Lesen und hören Sie hier auch unser Gespräch mit Ernest Wichner, der Mihuleacs Roman übersetzt hat.
Tabubruch in flapsigem Ton
Am Beispiel der fiktiven jüdischen Arztfamilie Oxenberg zeigt Cătălin Mihuleac, wie der Antisemitismus in Rumänien seit den 1920ern stetig wächst - und sich im Pogrom in der moldauischen Stadt Iași im Juni 1941 entlädt. Über das Massaker wurde bisher geschwiegen.
Dank Rumänien als Schwerpunktland der diesjährigen Leipziger Buchmesse liegt nun auch einer der wichtigsten, kühnsten und umstrittensten Romane der rumänischen Gegenwartsliteratur in deutscher Übersetzung vor: "Oxenberg & Bernstein" von Cătălin Mihuleac. Darin greift der Autor ein Tabuthema auf, das in Rumänien jahrzehntelang verdrängt und verleugnet wurde: das Pogrom in der moldauischen Stadt Iași, dem im Juni 1941 mehr als 13.000 Menschen zum Opfer fielen – mehr als ein Drittel der jüdischen Bevölkerung der Stadt. Sie wurden erschossen, totgeprügelt, in Deportationszügen langsam und qualvoll erstickt; ihre Häuser wurden geplündert, ihre Leichen der Kleider beraubt, die Frauen vergewaltigt.
Bis heute wird in Rumänien nur widerwillig eingeräumt, dass für das Massaker rumänische Polizisten, Soldaten und Paramilitärs verantwortlich waren, unter aktiver Beteiligung der Zivilbevölkerung und unter Aufsicht der deutschen Wehrmacht.
In Rumänien: einerseits Verkaufserfolg, andererseits boykottiert
In Rumänien war Mihuleacs Roman bei seinem Erscheinen 2014 wegen seines Tabubruchs heftig umstritten: Einerseits war der Roman ein Verkaufserfolg, andererseits wurde er angefeindet und zum Teil auch boykottiert, nicht nur, weil er mit der bequemen Geschichtslüge von der alleinigen Schuld der Wehrmacht am Massenmord aufräumte, sondern auch wegen seines provokanten, flapsigen Erzähltons.
Am Beispiel der fiktiven jüdischen Arztfamilie Oxenberg in Iași, der Hochburg der faschistischen Eisernen Garden, führt der Autor vor, wie seit den 1920er-Jahren der Antisemitismus der Rumänen staatlich gesteuert und angeheizt, die Atmosphäre in der Stadt vergiftet und die jüdische Bevölkerung schrittweise immer aggressiver schikaniert und entrechtet wird. Jüdische Studenten werden aus den Universitäten gedrängt, jüdische Geschäfte werden verwüstet, in den Zeitungen wird gegen die Juden gehetzt.
Oxenbergs halten Judenhass für Modeerscheinung
Dem stadtbekannten Gynäkologen Jacques Oxenberg, einer Koryphäe des Kaiserschnitts, schlägt in den 1930er-Jahren eine Mischung aus Sozialneid und Rassenhass entgegen. Die Ehemänner seiner christlichen Patientinnen beneiden ihn um seinen Ruhm und seinen Reichtum und verübeln ihm zugleich seine ärztliche Brillanz bei der intimen Behandlung ihrer schwangeren Frauen. Allzu lange halten die Oxenbergs den Judenhass für eine vorübergehende Modeerscheinung – bis im Pogrom von 1941 die klerikal-faschistische Tollwut mörderisch ausbricht. Der Arzt und sein Sohn werden deportiert und totgeknüppelt, seine Frau nimmt sich nach einer brutalen Gruppenvergewaltigung das Leben und nur die kleine Tochter Golda überlebt das Massaker.
Cătălin Mihuleac verschränkt seine Erzählung vom Untergang der Familie Oxenberg in Iași kapitelweise mit der Geschichte vom Aufstieg der jüdischen Familie Bernstein einige Jahrzehnte später in Washington. Die Bernsteins konnten rechtzeitig aus Iași in die USA emigrieren. Dort sind sie mit Altkleiderhandel (dem Großunternehmen "Bernstein Vintage Ltd.") so erfolgreich, dass sie auch in Europa, und zwar in Iași, eine Niederlassung gründen. Dort lernt einer der Bernstein-Söhne Sânziana ("Suzy") kennen, eine kecke und tüchtige junge Rumänin, die er in die USA holt und heiratet. Suzy verhilft nicht nur dem Bernstein-Unternehmen zu ungeahntem Aufschwung, sie ist auch die Erzählerin der Bernstein-Kapitel des Romans.
Unverschämt deftig
Die längste Zeit lässt der Autor die beiden Familiengeschichten unverbunden abwechselnd nebeneinander herlaufen. Erst im abschließenden vierten Romanteil verknüpft er sie. Der aufmerksame Leser wird die Art der Verknüpfung und die eigentliche Erzählinstanz der Oxenberg-Kapitel zwar schon vorher erraten haben, doch die geheime Pointe des Romans wird erst am Ende klar: Die Niederlassung in Iași ist ein Akt der Rache und ausgleichenden Vergeltung. Die Rumänen, die einst den dahingemordeten Juden die Kleider vom Leib stahlen, müssen nun fürs Tragen von Altkleidern aus jüdischem Besitz bezahlen.
Das alles liest sich unverschämt deftig und politisch unkorrekt, mitunter zotig. Doch Mihuleacs stilistische Gratwanderung, in der traumwandlerisch sicheren und gewandten Übersetzung Ernest Wichners, erscheint so kühn wie letztlich überzeugend: Gerade der scheinbar leichtfertige burleske Erzählton bringt das grauenvolle Geschehen umso beklemmender zum Vorschein.
Cătălin Mihuleac: Oxenberg & Bernstein. Roman
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018
366 Seiten, 24 Euro