NS-Juristen und ihre Rolle nach 1945
Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber waren führende NS-Juristen und legitimierten die Hitlerdiktatur und ihre Verbrechen juristisch. Ab 1945 waren sie mit Fragen nach Verantwortung und Schuld konfrontiert - und fanden unterschiedliche Antworten.
Eine gediegene Buchhandlung im bürgerlichen Bezirk Zehlendorf in Berlin. Es ist ein ruhiger Abend, eine Lesung findet statt, viele weißhaarige Menschen sind gekommen. Ein Buch wird vorgestellt.
Wolfgang Huber: "Zum Juristen bin ich erst geworden, als ich 1924 das Studium in Bonn aufnahm. Die Jurisprudenz hat, wie alle Wissenschaften, eine Doppelnatur: Sie ist ein Handwerk und sie ist eine Kunst. Das Handwerkliche muss gelernt werden mit Fleiß und Beharrlichkeit; man braucht als Lehrmeister einen guten Rechtstechniker."
Ein Buch über einen deutschen Juristen und über die Abgründe der Jurisprudenz.
Wolfgang Huber: "Die Jurisprudenz als Kunst aber ist mir in Bonn aufgegangen bei Carl Schmitt, der damals, als ich ihm in Bonn begegnete, erst in den Anfängen seines Ruhmes stand. Er war damals ..."
Der Sohn liest aus einem Brief seines Vaters.
Wolfgang Huber: "Er war damals ein junger Mann, etwa Mitte Dreißig, ein katholischer Rheinländer von brillantem Geist, universaler Bildung, faszinierender Argumentationskraft, vollendetem Sprachstil. Vergegenwärtigen Sie sich einen Augenblick, was es für mich als einen jungen, ziemlich unwissenden, auch unbeholfenen Studenten, der zudem mit seinem Studium noch ganz im Unklaren war, bedeutete, Zugang in den engeren Kreis eines Gelehrten von solchem Rang zu finden."
Ein Briefwechsel von Carl Schmitt mit Ernst Rudolf Huber. Der Historiker Ewald Grothe hat in jahrelanger Arbeit den brieflichen Gedankenaustausch der beiden führenden Staatsrechtler der NS-Zeit gesammelt, bearbeitet und herausgegeben. Wie tickten diese brillanten Juristen der Zwanziger und Dreißiger Jahre? Warum stellten sie ihr großes Können einem Regime zur Verfügung, das den Rechtsstaat eliminierte, um unbegrenzt Verbrechen verüben zu können? Wie sind sie später damit umgegangen?
Wolfgang Huber: "In und durch Schmitt lernte ich den Katholizismus kennen und, soweit das einem Nicht-Katholiken möglich ist, begreifen. Ich erhielt ..."
An jenem Abend in der gediegenen Buchhandlung in Berlins noblem Bezirk Zehlendorf liest Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, aus Briefen und Texten seines Vaters Ernst Rudolf Huber vor. Sein Leben lang hat er sich schon mit seinem Vater auseinandergesetzt.
Ernst Rudolf Huber schaute bewundernd zu Carl Schmitt auf
Wolfgang Huber weiß: Sein Vater Ernst Rudolf Huber hat bewundernd zu Carl Schmitt aufgeschaut. Anfang der 60er-Jahre hat Ernst Rudolf einen Lebensbericht verfasst – bei der Aufnahme in den Rotary-Club von Wilhelmshaven, mit einer Eloge auf Carl Schmitt, den man heute zu den berühmt-berüchtigten "furchtbaren Juristen" zählen würde:
Huber: "Ich erhielt durch Schmitt zugleich Zugang zum römisch-mediterranen Wesen und zur römischen Form. Ich war bis dahin in meinem geistigen Habitus sehr romantisch-deutsch, jugendbewegt, emotional und sentimental. Jetzt ging mir die Klarheit, die Helle, die Präzision des romanisch-mittelmeerischen Denkens auf; ohne diese Klärung, Härtung und Formung des Denkens wäre ich nicht geworden, was ich bin."
Die Beziehung zwischen Ernst Rudolf Huber und Carl Schmitt beginnt schon Anfang der 1920er Jahre in Bonn. Huber ist 22 Jahre jung, als er 1926 promoviert - beim Verfassungsrechtler Carl Schmitt, der bereits ein Star-Intellektueller ist, gerade in rechten Kreisen der Weimarer Republik. Mit starken Thesen hat Schmitt auch außerhalb der Wissenschaft auf sich aufmerksam gemacht – wie in dem Buch "Politische Theologie" aus dem Jahr 1922:
Zitat Schmitt: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."
Ausnahmezustände haben damals, in den ersten Jahren der Weimarer Republik, tausende Menschen das Leben gekostet.
Das Thema der Dissertation Hubers ist dagegen unverdächtig – es geht darum, wie die Vermögensrechte der Kirchen in der Weimarer Verfassung garantiert werden. Dessen ungeachtet gilt Huber als Bonner Meisterschüler Schmitts – "das beste Pferd" in dessen Stall, wie das spätere NS-Parteimitglied, der Staatsrechtler Carl Bilfinger, es Ende 1932 in einem Brief an Schmitt schreibt.
Huber habilitiert sich im Wirtschaftsrecht, mit 28 Jahren. Sein Doktorvater Carl Schmitt profiliert sich in den Zwanziger Jahren immer mehr als Gegner des Parlamentarismus und der Weimarer Verfassung. Schmitt ist fasziniert vom italienischen Faschismus, über den er in "Wesen und Werden des faschistischen Staates" 1929 schreibt:
Zitat Schmitt: "Daß der Faschismus auf Wahlen verzichtet und den ganzen 'elezionismo' haßt und verachtet, ist nicht etwa undemokratisch, sondern antiliberal und entspringt der richtigen Erkenntnis, daß die heutigen Methoden geheimer Einzelwahl alles Staatliche und Politische durch eine völlige Privatisierung gefährden, das Volk als Einheit ganz aus der Öffentlichkeit verdrängen (der Souverän verschwindet in der Wahlzelle) und die staatliche Willensbildung zu einer Summierung geheimer und privater Einzelwillen, das heißt in Wahrheit unkontrollierbarer Massenwünsche und -ressentiments herabwürdigen."
Schmitts Gegenthese hatte etwas gefährlich Suggestives
Das Wahlrecht zerstört das Volk als Einheit, es privatisiert die staatliche Willensbildung und macht sie unkontrollierbar: Schmitts Gegenthese zur Demokratietheorie hat in ihrer gedanklichen Schärfe etwas gefährlich Suggestives. 1930 wird Deutschland eine Präsidialdiktatur, eingefädelt vom General Kurt von Schleicher, sein Berater in Verfassungsfragen ist Carl Schmitt. Es ist diese Nähe zur Macht, die ihn noch Jahrzehnte später mit Stolz erfüllt:
Carl Schmitt: "Ich war ja Berater und Freund von Schleicher."
Carl Schmitt ist der Vordenker einer autoritären Staatsräson, Ernst Rudolf Huber sein Wunderkind. Schmitt vermittelt, dass auch Huber Ende 1932 Berater der Reichsregierung und führender Militärs in Berlin wird. Hier verfasst Huber die Schrift "Reichsgewalt und Staatsgerichtshof". Sie legitimiert den Preußenschlag, die Absetzung der SPD-geführten Regierung Preußens durch Reichskanzler von Papen am 20. Juli 1932 – damit ist das letzte Bollwerk der Weimarer Demokratie beseitigt. Huber und Schmitt: Beide sind fasziniert vom Gedanken eines "totalen Staates", der das Volk einen soll.
Zitat Huber (Wolfgang Huber): "Mit diesen und vielen anderen guten Wünschen für das Neue Jahr verbinde ich den Dank für die Güte und die Freundschaft ...."
Zitat Huber: "... die Sie und Frau Schmitt mir im vergangenen Jahr erwiesen haben. Der Aufenthalt in Ihrem Hause und die Zusammenarbeit mit Ihnen gehört zu den schönsten Erinnerungen an das Jahr 1932."
Schreibt Ernst Rudolf Huber in enger Verbundenheit an Schmitt am 8. Januar 1933 – wenige Wochen, bevor Hitler an die Macht kommt.
O-Ton Machtergreifung: "30. Januar 1933. Berlin, Wilhelmstraße: In erleuchteten Fenstern stehen grüßend, Adolf Hitler, seit heute Reichskanzler, und der Reichspräsident von Hindenburg, der ihn berufen hat..."
Schmitt steht Hitler zunächst reserviert gegenüber
Hitler wird Kanzler, weil Schleicher zurücktreten musste. Als Berater und Freund Schleichers steht Carl Schmitt zunächst Hitler reserviert gegenüber.
Zitat Schmitt: "31.1. War noch erkältet. Telefonierte Handelshochschule und sagte meine Vorlesung ab. Wurde allmählich munterer, konnte nichts arbeiten, lächerlicher Zustand, las Zeitungen, aufgeregt. Wut über den dummen, lächerlichen Hitler."
Notiert Schmitt seinem Tagebuch. Doch bald ist er Feuer und Flamme für das neue Regime – den starken Staat, der den schwachen Staat abgelöst hat. Noch 1973 erklärt er den Aufstieg Hitlers so:
Carl Schmitt: "Hitler betrachtete ja seine Ernennung zum Reichskanzler als Wunder. Alle seine Freunde haben dieses Wunder gefeiert. Hitler glaubte jetzt, wie er sagte, an seinen Stern. Was in Wirklichkeit geschehen war, war Folgendes: Es war der Selbstmord der Weimarer Verfassung, der aus Furcht vor einem gewaltsamen Tod begangen worden ist."
Schmitt preist das Führertum als Zentralbegriff des neuen Staates und rühmt die antisemitische Politik des NS-Regimes. Er wird zum Preußischen Staatsrat ernannt; Huber spricht ihn in seinen Briefen häufig so an, weil er weiß, wie wichtig Schmitt dieser Titel ist. Schmitt gilt nun als DER Jurist des "Dritten Reichs". Er wird an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen.
Huber tritt aus der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer aus und der NSDAP bei. Außerdem will er eine Fachgruppe Staatsrecht in der NSDAP organisieren. Später behauptet Huber, die "revolutionären Exzesse der ‚Machtübernahme'" hätten in ihm "Bestürzung, Schrecken" ausgelöst, ja, er sei "vom Bild der nationalsozialistischen Bewegung abgestoßen" gewesen. Stattdessen sind Huber und Schmitt prominente Beispiele, wie willig sich die deutschen Juristen dem alles beherrschen wollenden Anspruch der neuen Machthaber unterwarfen.
In dieser Zeit intensiviert sich der Briefwechsel zwischen Huber und Schmitt, der Austausch für das gemeinsame große Projekt einer Nazi-Staatsrechtslehre erfordert dies. Huber wird nach Kiel an die Universität berufen. Hier baut er die so genannte "Kieler Schule" auf. Sie soll an führender Stelle die Rechtswissenschaft im Sinne der Nazis umschreiben, eine "Neue Rechtswissenschaft" soll entstehen.
Schmitt: "Der Wille des Führers ist Gesetz ..."
Schreibt Carl Schmitt. Das gilt für ihn auch beim so genannten "Röhm-Putsch" Ende Juni, Anfang Juli 1934, als Hitler mindestens 90, wahrscheinlich noch wesentlich mehr potentielle Gegner ermorden lässt. Anfang August 1934 schreibt Schmitt in der Deutschen Juristen-Zeitung:
Schmitt: "Der wahre Führer ist auch immer Richter"
Zitat Schmitt: "Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. ... Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum."
Es ist eine Kapitulationserklärung des Juristen: die Aufgabe des Anspruchs der Justiz, die dritte Gewalt im Staat zu sein. Schmitt und Huber stehen sich ideologisch und persönlich nahe. Trotzdem kommt es 1935/36 zu einer Verstimmung zwischen beiden. Anlass sind zwei pseudo-wissenschaftliche Konferenzen, zu denen Huber nicht kommen will, obwohl Schmitt ihn eingeladen hat. Eine der Tagungen heißt "Das Judentum in der Rechtswissenschaft", sie findet Anfang Oktober 1936 in Berlin statt. Schmitt hält ein Referat, in dem er verkündet:
Zitat Schmitt: "Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und eine händlerische Beziehung. Mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er, das Rechte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler."
Von Huber sind keine antisemitischen Ausfälle bekannt
Im Gegensatz zu Schmitt sind bei Huber antisemitische Ausfälle nicht bekannt. Das bedeutet aber nicht, dass sich Huber zurückhalten würde, wenn es darum geht, das Regime in seiner mörderischen Politik gegenüber Juden zu stützen. Er schreibt 1937 eine "Verfassung" für den nationalsozialistischen Willkürstaat, dem er damit den Anschein eines juristisch-theoretischen Fundaments verschafft. "Das völkische Führerreich" beruhe auf der Erkenntnis, schreibt Huber,
"dass der wahre Wille des Volkes nicht durch parlamentarische Wahlen, [sondern] nur durch den Führer rein und unverfälscht hervorgehoben wird".
Während Huber weiterhin sehr erfolgreich durch das NS-Regime segelt, sinkt der Stern Schmitts ab etwa 1936. Innerparteiliche Feinde Schmitts, vor allem in der SS, wollen ihn absägen. Das gelingt nur halb: Schmitt wird zwar Anfang 1937 seiner Parteiämter enthoben, bleibt aber, dank der Protektion vor allem durch Hermann Göring, bis zum Ende des Krieges Preußischer Staatsrat und behält auch seine renommierte Stelle als Professor in Berlin.
Anders als Schmitt hält sich Huber mit antisemitischen Ausfällen zurück. Aber die staatlich verordnete Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden legitimiert er in eiskalter juristischer Sprache. So schreibt er etwa in seiner "Verfassung" von 1937 von
"Konzentrationslagern, in denen die in Schutzhaft genommenen staatsfeindlichen Personen zusammengefasst wurden".
Über die Nürnberger Gesetze hält Huber fest, Juden seien darin "eine Sonderstellung zugewiesen", die sich aus dem Ziel der "völligen Ausscheidung des Judentums" erkläre. Juristisch sei die "Absonderung" ein Teil des "Aufbaus und Ausbaus der deutschen Reichsverfassung". Diese unbeteiligt-mörderische Sprache hält Huber über Jahre durch. Der Holocaust taucht bei Huber als etwas irgendwie Logisches auf. So erklärt der Staatsrechtler etwa im Oktober 1940 in der wöchentlich erscheinenden NS-Publikation "Das Reich":
"Der völkisch-rassische Gedanke hat sich seit 1933 fortschreitend in einer Fülle von Einzelmaßnahmen durchgesetzt. Abwehrend trat er vor allem in der Ausscheidung des Judentums aus dem Volkskörper hervor."
In diesem Zusammenhang erwähnt Huber auch "die großen Umsiedlungsvorhaben, die im Zusammenhang mit den militärischen Ereignissen seit dem Herbst 1939 eingeleitet worden sind".
Pseudo-juristische Grundlage für den nationalsozialistischen Staat
Der Jurist im Dienste des nationalsozialistischen Staates verschafft allem, was der Staat tut, eine pseudo-juristische Grundlage. Nach der Eroberung Frankreichs durch die Wehrmacht erhält Huber 1941 einen Ruf an die neu gegründete "Reichsuniversität Straßburg". Dort darf er die juristische Fakultät aufbauen. Es sind recht glückliche Jahre für Huber; seine Frau und er haben mittlerweile fünf Kinder, fünf Söhne. In Straßburg wird auch Wolfgang Huber, der spätere Bischof von Berlin-Brandenburg und EKD-Ratsvorsitzende geboren.
Es hätte für Ernst Rudolf Huber so weiter gehen können. Doch bald kommt der Rechtsgelehrte ins Grübeln - angesichts der drohenden Niederlage des Großdeutschen Reichs an allen Fronten. In einem Brief an Carl Schmitt zum Jahreswechsel 1943/44 schreibt er:
Huber: "Vielleicht hängt für die Zukunft alles davon ab, ob wir den Weg vom Bürger, vom Arbeiter, vom Soldaten wieder zum Menschen finden."
Ende 1944 flieht Huber mit seiner Familie vor den anrückenden Truppen der Alliierten aus Straßburg – in Falkau, einem Dorf im Hochschwarzwald, finden sie eine neue Bleibe.
Carl Schmitt wird nach der bedingungslosen Kapitulation des NS-Staates 1945 verhaftet, freigelassen und wieder verhaftet. Rund ein Jahr bleibt er im Lager, bis zum Oktober 1946. Huber wie Schmitt verlieren ihre Professuren. Huber erhält 1957 wieder eine, Schmitt wird nie mehr eine Anstellung im Wissenschaftsbetrieb bekommen. Die beiden gelten als DIE Staatsrechtler des Nationalsozialismus, nach 1945 haben sie viel Zeit, sich mit ihrer Rolle in dem System auseinanderzusetzen, das nun als verbrecherisch gebrandmarkt wird.
Im Frühjahr 1947 wird Carl Schmitt bei den Nürnberger Prozessen als potentieller Angeklagter vom Chefankläger Robert M.W. Kempner verhört. Er stilisiert sich als unschuldiger Rechtsgelehrter, nur der reinen Wissenschaft und der Suche nach Erkenntnis verpflichtet.
Kempner fragt ihn: "Wenn aber das, was Sie Erkenntnissuchen nennen, in der Ermordung von Millionen von Menschen endet?" Schmitt weicht aus:
"Das Christentum hat auch in der Ermordung von Millionen von Menschen geendet. Das weiß man nicht, wenn man es nicht selbst erfahren hat."
Nur für die den Röhm-Putsch legitimierende Schrift "Der Führer schützt das Recht" zeigt Schmitt ein gewisses Bedauern. In Nürnberg antwortet er auf die Frage, ob er sich solcher Zeilen nicht schäme:
"Heute selbstverständlich. Ich finde es nicht richtig, in dieser Blamage, die wir da erlitten haben, noch herumzuwühlen ... Es ist schauerlich, sicherlich. Es gibt kein Wort darüber zu reden."
Den Holocaust bereut Schmitt nie
Den Holocaust und seine Rolle beim millionenfachen Mord an den Juden Europas bereut Schmitt nach 1945 nie. Das geht so weit, dass er im Glossarium, seinen Tagebuchaufzeichnungen, die nach seinem Tod veröffentlicht werden, zynisch notiert:
"Genozide, Völkermorde, rührender Begriff."
Schmitt zieht sich, auch aus finanziellen Gründen, in seine Heimatstadt Plettenberg zurück, die er rund 40 Jahre vorher verlassen hatte. Robert Kempner sagt er in Nürnberg, er verstehe sich als "intellektueller Abenteurer" und werde nun "in die Sicherheit des Schweigens gehen".
Der antidemokratische Denker hält regelrecht Hof in Plettenberg – in seinem "San Casciano", wie er sein bescheidenes Einfamilienhaus in Plettenberg-Pasel nennt. Schmitt nagelt diesen Namen auf einem Holzschild an eine Hauswand. "San Casciano" war Anfang des 16. Jahrhunderts der Verbannungs- oder Exilort des berühmten italienischen Staatsrechtlers Niccolò Machiavelli gewesen, in dessen Liga und Lage sich Schmitt sieht.
Nach Plettenberg pilgern Wissenschaftler, Publizisten und Intellektuelle, die an seinem scharfen Geist Gefallen finden – und seine antidemokratische und antisemitische Gesinnung in Kauf zu nehmen bereit sind, wenn sie sie nicht sogar teilen. In manchen Kreisen gilt es als Auszeichnung, vom alten Schmitt empfangen worden zu sein. Der Münchner Althistoriker Christian Meier, der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, der Publizist Johannes Gross, der Philosoph Jacob Taubes: Es ist eine intellektuelle Elite, die den Kontakt zu Carl Schmitt sucht. Plettenberg ist fast eine Wallfahrtsstätte.
Bis zum Lebensende fühlt sich Schmitt als "intellektueller Abenteurer"
Schmitt hält bis zum Ende seines Lebens am Ostersonntag 1985 an der Selbststilisierung als "intellektueller Abenteurer" fest. Er ist nicht schuld an all dem Bösen, das mit Hilfe seiner Theorien möglich wurde. 1950 veröffentlicht er den kleinen Band "Ex Captivitate Salus" ("Aus der Gefangenschaft das Heil"), die unter anderem seine Notizen aus der Haftzeit enthalten. Er sieht sich als verfolgte Unschuld, von hinterhältigen Feinden umgeben, wie er 1950 in einem Brief an Ernst Rudolf Huber schreibt:
"Die Unterscheidung der Nutzniesser des Zusammenbruchs von den andern Deutschen wird immer handgreiflicher, die Bösartigkeit der nutzniessenden Mediokrität immer schamloser. ... Sie brauchen nicht zu fürchten, lieber Herr Huber, dass von mir aus eine Entfremdung zwischen uns eintreten könnte. Sie müssen nur verstehen, dass ich zurückhaltend bin, weil jedes meiner Worte, jede Geste sofort missdeutet wird. Was sich die Remigranten unter der lauten oder stillschweigenden Billigung früherer Kollegen in dieser Hinsicht erlaubt haben, ist schändlich. Ich habe mich erst dann dazu entschlossen, 'Ex Captivitate Salus' zu veröffentlichen, als einer dieser Schächter im Frühjahr 1950 verbreitete, ich liesse mich nicht entnazifizieren, weil ich ein schlechtes Gewissen hätte. Er hatte seine Gutachten über mich schon fertig und war wütend, dass ich nicht in sein Schächtmesser hinein lief. Nur so bin ich dazu gekommen, mich selbst öffentlich zu zeigen und meine Wunden zu entblössen, wie das in 'Ex Captivitate' geschehen ist."
Für den eisenharten Juristen stellt sich in seiner langen Lebensspanne nach 1945 nie die Frage, ob er sich etwas vorwerfen müsste. Dass er immer recht hat, egal was war, gehört zu den Grundgewissheiten seines Lebens. Für den Einbruch Hitlers in die deutsche Geschichte präsentiert er eine diffuse Erklärung in seinem Tagebuch:
Zitat Schmitt: "Wer ist der wahre Verbrecher, der wahre Urheber des Hitlerismus? Wer hat diese Figur erfunden? Wer hat die Greuelepisode in die Welt gesetzt? Wem verdanken wir die 12 Millionen toten Juden? Ich kann es euch sehr genau sagen: Hitler hat sich nicht selbst erfunden. Wir verdanken ihn dem echt demokratischen Gehirn, das die mythische Figur des unbekannten Soldaten des Ersten Weltkriegs ausgeheckt hat. Veit Valentin hat recht: im NS ging noch einmal die ganze deutsche Geschichte auf, er ist die Summe der deutschen Vergangenheit, Riesenrülpser eines ganzen verpfuschten Jahrtausend."
Keine selbstkritische Reflexion, nirgends
Keine selbstkritische Reflexion, nirgends. Nur ein schnoddriger Kommentar im Rückblick. Und Schmitt bleibt, was er immer gewesen ist: ein dumpfer Antisemit. Tagebucheintrag vom 25. September 1947, in dem er den "assimilierten Juden" als den "wahren Feind" bezeichnete:
"Denn Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind. Es hat keinen Zweck, die Parole der Weisen von Zion als falsch zu beweisen."
Auch Ernst Rudolf Huber neigt nach 1945 zu Selbst-Rechtfertigungen. Er habe mit seinem "Verfassungsrecht" von 1937 lediglich versucht, das NS-Regime
"aus dem Chaos der Revolution, der Gewaltsamkeit, des Terrors herauszuführen und es auf dem Weg der Ordnung, des Rechts und des inneren Friedens zu lenken".
So verteidigt er sich 1947 – ein typisches Rechtfertigungsmuster im Nachkriegsdeutschland. Wer eine Position im Führerstaat eingenommen hatte, hatte das nur getan, um Schlimmeres zu verhüten. Trotzdem: Huber versucht zaghaft, mit seinem früheren Doktorvater ein wenig über das NS-Regime und die eigene Schuld brieflich zu diskutieren. Huber schreibt an Carl Schmitt am 27. Januar 1947 aus dem Schwarzwald:
"Über die Vergangenheit wäre Vieles zu sagen, auch über unsern Beitrag, unsere Irrtümer, unsere Fehlschläge. Doch war es notwendig und wichtig, daß wir damals die Schiffe hinter uns verbrannt haben."
Schmitt scheint auf diesen Versuch nicht eingegangen zu sein. Am 7. Juli 1948 versucht Huber es noch einmal.
"Leider habe ich bisher Ihre Darlegungen vom August 1945 aus Tübingen nicht bekommen. Ich wäre Ihnen besonders dankbar für diese Zusendung, da ich die Auseinandersetzung mit Nürnberg für die wichtigste unter allen gegenwärtigen Aufgaben des Juristen halte. Ich meine allerdings auch, daß es notwendig ist, das in Nürnberg zusammengetragene Tatsachenmaterial voll in sich aufzunehmen und so wenigstens nachträglich ganz zu realisieren, was das 'Dritte Reich' als Vernichtungssystem effektiv bedeutet hat. Für den, der Akten zu lesen versteht, gibt es keine erschütterndere Dokumentation als den aktenmäßigen Niederschlag des Terrorismus."
Carl Schmitt geht auf Hubers Initiative nicht ein, schreibt ihm aber im März 1950 einem Brief.
Zitat Schmitt: "Zu der gegen mich .. betriebenen Hetze und der Art und Weise, wie sich frühere Kollegen diesem Terror beugen, muss ich schweigen. Ich bin outlaw, in meinem eigenen Vaterland entrechtet, und täusche mich nicht über die Wirklichkeit meiner Situation. ... Aber die Macht der Psychosen des Zusammenbruchs ist noch zu gross, das Interesse ihrer Nutzniesser ist noch zu stark organisiert, und alle sind ja schliesslich auf dem Weg nach Moskau."
Verklausulierte Selbstkritik in einer eigentümlich verquasten Sprache
Im Sommer 1950 schreibt Huber noch einmal an Schmitt – eine verklausulierte Selbstkritik in einer eigentümlich verquasten Sprache:
"So wird die Dekomposition erst vollendet, indem sich zur offenen Brutalität pseudo-legalitärer Setzungen das Gift pseudo-legitimer Beteuerungen gesellt, immer unter dem Beistand einer beflissenen Jurisprudenz."
Die Dekomposition: Was Huber damit meint, ist der Zerfall der Staatsordnung im NS-Regime mit der tätigen Beihilfe der Juristen. Das ist angesichts der Rolle, der er und Schmitt im NS-Deutschland gespielt haben, tatsächlich eine Selbstkritik – allerdings sprachlich so sorgfältig verpackt, dass die eigene Schuld hinter der Abstraktion fast verschwindet. Immerhin bekennt er, dass das Gesetz "zu einer Waffe der planmäßigen Diskriminierung, Entrechtung und Vernichtung" geworden sei.
Für Schmitt geht Huber damit schon zu weit: Die verklausulierte Selbstkritik Hubers versteht er als Angriff auf sich und verbittet sich jede Anspielung auf seine Rolle in der Nazizeit. Die Beziehung friert ein. Über 200 Briefe und Karten der Korrespondenz zwischen den einst führenden NS-Staatsrechtlern sind erhalten. Nur noch 14 sind es in den 35 Jahren zwischen 1950 und 1985, als Carl Schmitt stirbt.
Huber indes:
"Ich war damals jung, ich war aktiv, ich war zum Wagnis bereit – ich habe mich in diesen ersten Jahren aus guten Gründen für eine heillose Sache eingesetzt."
Auch Huber redet seine Rolle lieber schön, als sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen – typisch für die große deutsche Verdrängung in den Nachkriegsjahrzehnten.
Während Schmitt Außenseiter blieb und seine Rolle als gefragter Gesprächspartner genoss, avancierte Huber zu einem der grundlegenden Verfassungshistoriker der Bundesrepublik Deutschland.