung der Ausstellung:
"Welchen Mut er bewiesen hat, um Figuren, die auch heute noch aussehen, als würden sie von der Strasse kommen, als Heilige darzustellen, mit diesem Realismus, der eigentlich für die Zeit viel zu stark ist."
Caravaggio persönlich haben die Utrechter Maler nicht mehr kennengelernt: Er musste 1606 aus Rom flüchten, nachdem er bei einer Schlägerei einen Mann getötet hatte. Und so wild wie dieser Maler war damals auch Rom selbst: "Das war ein ziemlich wildes Pflaster damals, mit all den Pilgern und auch den, sagen wir, anrüchigen Gaststätten, mit Glücksspiel, mit Armut, mit Gewalt.", sagt Ebert.
Caravaggios Nachahmer entwickelten sich weiter
Zunächst folgten die drei Niederländer dem Aufruf Karel van Manders, der allen Lehrlingen riet, bei Meisterwerken "te stelen en te rapen"- sprich: zu stehlen und klauen, was das Zeug hielt. Doch sie beliessen es nicht beim bloßen Kopieren. So wie viele ihrer europäischen Kollegen entwickelten auch sie sich weiter. Van Honthorst etwa ließ das Licht anders einfallen. Das hat ihm den Beinamen "Gherardo delle notti" verschafft - "Gerhard der Nächte".
"Er hat letztendlich das Kunstlicht eingeführt, Kerzen, Fackeln. Anders als bei Caravaggio ist die Lichtquelle nicht außerhalb des Bildes, sondern im Bild. Große Schatteneffekte, ganz andere Inszenierung.", so Bernd Ebert.
Und egal, ob Niederländer oder Franzosen: Ihre nationalen Eigenheiten haben sie alle beibehalten. Schönstes Beispiel: Caravaggios Grablegung aus dem Vatikan, das Prunkstück der Ausstellung. Sie wird flankiert von einer Grablegung von Dirck van Baburen und einer des Franzosen Nicolas Tournier. Bei Caravaggios dramatischer Inszenierung halten die Protagonisten inne, suchen Kontakt mit dem Betrachter, präsentieren den leblosen Leib Christie, als wollten sie sagen: "Seht her, dieses Opfer hat er gebracht."
Utrechter Caravaggisten trieben den Realismus auf die Spitze
Ganz anders Dirck van Baburen: Bei ihm wird der Betrachter zum Voyeur und sieht mit an, wie die Personen mit dem schweren großen Leichnam kämpfen, wie sie gerade noch verhindern können, dass er nach vorne kippt. "Bei Tournier hingegen", so Kuratorin Liesbeth Helmus, "ist der tote Christus leicht wie eine Feder und kann elegant zu Grabe getragen werden. Realismus schön und gut, aber die für sie so typische Eleganz dafür zu opfern, das ging den französischen Malern zu weit."
Die Niederländer hingegen trieben unter dem Einfluss Caravaggios ihren eigenen Realismus auf die Spitze. Was der Italiener nur ansatzweise gezeigt hatte, brachten sie voll ins Bild: schmutzige Füße, dreckige Fingernägel, faule Zähne. Dazu reicht ein Blick auf die fröhlichen Trinker und Musikanten, die Hendrick ter Brugghen in seiner Romzeit festgehalten hat.
Kuratorin Helmus: "Im Gegensatz zu den anderen haben die Utrechter Caravaggisten Hässlichkeit als Teil des realen Lebens akzeptiert. Hässlichkeit gehört dazu."