Caspar Hirschi: "Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems."
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2018
398 Seiten, 28 Euro
Die Krise des Expertenwesens
In Zeiten von Google und Fake News werden die Meinungen Sachverständiger immer wichtiger. Doch fehlbar sind auch diese. Caspar Hirschi wirft in seinem Buch die Frage auf, welche Rolle Wissenschaftler heutzutage einnehmen sollten.
Die Liaison mit der Politik erweist sich für Experten oft als eine Falle und dennoch, das zeigt Caspar Hirschi in seinem Buch "Skandalexperten, Expertenskandale", übernehmen sie Aufgaben im Dienste der Regierung. Obwohl sie damit rechnen müssen, fallengelassen zu werden, stimmen sie dennoch einer Zusammenarbeit zu. Es geht um Privilegien und natürlich geht es auch um Geld. Erliegen aber Experten solchen Verlockungen, ist es um ihre Unabhängigkeit geschehen.
Caspar Hirschi, der in seinem Buch die These vertritt, dass die Bedeutung des Experten spätestens seit 2001 im Sinkflug begriffen ist, nennt Google als einen Grund dafür, dass heute eine Aussage, die auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung entstanden ist, weniger zählt, als eine von Wikipedia verbreitete These.
Experten disqualifizieren sich selbst
Fake News ersetzen geprüftes Wissen. Obwohl angesichts dieses Befundes alles dafür sprechen sollte, dass Experten wieder an Einfluss gewinnen, ist nach Hirschis Ansicht das genaue Gegenteil der Fall. Als Zeichen einer gescheiterten Wissensgesellschaft sind seiner Meinung nach die Experten zum bevorzugten "Hassobjekt" geworden. Nicht ganz unschuldig, wie er konstatiert: "Jede Regierung sucht sich die Experten aus, die zu ihrer Politik passen."
Manchmal disqualifizieren sie sich auch selber. Insofern ist das Beispiel David Nutt, auf das sich Hirschi im ersten seines aus sechs Kapiteln bestehenden Buches bezieht, nicht ganz unproblematisch. David Nutt, der als Drogenexperte der englischen Regierung Ecstasy im Drogenkatalog der Regierung herabstufen wollte, ließ sich zu einem merkwürdigen Vergleich hinreißen, als er die Gefährlichkeit der Droge mit dem in England sehr beliebten Reitsport verglich und zu dem Schluss kam: Diejenigen, die ihre Freizeit auf dem Rücken eines Pferdes verbringen, seien wesentlich gefährlicher unterwegs, als die, die sich gelegentlich auf einen Ecstasy-Trip einließen.
Wissen verständlich vermitteln
Experten sollten, so ist aus Hirschis Buch im zweiten Kapitel zu erfahren – es wendet sich der Geschichte des Expertenwesens zu –, nicht nur über Spezialkenntnisse verfügen, sondern sie sollten auch in der Lage sein, ihr Wissen Laien gegenüber verständlich und überzeugend zu kommunizieren, laienhaft argumentieren aber sollten sie nicht.
Zunächst galt Ende des 17. Jahrhunderts ein Sachverständiger vor Gericht als Experte. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde dann als Experte in die französische Akademie der Wissenschaften berufen, wer auf seinem Wissenschaftsgebiet über ausgezeichnetes Fachwissen verfügte.
Dennoch kam es immer wieder vor, dass Experten mit ihren Gutachten falsch lagen. Hirschi erwähnt im vierten und fünften Kapitel mit der Affäre Calas und dem Fall des wegen Spionage angeklagten jüdischen Offiziers Dreyfus zwei spektakuläre Kriminalfälle aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die er sehr minutiös rekonstruiert. Allerdings ist der Fall des zum Tode verurteilten Tuchmachers Jean Calas insofern eine Besonderheit, weil darin Experten so "gut wie keine Rolle" spielen.
Gelungenes Expertenkapitel fehlt
Um am in die Krise gekommenen Expertenwesen etwas zu ändern, müsste, so Hirschi, der Experte die Rolle des "öffentlichen Kritikers" übernehmen, wenn er nicht als Diener der Politik weiter an Glaubwürdigkeit verlieren will. Experten müssten also unabhängig und unbeeinflusst von der Politik arbeiten können.
Hirschi weiß, dass es Experten braucht, aber er zeigt an den von ihm ausgewählten Beispielen nur ihr Versagen. Wenn sie aber unverzichtbar sind, woran wohl niemand zweifelt, wäre da nicht wenigstens ein gelungenes Expertenkapitel angebracht, um ihren angeknacksten Ruf zu retten?
Zum Nachhören: Experten beraten nach anderen Gesetzen als denen der Wissenschaft. Caspar Hirschi erklärt im Interview bei "Deutschlandfunk Kultur", wie viel Raum für unbeeinflusste und differenzierte Darstellung letztlich bleibt und wie Fakten wahrheitsgetreu kommuniziert werden können.