Hoffnungsvolle Überschriften ohne Inhalt
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Man wolle die Weichen für ein Jahrzehnt der sozialen Erneuerung stellen und den sozialen Zusammenhalt fördern, heißt es im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. Doch konkret wurde dazu wenig verabredet, meint Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa.
Seit 1992 ist der 17. Oktober der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut. Notleidenden und ausgegrenzten Menschen soll damit Gehör verschafft werden. So hat es sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt. In Deutschland macht sich unter anderem der Caritasverband für all jene am Rand der Gesellschaft stark und leistet konkrete Hilfe für Menschen in Not.
Zu tun gibt es genug: Mehr als jeder sechste Mensch in Deutschland gilt als arm. Doch das zwischen SPD, Grünen und FDP ausgehandelte Sondierungspapier, das die nächste Bundesregierung vorbereiten soll, enttäuscht Eva Welskop-Deffaa, die frisch gewählte Präsidentin der Caritas.
Fehlstelle: soziale Verantwortung
"Auf der Ebene der Überschriften liest sich alles sehr gut", sagt sie, "da halten die drei Parteien fest, dass sie ein Jahrzehnt der sozialen Erneuerung gestalten wollen. Das klingt für uns hoffnungsvoll. Auch den sozialen Zusammenhalt wollen sie fördern. Aber wenn man sich eine Ebene darunter anschaut, was sie bei den großen Querschnittsthemen tatsächlich verabreden, bei Digitalisierung, Klimaschutz und Innovationen, dann fehlt bei allen drei Themen jeder Bezug zur sozialen Verantwortung."
Das Soziale werde in extra Kapiteln abgehandelt, und man spüre überhaupt nicht, dass die Parteien verstanden hätten, dass ein nachhaltiger Klimaschutz überhaupt nur von der Bevölkerung mitgetragen werde, wenn er zugleich sozial verantwortlich sei – beispielsweise mittels einer Klimaprämie, für die sich der Caritasverband schon länger stark macht.
Das Soziale werde in extra Kapiteln abgehandelt, und man spüre überhaupt nicht, dass die Parteien verstanden hätten, dass ein nachhaltiger Klimaschutz überhaupt nur von der Bevölkerung mitgetragen werde, wenn er zugleich sozial verantwortlich sei – beispielsweise mittels einer Klimaprämie, für die sich der Caritasverband schon länger stark macht.
"Da muss noch erheblich nachgearbeitet werden"
Auch vom Klimawandel als Fluchtursache lese man nichts in dem Papier. Besonders der Aspekt der internationalen Verantwortung sei extrem enttäuschend, sagt Welskop-Deffaa:
"Da spricht das Papier nur davon, dass man Verträge erfüllen wolle. Eine wirkliche Erneuerung einer internationalen Politik, die die Armen in den Blick nimmt, ist überhaupt nicht zu erkennen. Beim Thema Europa spricht man davon, dass man ein europäisches Eisenbahnnetz haben will. Die Säule 'soziale Rechte' wird nicht einmal erwähnt. Das alles treibt uns ganz heftig um und zeigt, dass in den anschließenden Verhandlungen doch noch erheblich nachgearbeitet werden muss."
Digitalisierung könnte die soziale Kluft noch vertiefen
Aber auch beim Thema Digitales fehle der soziale Aspekt, so Welskop-Deffaa: Die Pandemie habe überdeutlich gezeigt, dass die Chancen, im digitalen Raum zurechtzukommen, sehr ungleich verteilt seien. "Die armen Haushalte haben keinen Laptop, sie haben kein WLAN, sie verfügen nicht über die ausreichenden digitalen Kompetenzen. Und wenn hier gar nichts unter der Überschrift Digitalisierung zu lesen ist, was diesen Kompetenzrückstand ausgleichen soll, dann könnte sich hier die soziale Kluft noch weiter verschärfen."
Doch zumindest beim Thema Kindergesundheitsversorgung hat sich Welskop-Deffaa über das Sondierungspapier gefreut, das sei ein Thema, das über Lebenschancen entscheide. Zwar könne man auch hier etwas am Papier nacharbeiten, "aber der Grundduktus an der Stelle hat mir gefallen".