Caritas-Präsident beharrt auf Tariffindungssystem der Kirchen

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, verteidigt das eigene Tariffindungssystem der Kirchen. Das System habe sich bewährt und stelle eine Alternative dar. Wer heute unterliege, so Neher, werde sich danach an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wenden.
André Hatting 1,3 Millionen Menschen haben in Deutschland die Kirche als Arbeitgeber. Sie ist damit nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber. Für die Angestellten der katholischen Caritas oder der evangelischen Diakonie gelten besondere Bedingungen, denn nicht der Tarifvertrag mit den Gewerkschaften regelt hier Löhne und Arbeitszeiten, sondern Kommissionen. Streiks oder Aussperrung gibt es nicht, man setzt auf Harmonie. Das ging lange gut, weil sich die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien weitgehend am Tarif des öffentlichen Dienstes orientierten. Mittlerweile gibt es aber auch hier Outsourcing und Leiharbeit und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di spricht sogar von Lohn-Dumping. Sie will deshalb das Recht auf Arbeitskampf auch bei den kirchlichen Trägern durchsetzen. Heute entscheidet das Bundesarbeitsgericht in Erfurt darüber. Am Telefon ist jetzt Peter Neher, er ist Präsident der Caritas. Guten Morgen, Herr Neher!

Peter Neher: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Der Sonderweg, der sogenannte dritte Weg der Kirchen, begann in den 50er-Jahren. Seitdem hat sich ja nun vieles auf dem Arbeitsmarkt verändert, warum halten Sie trotzdem daran fest?

Neher: Nun gut, ich denke, es ist zunächst mal ein sehr auf Konsens orientiertes, ausgerichtetes Tariffindungssystem und ich habe den Eindruck, dass in vielen Großprojekten der Vergangenheit, wenn ich an Stuttgart 21 denke, der Bedarf ist, auch schwierige Konflikte im Konsens zu lösen. Und da glaube ich, dass das Tariffindungssystem der Kirche mit ihrer Caritas hier eigentlich ein sehr adäquates Tarifsystem darstellt.

Hatting: Die Gewerkschaft Ver.di behauptet, dass das Lohnniveau von Erzieherinnen, Altenpflegern oder Krankenschwestern in kirchlichen Einrichtungen oft unter dem der öffentlich Beschäftigten liegt, mittlerweile zumindest. Warum dürfen Ihre Angestellten dann nicht durch Streiks für bessere Löhne kämpfen?

Neher: Diese Berechnungen von Ver.di stimmen schlicht und einfach nicht. Wir haben weitgehend in den von Ihnen genannten Bereichen sogar in der Regel wesentlich höhere Tarife als die, die mit Ver.di ausgehandelt sind. Und im Übrigen geht es ja vom Prinzip aus, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Tarife eben in paritätisch besetzten Kommissionen aushandeln. Und da gibt es Ergebnisse nur mit einer Dreiviertelmehrheit. Also, insofern haben hier auch die Arbeitnehmer ein starkes Instrument, ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Hatting: Das war jetzt klar, dass Sie die Zahlen infrage stellen, ist auch Ihr gutes Recht, Herr Neher. Ich will mal ein anderes Beispiel nehmen, denn es geht ja hier nicht nur um Löhne, sondern auch um Fragen des Arbeitsrechtes allgemein: In Ulm hat die Caritas im August die Leiterin eines Kindergartens gefeuert, weil sie sich zu ihrer Homosexualität bekannt hat. Ein katholischer Arzt in Düsseldorf wird entlassen, weil er nach der Scheidung wieder geheiratet hat, ein Organist in Essen verliert wegen Ehebruchs seinen Job und so weiter. Mit einem gewerkschaftlichen Tarifvertrag wäre das nicht möglich gewesen!

Neher: Nein, das stimmt so nicht. Das, was Sie nennen, sind die sogenannten Loyalitätsobliegenheiten. Das ist das, was die Kirche von ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen erwartet in ihrer persönlichen Lebensführung, so wie jedes andere Unternehmen, auch ein Gewerkschaftsunternehmen den Anspruch hat, dass ihre Mitarbeiter in der eigenen Grundauffassung das Unternehmen mittragen. Und die genannten Fälle haben schlicht und einfach mit den Grundauffassungen der katholischen Kirche zu tun, wo die Kirche erwartet, dass ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diese Grundüberzeugungen auch mit ihrem persönlichen Leben teilen. Das ist der Grund und hat mit der Tariffindung nichts zu tun.

Hatting: Bei denen die Gewerkschaften auch nicht mitreden sollen?

Neher: Da haben die Gewerkschaften auch nichts damit zu tun. Weil, schauen Sie, bei uns hat jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin das unmittelbare Recht, über die Mitarbeitervertretung die eigentlichen, eigenen Belange zu vertreten. Im gewerkschaftsorientierten Bereich sind das nur die gewerkschaftlich Organisierten. Und wenn Sie einen Organisationsgrad von teilweise fünf Prozent und weniger hernehmen im Sozialbereich, wäre das ein sehr kleiner Teil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die überhaupt die Chance hätten, ihre Tarife mit zu gestalten.

Hatting: Wovor haben Sie dann Angst, wenn der Organisationsgrad so gering ist?

Neher: Da habe ich überhaupt keine Angst. Es geht auch gar nicht um Angst, sondern es geht darum, dass hier die Kirchen ein eigenes System der Tariffindung haben, das auf Konsens ausgelegt ist und das eine Alternative zum zweiten Weg darstellt. Wo steht denn geschrieben, dass alles nur nach dem zweiten Weg gehen soll? Also, ich bitte Sie! Es ist legitim und es hat sich in den vielen Jahrzehnten, glaube ich, bewährt, dass die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden dieses eigene Tariffindungssystem haben.

Hatting: Es steht aber auch nirgendwo geschrieben, dass die Gewerkschaften grundsätzlich auf Krawall gebürstet sind, dass es also immer zum Arbeitskampf kommen muss.

Neher: Das unterstelle ich auch gar nicht. Ich finde es durchaus legitim, dass es Unternehmen gibt, in denen die Gewerkschaften tatsächlich agieren und auch ihre Tarife aushandeln. Ich nehme nicht, ich erwarte ja auch nicht, dass im gesamten Sozialbereich oder im gesamten Wirtschaftsbereich alles nach dem Konsensprinzip des dritten Weges geht. Sondern wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir ein gleichwertiges Tariffindungssystem haben, das sich in vielen Jahren und Jahrzehnten bewährt hat. Und um nichts anderes geht es. Und wir wehren uns dagegen, dass ein bestimmtes System der Tariffindung jetzt auch von uns erwartet wird. Da geht es nicht um Angst, sondern da geht es um Gleichwertigkeit und um Augenhöhe.

Hatting: Könnten Sie mit dem Kompromissmodell der nordelbischen Kirche leben? Die hat Tarifverträge mit Ver.di geschlossen, knüpft die Verhandlungen aber an einen gegenseitigen Verzicht von Aussperrung und Streik.

Neher: Das ist für uns kein Modell, was die nordelbische Kirche hier gemacht hat, weil – noch mal – wir ein Gesamtfindungssystem für Tarife haben, das die Gewerkschaften nicht vorsieht. Und es gibt im Moment für uns keinen Anlass hier, auf solche Kompromisse zu schielen, sondern wir gehen davon aus, dass dieses Recht der Kirchen, das auf Artikel 140 des Grundgesetzes basiert, dass das auch jetzt Bestand hat.

Hatting: Sollten Sie heute in Erfurt verlieren, ziehen Sie dann vor das Bundesverfassungsgericht?

Neher: Es ist davon auszugehen, dass, egal welche Seite sogenannte Verlierer sind, dass die vors Bundesverfassungsgericht gehen, weil es sich hier um sehr grundsätzliche Fragen handelt.

Hatting: Recht auf kirchliche Selbstbestimmung contra Grundrecht auf Streik. Heute entscheidet das Bundesarbeitsgericht, ich sprach mit dem Präsidenten der Caritas, mit Peter Maria Neher. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Neher!

Neher: Ich danke Ihnen, Herr Hatting!


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