Cartoons als Inspiration

Von Anette Schneider |
Die Ausstellung "Kaboom! Comic in der Kunst" in der Weserburg in Bremen stellt 30 internationale Künstlerinnen und Künstler vor, die sich von Comics haben inspirieren lassen. Sie zeigt: Auch heute geht noch viel Innovation von den Sprechblasen aus.
"Waiting for Jerry". Das klingt ein bisschen nach "Warten auf Godot". Ein ähnliches Wartespiel treibt Juan Munoz auch in seiner Arbeit: Man steht in einem abgedunkelten Raum und sieht nichts außer einem kleinen Mauseloch in einer Wand, aus dem etwas Licht fällt - und die Melodien und Geräusche der Trickfilmserie "Tom und Jerry". - Doch der Film dazu läuft nur im eigenen Kopf ab.

Auch andere durch die Mainstreamcomics berühmt gewordene Figuren trifft man in der Ausstellung: Superman. Donald Duck. Tim und Struppi. Selbst einige Bilder mit "Kaboom!", "Bang!", "Doing!" schreien einen an. - Auf den ersten, flüchtigen Blick kommt einem also vieles bekannt vor. Doch, warnt Kurator Ingo Clauß:

"Die Künstler nutzen Formen der Kritik und Affirmation gleichermaßen. Affirmation bedeutet, dass die Künstler mit Bildsprache umgehen, die uns vertraut ist. Doch harmlose Motive verwandeln sich häufig in schaurige Szenen, und es ist gewissermaßen die dunkle Seite des Comics, die wir hiermit präsentieren. Also wir begreifen den Comic als eine Art Psychogramm von Gesellschaft, und das machen viele Künstler auf unterschiedliche Weise sichtbar."

In Installationen, Skulpturen, Videos und Malerei rücken sie dem Genre zu Leibe, zerschlagen Heldenmythen, enthüllen die in Mainstreamcomics herrschende Ideologie, gehen ihrem Saubermann- und Heile-Welt-Image an den Kragen.

In ihren Kohlezeichnungen etwa verwandelt Joyce Pensato die rüschigen Daisy-Duck-Welten ihrer Kindheit zu düsteren albtraumhaften Fratzen. Und John Isaacs lebensgroße Skulptur eines Mannes in weißem Hasenkostüm, der den Hasenkopf gerade abgenommen hat und in seinen Händen hält, enthüllt eine typisch comic-hafte Verbrechervisage.

"Was hier passiert, ist ein Schockmoment. Und der Schockmoment vermittelt sich unmittelbar. John Isaacs sagt, dass seine Arbeiten häufig schon verstanden werden, bevor der Wunsch auf Verstehen überhaupt präsent ist. Er zeigt auch eine Kehrseite des Comics - also die böse Fratze von Walt Disney und anderen - und er zeigt das Doppelbödige daran."

Mehrere Künstler beschäftigen sich mit dem Ideologieträger "Comic", der gängige Werte und Feindbilder reproduziert: So enthüllt der südafrikanische Künstler Siemon Allen in seiner wandfüllenden Arbeit das Bild vom Fremden in Timm & Struppiheften aus den 50er-Jahren, das exakt dem gesellschaftlich vorherrschenden Rassismus der Zeit entspricht.

Und der Spanier Francesc Ruiz präsentiert einen mit Comics vollgestopften Zeitungskiosk. Comics, die er selbst gestaltete, und deren Titelseiten die tonangebenden Ansichten und Vorurteile einer US-amerikanischen Stadt spiegeln, in der Ruiz einige Zeit lebte. Also: Sex, Crime, Rassismus, Obrigkeitsdenken. Blättert man eines dieser Hefte durch, folgen Schlagzeilen auf Schlagzeilen - Inhalte fehlen.

Vor gut 50 Jahren übertrug Roy Lichtenstein erstmals Bilder und Bildsprache des Comics in die Hochkunst. Anschaulich zeigt die Ausstellung: Was damals eine provokante Geste war, wurde schnell selbstverständlich, und reicht heute allein nicht mehr aus.

Ingo Clauß: "Der einstige Widerspruch von Hochkultur und Trivialkultur ist heute nicht mehr relevant. Sondern die Künstler interessieren sich für andere ästhetische und gesellschaftliche Zusammenhänge und Phänomene, die wir versuchen, hier sichtbar zu machen."

Am überzeugendsten gelingt das dort, wo sie mit Ironie und Sarkasmus vorgehen. Oder wenn sie einen Heldenmythos nicht nur zertrümmern, sondern auch dessen Funktion enthüllen. William Pope L. stellte dafür einen Monitor auf den Fußboden, in eine Wasserpfütze.

"Und dort sehen sie einen Schwarzen, nämlich William Pope L., in einem Superheldenanzug. Und er robbt die gesamte Strecke des Broadway in New York - das sind insgesamt 22 Meilen - über neun Jahre in unterschiedlichen Etappen."

In einem grotesken Bild verkehrt Pope L. den Helden, der - wenn auch leicht gebrochen - nach wie vor ein Millionenpublikum gefangen hält: Er wendet Allmacht in Schwäche. Der weiße Übermensch wird zu einem Schwarzen. Der des Fliegens mächtige muss kriechen. Durch den Financial District!

Mit der eigentlich simplen Idee der Umkehrung legt Pope all das bloß, was bis heute die kapitalistische Welt prägt, die Comics zur profitablen Massenindustrie machte: Kolonialismus, Ausbeutung, Rassismus.

Ingo Clauß:"Pope L. erklärt nicht, wohin die Reise geht. Aber er konfrontiert die Bevölkerung in New York zu Zeiten der Terroranschläge, nämlich 2001, mit dem gestrauchelten Helden. Und der gestrauchelte Held Superman ist natürlich immer auch Amerika, mit all seinen Allmachtsfantasien."


Linktipp:
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