Auch Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken hat sich die Castorf-Inszenierung angeschaut. Und lässt kein gutes Haar am Regie-Altmeister: Erneut zeige sich, dass Castorf "zu einem ausgehöhlten Klischeeapparat" geworden sei. Man sehe "immer wieder das Gleiche". Wie Castorf versuche, sich selbst als ästhetisches Genie zu inszenieren, sei "so 19. Jahrhundert - es ist einfach unglaublich!" (mkn)
Hören Sie hier das Gespräch mit Vinken in "Studio 9" vom heutigen Samstag:
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Ein enttäuschender Abend
Unser Theaterkritiker Christoph Leibold war bei der Premiere von Frank Castorfs Inszenierung in München. Obwohl das Stück nur vier Stunden gedauert hat, sei es "deutlich zäher als so mancher Siebenstünder" gewesen. Insgesamt enttäuschend.
Frank Castorf habe mit Aurel Manthei und Franz Pätzold gleich zwei Don-Juan-Darsteller ins Rennen geschickt: einen agilen Typen und eine eher virile Erscheinung, erläutert Christoph Leibold den Premierenabend. Doch für unseren Theaterkritiker hatte die Inszenierung eher etwas von einem "melancholischen Abgesang".
Castorf habe sich weniger für den Womanizer Don Juan, als vielmehr für den intellektuellen Freigeist, der sich gegen Gebote der Gesellschaft und Gottes wehrt, interessiert. Als Atheist sei man nun mal dem freien Fall ausgesetzt, da es für diese Gruppe von Menschen kein Jenseits gibt.
Castorf interessiere sich also für den "Verführer aus Verzweiflung". Dazu passe die Barock-Bühne von Aleskandar Denic sehr gut, da sie das Thema dieser Epoche, die Vanitas, sehr gut widerspiegle: "Alles ist eitel.", so Leibold weiter.
Castorf habe mit großem Ernst quasi sein eigenes "memento mori" inszeniert. Wer Testosteron, Hysterie, Dynamik suche, komme hier nicht auf seine Kosten. Ganz im Gegenteil. Ein ganz untypischer Castorf sei diese Inszenierung gewesen. "Die Frauenfiguren fallen hinten runter. Es geht eher um die Krise dieses Mannes."
Das Stück habe eine für Castorf untypische Spieltemperatur gehabt. Gegen Ende des Stücks sei es auch langweilig geworden. Leibold zeigt sich deswegen erstaunt über das Publikum, das diese Premiere wie einen normalen Castorf-Abend abgefeiert habe.
Insgesamt sei das alles sehr in Slow-motion gewesen. Die Kolonialismus- und Imperialismuskritik am Ende sei "überambitioniert rübergekommen" und habe "übergestülpt gewirkt".