Caroline Darian: Und ich werde dich nie wieder Papa nennen
© Kiepenheuer & Witsch
Schmerzhafter Aufruf zum Hinsehen und Handeln
06:24 Minuten
Caroline Darian
übersetzt von Michaela Messner und Grit Weirauch
Und ich werde dich nie wieder Papa nennenKiepenheuer & Witsch, Köln 2025224 Seiten
22,00 Euro
Gisèle Pelicots jahrelanges Vergewaltigungsmartyrium, durchlitten im Koma und organisiert von ihrem Ehemann, ist kein Einzelfall. Ihre Tochter Caroline Darian ruft zu mehr Wachsamkeit und Opferschutz auf.
Als erschütterndes Dokument häuslicher und sexualisierter Gewalt liest sich „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“ von Caroline Darian. Sie ist die Tochter von Gisèle Pelicot, deren Ehemann Dominique Pelicot sie über Jahre hinweg mit Medikamenten betäubt und im bewusstlosen Zustand nicht nur selbst vergewaltigt, sondern von dutzenden Männern, im Internet aufgestöbert, hat vergewaltigen lassen. Er filmte die Verbrechen und stellte sie, versehen mit widerwärtigen Kommentaren, online.
Caroline Darian erfuhr von den Taten erst nach der Verhaftung ihres Vaters. Nachdem klar war, dass der Vater auch sie unbemerkt halbnackt fotografiert hatte, entschied sie sich, im Prozess als Nebenklägerin aufzutreten.
Tagebuch voller Schmerz
Wie ein Tagebuch ist dieser Text geschrieben, die Autorin tastet sich chronologisch von den ersten Hiobsbotschaften bis zum Ende der Ermittlungsarbeiten voran – stammelnder Schmerz, seelische Zusammenbrüche, eine verzweifelte Suche nach verbliebenen Sicherheiten.
Glücklicherweise bietet das Buch der Sensationslust keine Anhaftungsflächen. Detaillierte Einblicke in die sexuellen Übergriffe gewährt Caroline Darian nicht, sondern konzentriert sich auf die emotionalen Folgen des Verbrechens für sie und ihre Familie. Es geht um Scham und Angst, aber auch um das Zusammenstehen und die Suche nach Kommunikationsmöglichkeiten mit Freundinnen und Freunden, ihrem eigenen Ehemann und ihrem kleinen Sohn.
Quälende Ungewissheit
Besonders quält Caroline Darian die Frage, was der Vater ihr selbst angetan hat. Bewegte Bilder finden sich auf seinen Festplatten nicht, aber eben jene verstörenden Fotos, auf denen sie in ihr unbekannter Unterwäsche leblos und in seltsamer Körperstellung auf dem Bett liegt. Für Caroline Darian ist klar, dass auch sie wahrscheinlich zum Vergewaltigungsopfer wurde. Ihre Mutter hingegen kann sich das nicht vorstellen, klammert sich an die Vorstellung, dass ihr Ehemann so tief nicht gesunken sei. Das Verhältnis kühlt sich ab. Die Tochter leidet unter dem Unverständnis ihrer Mutter und kämpft darum, ihr dennoch zur Seite stehen zu können.
In kurzen, optisch abgesetzten Passagen spricht Caroline Darian ihren Vater direkt an, konfrontiert ihn mit ihren vielen schönen Kindheitserinnerungen und schleudert ihm die Frage entgegen, wie er das Vertrauen und die Liebe der Familie so verraten konnte? Es sind Worte ins Leere gesprochen, denn eine Antwort des Vaters möchte die Tochter gar nicht mehr hören.
Forderung nach besserer Hilfe für Opfer
Die Autorin beginnt und endet mit einem Appell an die Gesellschaft. Das Verbrechen, das ihre Mutter und wohl auch sie selbst erleiden musste, ist eben kein Einzelfall, wie auch journalistische Recherchen zeigen, übrigens auch in Deutschland. Darum fordert sie eine bessere Unterstützung für Opfer von häuslicher Gewalt und sexueller Ausbeutung, insbesondere im Bereich der „chemischen Unterwerfung“. Die Französin kritisiert die unzureichende medizinische Versorgung und mahnt eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Justiz und Gesundheitswesen an.
Caroline Darian hat ein schmerzhaftes Buch geschrieben – und einen Aufruf zum entschlossenen Hinsehen und Handeln.