Fluch und Segen der Popularität
Carl Orffs "Carmina burana" gilt als eines der meist gespielten Klassik-Werke des 20. Jahrhunderts, ist aber aufgrund der Entstehungszeit umstritten. Dirigent Jos van Immerseel plädiert für einen entspannten Umgang.
Das Bonmot von der "skandalösen Popularität" war ursprünglich auf Gustav Mahler gemünzt, kann aber ohne Schwierigkeiten auf die "Carmina burana" übertragen werden. Immerhin ist Carl Orffs Stück das wohl meist gespielte Klassik-Werk des 20. Jahrhunderts neben Ravels "Bolero" – und das nicht nur in konzertanten und theatralischen Zusammenhängen, sondern mindestens ebenso oft als Werbetrailer; was manchen Kritikern nicht zuletzt deswegen Bauchschmerzen bereitet, weil es sich, im faschistischen Deutschland entstanden und 1937 uraufgeführt, zumindest stellenweise ziemlich konform zur NS-Ästhetik zu verhalten scheint.
Jos van Immerseel – Dirigent einer Aufsehen erregenden Einspielung vor anderthalb Jahren und Gesprächsgast dieser Sendung – plädiert hier allerdings für Entkrampfung. Für ihn sind die "Carmina" vor allem Produkt einer großartigen Klangfantasie – und der bisher am weitesten an die Gegenwart heranführende Schritt in seiner Auseinandersetzung mit Originalklang-Besetzungen; was konkret zum Beispiel heißt, dass der Chor nur reichlich 30 Sänger umfasst.
Im Klangvergleich kommen daneben aber auch ältere, monumentaler konzipierte Auffassungen zum Tragen, darunter die von Orff selbst besonders gemochten unter Herbert Kegel und Eugen Jochum aus den 60er-Jahren.