"Carl Melchior - Jüdischer Vorkämpfer eines europäischen Friedens"
Ausstellung in der W. M. Blumenthal Akademie
noch bis 28. Juni 2019
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Ein Jahrhundertdiplomat der 20er
07:01 Minuten
Kaum eine internationale Verhandlung in der Weimarer Republik kam ohne Carl Melchiors Sachverstand aus. Die Nazis reagierten mit blankem Hass. Heute ist dieser damals so wichtige Diplomat in Vergessenheit geraten - zu Unrecht.
In einem Nachruf auf Carl Melchior ist im Berliner Tageblatt am 3. Januar 1934 zu lesen:
"Er litt mehr, als er es bei seiner Nervenbeherrschung zeigte, unter dem zermürbenden Kampf, den er in Versailles und später in den internationalen Konferenzen für Deutschland zu führen hatte. Denn dieser gemessene, kühle Mann war ein Deutscher, der sein Volk mit tiefer Innigkeit liebte. Seine gewaltige Arbeitskraft, seine genaue Kenntnis der weltwirtschaftlichen Beziehungen, seine klare Logik dienten seit Versailles der Arbeit für den Aufbau Deutschlands."
Mutige Worte des Journalisten Paul Block, der diesen Nachruf im Pariser Exil schreibt. Im Januar 1934 sind die Nationalsozialisten bereits seit knapp einem Jahr an der Macht und die staatliche Verfolgung aller Demokraten und Juden hat längst begonnen. Carl Melchior zählt als vermeintlicher Landesverräter zu den beliebtesten Angriffszielen.
Ein bei den Nazis verhasster Mann des Friedens
Einer breiten Öffentlichkeit ist Melchior damals aber noch ein Begriff: Als Diplomat hat er sich in den Jahren 1918 bis 1933 national und international einen bedeutenden Ruf erworben.
"Carl Melchior hab ich kennengelernt als jemanden, der sich wirklich aufreibt, um einen europäischen Frieden zu erreichen", erklärt der Historiker Christoph Kreutzmüller. "Der ganz wichtige Schritte macht und einfach vergessen wird. Das ist ja wie so ein Stein, der ins schwarze Loch geworfen wird. Nach 1945 kennt den eigentlich niemand mehr, vor 1933 war er in aller Munde."
Melchior war "ein Wunder an Kontinuität"
Um an diesen wichtigen Deutschen der Zwischenkriegsjahre zu erinnern, hat Christoph Kreutzmüller im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin gemeinsam mit seiner Kollegin Dorothea Hauser eine kleine Ausstellung erarbeitet. Sie zeigt wichtige Lebensstationen Carl Melchiors und würdigt ihn als glühenden Patrioten, Pazifisten, Demokraten und Europäer:
"Zur Zeit reden wir ja wieder drüber, was Europa ist, dass Europa ein großes Friedensprojekt ist", sagt Christoph Kreutzmüller. "Daran knüpft diese Ausstellung natürlich auch ein Stück weit an – weil genau nach diesem alles verheerenden, auch die Geister verheerenden ersten Weltkrieg die Frage war: Was machen wir denn jetzt, wie kommen wir aus diesem – mit Verlaub Scheißkrieg – aus diesem Morden raus? Mit einem graden Rücken und ein bisschen Anstand? Das versucht er – und das versucht er ziemlich erfolgreich."
Dorothea Hauser arbeitet für die Stiftung Warburg Archiv und hat sich intensiv mit der Biografie Melchiors beschäftigt:
"Man kann wirklich sagen, dass Carl Melchior in dieser politisch zerrissenen Erdbebenlandschaft der Weimarer Republik ein Wunder an Kontinuität ist, denn er steht allen Reichsregierungen zur Verfügung. Niemand kann auf ihn verzichten. Und woran liegt das? Das liegt zum einen an seiner Expertise. Die Mischung aus: Er ist ein wirklich begabter Bankier, aber er ist von Haus aus Jurist und er hat als Richter gearbeitet und auf der anderen Seite ist er eben – auch selten damals – ist er eben ein überzeugter Demokrat. Er ist Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei, der DDP, die das Rückgrat der Weimarer Republik am Anfang bildet."
Ein "verlässlicher Verhandlungspartner"
Der 1871 geborene Caspar Melchior stammte aus einer jüdischen Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie. Er studierte Jura in Bonn und Berlin, nahm am Ersten Weltkrieg als Offizier teil, kehrte aber schon 1915 nach einer schweren Verwundung in seinen zivilen Beruf zurück. 1917 wurde er Teilhaber des Hamburger Bankhauses Warburg.
Während des Krieges kümmerte er sich für das Deutsche Reich um die Lebensmittelversorgung, machte sich als strategischer Denker bei der Verhandlung des Waffenstillstands und des Friedensvertrages von Versailles sowie später in der Außenfinanzpolitik der Weimarer Republik unverzichtbar, sagt Christoph Kreutzmüller:
"Er wird immer wichtiger, weil er eben akzeptiert wird – und die britische Delegation schnell begreift, dass er ein verlässlicher Verhandlungspartner mit Augenmaß ist."
Meinungsdruck von allen Seiten
Mit dem Ökonomen John Maynard Keynes, dem Leiter der britischen Delegation bei den Versailler Verhandlungen, verbindet Melchior eine Freundschaft. Im März 1919 verhandeln die beiden in Brüssel die Übergabe der deutschen Handelsflotte und die Aufhebung der Lebensmittelblockade und damit auch die Beendigung der Hungersnot in Deutschland.
"Er argumentiert sehr häufig mit dem Machbaren und sagt zum Beispiel sehr häufig: Das, was ihr hier in Versailles fordert, das können wir nicht", erklärt Christoph Kreutzmüller. Dorothea Hauser ergänzt: "Das ist ein wichtiger Punkt in einem Zeitalter, das mit dem heutigen vielleicht vergleichbar ist, dass es einen unglaublichen Meinungsdruck von allen Seiten gibt, ein hohes Maß an Ideologemen und Fake News. Das ist eigentlich die Zeit damals. Und da ist er jemand, der sagt: Es geht nicht nur um Meinung und Haltung, es geht um Fakten und das kann man überprüfen."
Verleumdet und verhaftet
Keine Reparationskonferenz – ob in Paris, Spa, Brüssel, London, Genua oder Paris - ohne Melchiors Sachverstand. Ab 1926 vertritt er Deutschland als Finanzexperte beim Völkerbund. 1932 gelingt es ihm bei der Konferenz von Lausanne, die Aufhebung der deutschen Reparationsleistungen zu verhandeln – ein gigantischer diplomatischer Erfolg, den allerdings wenig später die Nationalsozialisten für sich verbuchen. Dorothea Hauser:
"Das ist eine doppelte Tragik", sagt Dorothea Hauser. "Er wird verleumdet, er wird verfolgt, er rechnet vor seinem Tod fest mit seiner Verhaftung."
Als Hitler im Januar 1933 an die Macht gelangt, verliert Melchior alle Ämter. Sofort engagiert er sich für die jüdische Selbsthilfe, wie zuvor ohne Rücksicht auf seine gesundheitlichen Grenzen. Am 30. Dezember 1933 stirbt er kurz vor der Geburt seines Sohnes an einem Schlaganfall.
Eine Würdigung ist überfällig
Es gibt in Deutschland keine Denkmäler für Carl Melchior, keine Straße ist nach ihm benannt, kein Preis, auch keine ausführliche Biografie würdigt sein Werk.
Mit der kleinen Ausstellung im Eingangsbereich der Jüdischen Akademie in Berlin ist jetzt ein erster Schritt getan – vielleicht ein erster Schritt, diesen deutschen Jahrhundertdiplomaten noch einmal neu zu entdecken.