Eine Ära geht zu Ende
Die Intendanz von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne endet nach 25 Jahren - mit einer letzten Vorstellung und einem Straßenfest. Kritiker und Ex-Dramaturg Michael Laages blickt zurück auf die aus seiner Sicht einmalige Arbeitsatmosphäre in einer "Baustelle der Emotionen".
Selten gab es so viel Abschiedsschmerz und Symbolaktionen beim Ende einer Intendanten-Ära. Erst wurde bei der letzten Aufführung von Castorfs Inszenierung der "Brüder Karamasow" sehr effektvoll der OST-Schriftzug vom Dach entfernt, nun das Wahrzeichen des Hauses, Bert Neumanns "Räuberrad" vom Vorplatz abgebaut – es soll mit auf Gastspielreise nach Avignon und restauriert zurückkehren.
Ein Abschied von einer Ära, verbunden mit großen Emotionen - das ist es auch für Michael Laages, Theaterkritiker und ehemaliger Volksbühnen-Dramaturg. Er habe aus "tiefstem Grunde seines Herzens" Dank zu sagen für die Zeit mit Frank Castorf:
"Aus tiefstem traurigen und wütendem Grunde meines Herzens auch. Ja, das ist ein Lebensabschnitt, der zu Ende geht. Wenn gesagt wird, da muss man mal 25 Jahre dabei gewesen sein – das bin ich auch."
"Aus tiefstem traurigen und wütendem Grunde meines Herzens auch. Ja, das ist ein Lebensabschnitt, der zu Ende geht. Wenn gesagt wird, da muss man mal 25 Jahre dabei gewesen sein – das bin ich auch."
Einmaliger Arbeitszusammenhang, eine Art "betreutes Wohnen"
Laages erinnert sich im Deutschlandfunk Kultur auch an die Atmosphäre am Theater in der Zeit seiner Mitarbeit als Dramaturg von 2007 bis 2008. Das sei eine Art "Baustelle der Emotionen" gewesen:
"Es ist ein Arbeitszusammenhang gewesen, wie ich ihn sonst nie wieder wahrgenommen habe. Und das fängt eigentlich vor allen Dingen an den Rändern an. Es fängt bei der Putzfrau Rosi an. Das fängt bei dem bulgarischen Pförtner unten in der Loge an. Das fängt bei den Bühnenarbeitern an. Frank Castorf hat das einmal so eine Art betreutes Wohnen genannt."
"Es ist ein Arbeitszusammenhang gewesen, wie ich ihn sonst nie wieder wahrgenommen habe. Und das fängt eigentlich vor allen Dingen an den Rändern an. Es fängt bei der Putzfrau Rosi an. Das fängt bei dem bulgarischen Pförtner unten in der Loge an. Das fängt bei den Bühnenarbeitern an. Frank Castorf hat das einmal so eine Art betreutes Wohnen genannt."
Castorfs besondere Theaterästhetik sei nicht vom Prinzip der Zertrümmerung bestimmt gewesen, urteilt Laages – so wie es ihm oft vorgeworfen worden sei. Dessen Inszenierungen seien immer entschlüsselbar und verstehbar gewesen:
"Castorf hat nie ein Stück zertrümmert, er hat es sozusagen immer in seine Einzelteile zerlegt - wenn man das zertrümmern nennen will, ist aber eigentlich nicht so gemeint. Er will interpretieren: Was sind die Bausteine? Was sind die Ingredienzien eines Textes und der Geschichte drum herum? Manchmal (geht das) auch ganz weit wabernd in die historischen Zusammenhänge hinein."
"Castorf hat nie ein Stück zertrümmert, er hat es sozusagen immer in seine Einzelteile zerlegt - wenn man das zertrümmern nennen will, ist aber eigentlich nicht so gemeint. Er will interpretieren: Was sind die Bausteine? Was sind die Ingredienzien eines Textes und der Geschichte drum herum? Manchmal (geht das) auch ganz weit wabernd in die historischen Zusammenhänge hinein."
Identifikation des Publikums ist zu einer "Bewegung" geworden
Die stets hohe Identifikation des Publikums mit diesem Theater ähnele mittlerweile fast einer "Bewegung", sagt Laages – das sei ein bemerkenswerter Umstand:
"Das gibt es für Claus Peymann nicht. Und das ist schon ein Teil der Inszenierung, ein Teil der Verschwörung eines Geistes, den man immer ganz schwer beschreiben kann. Und der aber immer vorhanden gewesen ist, wenn es um die Volksbühne ging."
"Das gibt es für Claus Peymann nicht. Und das ist schon ein Teil der Inszenierung, ein Teil der Verschwörung eines Geistes, den man immer ganz schwer beschreiben kann. Und der aber immer vorhanden gewesen ist, wenn es um die Volksbühne ging."
Neue Petition zur Zukunft der Volksbühne
Nun kommt auch noch eine Petition hinzu, die fordert, dass Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und Kultursenator Klaus Lederer die Zukunft der Volksbühne neu verhandeln müssten. Bereits über 1400 Personen, darunter viele prominente Wissenschaftler und Künstler, haben unterzeichnet.
Laages gehört zu den Unterzeichnern dieser Petition. Er meint, dass die "Castorf-Volksbühne" jetzt nicht automatisch zu einer "Dercon-Volksbühne" werde:
"Es geht tatsächlich darum zu fragen: Nimmt er (Dercon) den Auftrag tatsächlich wahr, den er von der Berliner Politik bekommen hat? Und wenn dieses erste Jahr eines ist, in dem Theater in dem Sinne, in dem man Theater in Deutschland normalerweise versteht – mit Stücken, mit einem Repertoire, vielleicht auch mit einem richtigen Ensemble – nicht stattfindet, dann erfüllt er seinen Auftrag nicht. Das ist ganz simpel: Dann ist der Vertrag entweder nicht erfüllt und/oder neu zu verhandeln. Und nichts anderes versucht diese Petition jetzt noch einmal in die Debatte zu bringen."
"Es geht tatsächlich darum zu fragen: Nimmt er (Dercon) den Auftrag tatsächlich wahr, den er von der Berliner Politik bekommen hat? Und wenn dieses erste Jahr eines ist, in dem Theater in dem Sinne, in dem man Theater in Deutschland normalerweise versteht – mit Stücken, mit einem Repertoire, vielleicht auch mit einem richtigen Ensemble – nicht stattfindet, dann erfüllt er seinen Auftrag nicht. Das ist ganz simpel: Dann ist der Vertrag entweder nicht erfüllt und/oder neu zu verhandeln. Und nichts anderes versucht diese Petition jetzt noch einmal in die Debatte zu bringen."
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