Ein französischer Produzent und Verleiher rief mich an und sagte: 'Wenn du diesen spanischen Folklorefilm machst, wirfst du dein ganzes Prestige als Filmemacher auf den Müll!' Und ich sagte ihm: Dann ist das wohl jetzt der richtige Moment dafür!
Carlos Saura wird 90
Der Filmemacher Carlos Saura wollte das Publikum nie zum Weinen bringen - das sei zu einfach, sagt er. © picture alliance / NurPhoto / Oscar Gonzalez
Film-Experimente mit Licht, Farbe und Ton
05:33 Minuten
Fast 50 Filme hat er gedreht, doch Carlos Saura fotografierte auch, inszenierte Opern und Theaterstücke, schrieb einen Roman über den spanischen Bürgerkrieg - immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Nun wird Saura 90 Jahre alt.
Schwarz-Weiß-Zeichnungen zeigen Kinder in Krieg und Diktatur: Es sind alte Fotografien mit kräftigem Strich übermalt. "Fotosaurier" nennt Carlos Saura diese Bilder.
Der Kurzfilm "Rosa Rosa. La Guerra Civil" ist eines seiner jüngsten Werke. Aus der Perspektive eines Kindes werden 30 Bilder über den Spanischen Bürgerkrieg immer wieder verändert, bis sie am Ende zu einer Anklage gegen den Krieg schlechthin werden.
Die Angst der Eltern
Carlos Saura war vier Jahre alt, als der Bürgerkrieg begann, neun Jahre, als er endete: "Der spanische Bürgerkrieg hat mich ganz stark geprägt", sagt er. "Die Angst, die Toten und die Bombenangriffe. Aber meine eigene Angst vor dem Krieg war nicht so stark wie der Eindruck, den die Angst meiner Eltern bei mir auslöste. Ich als Kind empfand den Krieg manchmal fast als Abenteuer. Von der Terrasse unseres Hauses war das brennende Barcelona manchmal wie ein Spektakel."
Dieser neugierige Blick des Kindes auf die unterschwellige Gewalt und das kollektive Schweigen einer repressiven Gesellschaft charakterisiert seine ersten Filme. Carlos Saura gehörte zu den Filmemachern des "Nuevo Cine Español", die an der Zensur des Franco-Regimes vorbei neue Wege für den spanischen Film suchten. Auch Sauras erste Filme entstanden noch unter der Diktatur mit dem Produzenten Elias Querejeta.
Geheimnisse und Gewalt
Protagonistin seiner Filme (etwa "Peppermint Frappè", "Elisa, mein Leben" oder "Züchte Raben") war fast immer Geraldine Chaplin, seine langjährige Lebensgefährtin. In ihnen wird die Familie mit ihren Rätseln und Geheimnissen zur Metapher für gesellschaftliche Unterdrückung, Gewalt, Korruption und ihren Niedergang.
Eine Wende in Sauras Schaffen kam 1981 mit dem Musikdrama "Bluthochzeit" nach Federico García Lorca. Der Wechsel vom innerlichen, rätselhaften Kino zum "folklorelastigen" Flamenco-Drama war für viele seiner Fans nicht nachvollziehbar, erzählt Carlos Saura.
Saura hat sich selbst als Künstler immer wieder neu definiert und nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Auch seine Musikdramen inszenierte er sehr unkonventionell in einer künstlich überhobenen, kargen, fast verfremdeten Umgebung.
Filme über populäre Tanzkulturen
Mit seinem zweiten Flamencodrama "Carmen" wurde Saura weltbekannt, und es folgten zahllose weitere Projekte. Dabei arbeitet Saura mit beweglichen Stoffpanels, auf die unterschiedliche Farben oder Fotos projiziert werden. In Filmen wie "Flamenco", "Tango" und „Fado“ setzte er sich mit ganz unterschiedlichen populären Tanzkulturen auseinander.
Sein jüngster Film „El Rey de Todo el Mundo“, der vor wenigen Wochen in spanischen Kinos anlief, führt in die Welt des musikalischen Melodrams in Mexiko. Wie schon in seinen psychologischen, geheimnisvollen Familiendramen der ersten Jahre zeigt sich Carlos Saura auch in den Musikfilmen als Erzähler, der auf Abstand bleibt, der den Zuschauer aber auch immer mit überraschenden Wendungen konfrontiert. Den Realismus lehnt er ebenso ab wie ein auf Tränen gebautes Gefühlskino.
Gegen die Gefühlsduselei
„Da war ich immer mit Luis Buñuel einer Meinung“, sagt er, „wir haben oft darüber geredet: Wir hassten beide die Gefühlsduselei. Das ist so einfach! Es ist so leicht, das Publikum zum Weinen zu bringen. Die Leute denken, das sei das Schwierigste überhaupt, aber nein, es ist ganz einfach.“
Carlos Saura ist eine der großen Figuren des europäischen Autorenfilms. Immer wieder wagt er das Experiment, das Spiel mit Licht, Farbe und Ton. Für seine Projekte musste er kämpfen, manche Geschichten konnte er als Film gar nicht erzählen. Etwa den Roman „Dieses Licht“ über ein getrenntes Ehepaar im spanischen Bürgerkrieg, an den sich, so Saura, kein spanischer Filmproduzent herantraute.
Viele der erfolgreichen Filme seiner frühen Jahre würden heute wahrscheinlich keine Produzenten finden, resümiert er. Aber Stillstand kann er auch zum Ende seines neunten Lebensjahrzehntes nicht ertragen:
„Ich habe immer noch sieben oder acht Drehbücher in der Schublade, die ich nicht verfilmt habe, und auch andere Projekte. Jetzt, in dieser Phase meines Lebens, macht es mir Spaß, Fotoausstellungen zu organisieren mit meinen alten oder neuen Fotos oder den ‚Fotosauriern‘. Wenn es mit den Filmen etwas länger dauert, hast du trotzdem noch andere Sachen zu tun.“