Carolin Scharpff-Striebich: "Let’s talk abstract"
Übersetzung: Uta Grosenick und Rebecca Wilton
Distanz Verlag, Berlin 2018
192 Seiten, 32,00 Euro
Rote Rechtecke, weiße Felder, schwarze Linien
Für "Let's talk abstract" hat die Sammlerin Carolin Scharpff-Striebich mit Persönlichkeiten der Kunstwelt über Werke von Künstlern wie Agnes Martin, Roy Lichtenstein oder Mary Heilmann gesprochen. Ein origineles Buch, das neue Perspektiven vermittelt.
Das Gespräch der beiden Frauen gleicht einem Spaziergang durch eine aufregende Landschaft. Als würde an jeder Weggabelung Neues lauern, erkunden Kirsty Bell und Carolin Scharpff-Striebich gemeinsam das Terrain: Schritt für Schritt schreiten die Kritikerin und die Sammlerin ein Bild von Mary Heilmann ab. "Little Mondrian" heißt das kleine Gemälde der großen amerikanischen Künstlerin. Es zeigt in Anlehnung an das streng geometrische Werk des niederländischen Konstruktivisten rote, blaue und gelbe Rechtecke, weiße Felder und schwarze Linien.
Virtuoser Umgang mit Farbe
Inmitten dieser Komposition also sind Bell und Scharpff-Striebich unterwegs, und es macht große Freude ihnen zu folgen, denn was sie entdecken, ist augenöffnend: Heilmanns Spielfreude, ihre Liebe für kleine Fehler, ihren virtuosen Umgang mit Farbe, Vorder- und Hintergrund, ihr Verhältnis zum Raum, ihren Sinn für Kompositionen über einzelne Werke hinweg, das enorme Wissen der Künstlerin; nicht zuletzt ihre Menschlichkeit.
Abstrakte Kunstwerke für ein größeres Publikum zugänglich zu machen, ist die verbindende Idee von insgesamt 16 Gesprächen, die Carolin Scharpff-Striebich für ihr originelles Buch geführt hat. Die Kunstliebhaberin, die seit 2004 die hochkarätige Kollektion ihrer Eltern Rudolf und Ute Scharpff betreut, besuchte dafür verschiedenste Persönlichkeiten der Kunstwelt. Die zu besprechenden Werke suchten diese selbst aus.
Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp etwa entschied sich für einen Siebdruck von Roy Lichtenstein, die Museumsdirektorinnen Christiane Lange und Frances Morris wählten Bilder von Philip Guston und Agnes Martin, Hélène Vandenberghe sprach über ihren Vater, den Maler Philippe Vandenberg - und die Kuratorin Julia Friedrich über ein graues Tableau von Gerhard Richter.
Elementares offenbart sich
Nicht alle der fünf bis neun Seiten langen Gespräche sind von gleicher Qualität, doch manche erschließen Künstler und ihre Werke in bestechender Weise. Wenn Walter Grasskamp sich Lichtensteins "Jahrhundertbild" Brushstroke nähert, funkelt die gesamte Popart. Wenn Richard Armstrong den wenig beachteten Al Held wieder ins Licht rückt, spannt sich der New Yorker Kunstkosmos der 1950er- und 60er-Jahre auf. Und wenn Marion Ackermann angesichts eines Streifenbildes von Bridget Riley ihre Wahrnehmung schult und das "sehende Sehen" dem "erkennenden Sehen" vorzieht, offenbart sich Elementares weit über das einzelne Werk hinaus.
Würde das Buch doch nur nicht derart mit Abbildungen geizen! Viele Werke sind nur in Briefmarkengröße zu sehen und konterkarieren so fast die Aufforderung zum Schauen. Auch sind Interviewerin und Interviewte häufig einer Meinung; kontroverse Sichtweisen aber oder zumindest Reibung hätte den Gesprächen gut getan.
Würde das Buch doch nur nicht derart mit Abbildungen geizen! Viele Werke sind nur in Briefmarkengröße zu sehen und konterkarieren so fast die Aufforderung zum Schauen. Auch sind Interviewerin und Interviewte häufig einer Meinung; kontroverse Sichtweisen aber oder zumindest Reibung hätte den Gesprächen gut getan.
Abstrakte Kunst ist nicht hermetisch
Dennoch vermittelt diese Zusammenschau nicht nur für Laien Wesentliches. Sie belegt, dass abstrakte Kunst nicht hermetisch ist, sondern viele verschiedene Zugänge erlaubt und neue Welten eröffnen kann. Und dass es auch noch Freude macht, genau darüber zu sprechen. Am besten im Museum, aber eben auch in Buchform!