Catarina Katzer: "Cyberpsychologie. Leben im Netz: Wie das Internet uns verändert"
dtv, München 2016
352 Seiten, 16,90 Euro
Wie das Internet die Psyche prägt
Weil sich der Mensch im Netz auf einer virtuellen Bühne bewegt, muss er anders agieren als im realen Leben - das ist die These von Catarina Katzers "Cyberpsychologie". Die viel gefragte Sozialpsychologin beschreibt vor allem die Gefahren dieses Wechselspiels.
"Terror der Internetökonomie" - "Netzfalle" - "Pawlowsche Cyberdogs" - "Wahrnehmungsdiffusion" – brüllt es aus dem Buch von Catarina Katzer. Klar: Das Internet bedroht den Menschen. Dabei verspricht "Cyberpsychologie" auf den ersten Blick mehr zu sein als das alte Klagelied über die Schattenseiten der Digitalisierung. Die Sozialpsychologin gilt als führende Forscherin auf dem Gebiet der Cyberpsychologie. Als Expertin berät sie den Europarat und den Deutschen Bundestag. Von ihr darüber Details zu erfahren, wie das Internet die menschliche Psyche dauerhaft prägt, wäre ein Gewinn.
Ihr Ansatz ist auch plausibel. Weil sich der Mensch im Netz auf einer virtuellen Bühne bewegt, ohne physisch real agieren zu müssen, befindet er sich dort auf einer anderen Wahrnehmungsebene als im realen Leben. Das gilt es auszubalancieren. Denn allein das ständige Hin und Her zwischen On- und Offline, aber auch das Navigieren innerhalb der unaufhörlich aufpoppenden digitalen Dienste überfordert die Aufnahmefähigkeit der meisten User. Nur zwei Prozent der Menschen sind nämlich "echte Multitasker", können also vieles gleichzeitig erfassen, haben Psychologen der University of Utah herausgefunden.
Ein neues Verhältnis zum eigenen Handeln
Aber auch zum eigenen Handeln entwickelt man - laut Catarina Katzer - man ein völlig neues Verhältnis. Online hat es keine direkten Konsequenzen, wenn man mit anderen kommuniziert. Das eigene Selbstbild ist nur einem virtuellen Feedback ausgesetzt, da das physische Gegenüber fehlt. Stattdessen bestimmen Algorithmen, Freunde im sozialen Netzwerk und eine geschickte Selbstdarstellung darüber, wie man dasteht und sich selbst empfindet. Und auch das Zeiterleben ist im Netz ein anderes. Je tiefer man eintaucht, desto schneller rast die Zeit – ohne dass man das selbst mitbekommt.
Grundsätzlich ist vieles davon weder gut noch schlecht. Man kann das virtuelle Selbst als Erweiterung oder als Belastung erleben. Doch leider beschränkt sich Catarina Katzer darauf, die Gefahren auszubuchstabieren, die aus dem Wechselspiel von virtueller und realer Welt erwachsen. Realitätsverlust, emotionale Abstumpfung, Mobbing, Internetsucht, Cyberkriminalität, Datenmissbrauch – nichts, das man schon kennt, fehlt. Auch alle prominenten Internetkritiker – von Morozow bis zu Lanier – zitiert sie. Ohne dabei auch nur einen eigenen weiterführenden Gedanken zu entwickeln.
Reißerische Schlagworte und rätselhafte Begriffe
Stattdessen operiert sie neben reißerischen Schlagworten mit rätselhaften Begriffen wie zum Beispiel "Wahrnehmungsdiffusion". Diese entsteht ihrer Meinung nach bei übermäßiger Internetnutzung. Diffus ist sie aber selbst: Ständig spricht sie von einem imaginären "wir", das ein "schädliches Nutzungsverhalten" zeigt, ohne es wirklich greifbar zu machen. Genau so sind auch ihre Vorschläge. "Eine neue Netzethik scheint wohl angebracht" oder: Technologie müsse wieder mehr unter Einsatz unseres moralischen Gewissens betrachtet werden, lautet ihr Fazit.
Schwammiger geht es nicht. Wenn das die Handlungsempfehlungen sind, die Experten Politikern geben, wundert es nicht, dass deren fehlende Digitalkompetenz immer wieder in der Kritik steht.