Carla Haslbauer: "Die Tode meiner Mutter"

Das Leben ist bunt und schön

04:26 Minuten
Von Sylvia Schwab |
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Wer in diesem Kinderbuch eine tröstliche Geschichte über den Umgang mit dem Tod erwartet, wird enttäuscht: Anders als der Titel vermuten lässt, geht es hier um das aufregende Leben in all seinen Facetten.
Der Titel "Die Tode meiner Mutter" lässt nichts Heiteres vermuten. Das Umschlagbild dagegen schon: Eine Frau im engen schwarzen Kleid mit Schleppe, ein gebauschter roter Vorhang, durch die Luft tanzenden Notenblätter und auf dem Boden verstreute Utensilien. Das ist bunt und wirbelig und so erliegt man schnell dessen Charme.
Zu Recht! Denn in "Die Tode meiner Mutter" wird viele Male komisch gestorben, hässlich und schön, leise oder dramatisch.
Das liegt an der Mutter der kleinen Ich-Erzählerin: die Opernsängerin ist. Und so - von Kunst wegen - in die verschiedensten Rollen schlüpft. Mal ist sie lieb oder böse, laut oder leise, zugewandt oder abwesend.

Die Welt ist eine Bühne

Sie probt und spielt immer neue Rollen, zu Hause und im Theater: Eine böse Hexe, einen Seemann, ein Pferd, einen Star. "Aber am liebsten stirbt sie auf der Bühne" - als Hexe, als Todkranke oder sich selbst tötende Julia.
Ihr Mann und ihre beiden Kinder lieben diese schönen, dramatischen Bühnentode und sind natürlich auch stolz auf diese ungewöhnliche Frau.
Carla Haslbauers Geschichte ist mit viel Charme erzählt. Ihr Text ist knapp, meist nur ein Satz pro Seite.

Fantastische Diskrepanz zwischen Text und Bildern

Der Witz entzündet sich an der Diskrepanz zwischen dem wenigen Text und den turbulenten Bildern. Da charakterisieren die scheinbar von Kinderhand geschaffenen Illustrationen die Mutter mal als Monster, Löwe oder Kuscheltier.
Da erregt die trällernde Opernsängerin in der Badewanne das Mitleid der Nachbarin - die meint, die Mutter schreie vor Schmerzen. Oder die dramatischen Opern-Tode rühren die Zuschauenden zu Tränen. Und die "normale" Mutter tritt noch beim Gutenachtlied am Bett der Kinder mit durch die Luft schwirrenden Tönen wie eine Opern-Diva auf.
Dabei wirken die stürmischen, bunten, mal düster-dramatischen, dann wieder skurrilen Bilder wie übergroße Comics. Ein Eindruck, der ab und zu durch Sprechblasen unterstützt wird.

Ungeheuer erfrischend

Die Illustrationen reißen mit, sie rühren - zum Lachen - und sind ungeheuer erfrischend. Schöner als hier wurde im deutschen Bilderbuch lange nicht gestorben - die englische Übersetzung heißt dann auch passender: "My Mother’s Delightful Deaths".
Denn ums Sterben geht es in diesem Bilderbuch - fast - gar nicht. Eher um die Lust am Spiel, am Verkleiden, am Rollenwechsel - und auch um die Kunst, neue Geschichten lebendig zu gestalten und so zu beglücken oder zu Tränen zu rühren.
All das gelingt diesem wunderbaren Kinderbuch. Eine echte Entdeckung. Zumal Kinder, auch die deren Mutter keine Operndiva ist, wissen: Mütter können in jede Rolle schlüpfen.
Insofern ist dieses Bilderbuch nicht nur eine Hommage der in Bad Nauheim geborenen Autorin an die Mezzosopranistin Cornelia Haslbauer, sondern an alle Mütter.

Carla Haslbauer: "Die Tode meiner Mutter"
NordSüd / Zürich 2021
48 Seiten, 15 Euro
ab 5 Jahren

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