Cass McCombs live in Deutschland
29. Mai 2019, Berlin
31. Mai 2019, Hamburg
Der sanfte Americana-Apokalyptiker
Der US-Musiker Cass McCombs liefert hochgelobte Alben zwischen Neo-Folk, Alternative-Country, Blues und Garagenrock ab. Auch sein neues Album "Tip of the Sphere" ist wieder lässig genial. Er ist ein Star, den es noch zu entdecken gilt.
"Für mich geht es vor allem darum, Grenzen einzureißen und falsche Genrezuschreibungen kaputt zu machen", sagt Cass McComb. "Manche Menschen nehmen die so ernst, die sind wie Religionen für sie und ich genieße es damit rumzuspielen. Wenn ich ein Genre anfasse, spiele ich es nicht einfach, ich versuche das Genre zu zerstören, das ist das Ziel, weil es Spaß macht."
Beim Kaputtmachen entsteht unter Cass McCombs respektlosen Händen bester zeitgenössischer Americana. Der Zug, der im Bluesrocksong "The Great Pixley Train Robbery" überfallen wurde, walzt sich förmlich an der Akustikgitarre vorbei, die das Lied eines reumütigen Gesetzlosen singt.
Klanglich sanfter als sonst
McCombs bricht beim Songschreiben permanent selbst Gesetze. Wenn er mit Indie-Rock, Country und Blues hantiert, spielt er sie diesmal strammer, weniger rumpelig und Lo-Fi als es seinem angepunktem Image und seiner Garagenrock-Vergangenheit entspricht. Und Americana ist überhaupt keine Pflicht.
Der Kalifornier ist klanglich sanfter als sonst. Mehrere traumhaft feingewebte psychedelische Piano-Balladen finden sich genauso auf dem Album, wie eine fernöstlich anmutende Komposition mit Tablaklängen und eine nüchterne Spoken-Word-Performance zu Drumcomputer.
"Meine Songs sind nicht politisch, sie berühren politische Themen, weil das die Themen sind über die ich mich mit meinen Freunden unterhalte, das ist Teil unserer Wirklichkeit. Aber zum Beispiel der Song 'American Canyon Sutra' ist eine Meditation, ein Gebet, es ist keine Propaganda. Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe ist zu kontrollieren, was andere Leute denken."
Eine Meditation über den Shoppingmall-Fetisch der Amerikaner und den Wohlstandsmüll, in dem sie leben. Cass McCombs nimmt auf dem Stuhl Platz, von dem aus ein Künstler der Gesellschaft am nützlichsten ist, als neutraler Beobachter, der sich auf keine Seite schlägt, sondern nur die Essenz eines Problems aufzeigt.
Apokalypse als Erlösung
Cass McCombs ist auch ein Mann für radikale Gedankenspiele - im endzeitlichen Song "Sleeping Volcanos" fleht er sarkastisch die ultimative Katastrophe an, ihm zu helfen. Ausgerechnet Armageddon soll ins Lot bringen, was der Mensch verdorben hat. Da ist es wieder, das Zerstörungs-Motiv.
Allen Texten gemein ist das Pendeln - von konkreten Beobachtungen, gefüttert mit galligen soziopolitischen Anspielungen hin zu Schilderungen aus dem Unterbewussten. Auch die Titel seiner Alben gestaltet der 41-Jährige gerne als Rätsel, sein mittlerweile neuntes Album ist "Tip of the Sphere". Ist das ein Paradoxon? Dichtet McCombs der runden Atmosphäre eine Spitze an? "The Tip of the sphere ist wie eine Form, es ist ein Zeichen, es ist überflüssig", sagt er dazu.
"Das Unbewusste ist nicht abstrakt"
Es sind solche abstrakten Aussagen, die Cass McCombs über nunmehr sechszehn Jahre aktiven Musikerdaseins den Ruf des Unergründlichen eingebracht haben.
"Ich habe ein bisschen ein Problem mit dem Wort abstrakt. Das Ziel mit dem ich und auch andere Songschreiber in Songs Sprache benutzen, ist es, einen natürlicheren Ausdruck dafür zu finden, wie wir denken. Das Unbewusste ist nicht abstrakt, es ist die unergründliche Quelle des Bewusstseins, mit ihrer Hilfe versuchen wir, unsere Umgebung zu verstehen."
Ein lässig geniales Album
Der herkömmliche Blick und nüchterne Analyse bringen oft nicht weiter. Cass McCombs stellt einfach alles in Frage und er rät seinem Publikum verschmitzt, auch seinen Songs zu misstrauen:
"Viele meiner Erzähler sind keine vertrauenswürdigen Leute, am besten folgst Du ihnen nicht über die Klippe. Du merkst sie sind ein bisschen verrückt und am besten lässt Du sie allein über die Klippe springen."
Jetzt will er auch noch den Glauben an sich als Songwriter zerstören, aber auch dabei muss man ihm nicht folgen, dafür ist "Tip of the Sphere" in seinem kunstvollen Zerstörungsmodus einfach zu lässig genial geraten.