Catherine Malabou: "Negierte Lust. Die Klitoris denken"
Aus dem Französischen von Luzia Gast
Diaphanes Verlag, Berlin 2021
120 Seiten, 18 Euro
Das Organ, an das keiner denkt
05:16 Minuten
Viel hat man in der abendländischen Kultur und Philosophie über den Phallus und seine Symbolik nachgedacht. Wenig hingegen über sein weibliches Pendant. Die französische Philosophin Catherine Malabou füllt nun eine Lücke.
Die Klitoris hat ein Problem. Jedenfalls könnte man auf diesen Gedanken verfallen, wenn man Catherine Malabou durch die Kulturgeschichte des Lustorgans folgt. Entweder wurde sie als verkümmerter Penis beschrieben und noch bei Freud als Ursache eines systemischen Penisneids ins Feld geführt. Oder sie wurde dazu im (uneingestandenen) Widerspruch stehend als gefährlich machtvolles Organ verteufelt.
Die Klitorisbeschneidung ist nur die brutalste Form eines notorischen Tilgungsversuchs. Malabou nennt sie sarkastisch "eine Radikallösung gegen die Unendlichkeit der Lust". Ihre ständige Nichtdarstellung in der Kunst- und Literaturgeschichte ist die symbolische Komponente dieser "Radikallösung".
Das Klitorale versus das Phallische
Die Philosophin Catherine Malabou zeigt in "negierte Lust" nun, dass auch die Philosophie bislang wenig Tragfähiges zum Wesen der Klitoris hervorgebracht hat. Oder besser gesagt: zum Klitoralen als Denkmuster analog zum Phallischen.
Zwar hatte Simone de Beauvoir schon darauf hingewiesen, dass die Frau als Muse oder Nymphe eine männliche Phantasie sei, in der dem Weiblichen eine gefäßhafte, also empfangende Existenz zukomme. Denn: "Die Muse schafft nichts aus sich selbst heraus", sie ist "Alles, außer sie selbst".
Malabous philosophischer Gesprächspartner Jacques Derrida sei dann aber der Erste gewesen, der mit seiner dekonstruktivistischen Methode so etwas wie einen kulturprägenden "Phallozentrismus" diagnostiziert hat, also eine Privilegierung alles Aufgerichteten, Erigierten, Penetrationsfähigen, während die Frau auf etwas Matrixhaftes, Mütterliches, Vaginal-Uterales reduziert wurde.
Aufstand der Muschis
Zur Klitoris selbst fiel dem Meister dann aber auch nichts Wegweisendes ein. Und nicht mal Michel Foucault, der Experte für freiheitsberaubende Körperdispositive, hat sich diesbezüglich geäußert. Außer der "monströsen" Klitoris des Hermaphroditen widmet er dem weiblichen Organ keine Zeile – nicht mal in seinem Klassiker "Der Wille zum Wissen".
Vieles habe sich heute schon verändert, befindet Malabou, die selbst dem Jahrgang 1959 angehört. Heute sind viele feministische oder transfeministische Perspektiven auf die Klitoris möglich. So forderte die Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot eine "Klito-Revolution" und einen "Aufstand der Muschis".
Andere wie der Transtheoretiker Paul B. Preciado fordern, den Übergang zwischen den Geschlechtern fluide zu halten. Doch Malabou geht es nicht um die Auflösung aller Geschlechtergrenzen, sondern um die Nutzung eines verkümmerten Potenzials: Die Klitoris als "Dispositiv" erlaubt es uns nämlich, so die These, Sexualität und Macht noch einmal ganz anders zu denken.
Ein Organ, um das nicht so viel Aufhebens gemacht wird
Noch bei Freud erscheint das klitorale Stadium der weiblichen Sexualität nur als "rite de passage", dem dann die endgültige Erfüllung in der vaginalen Phase zu folgen hat. Hierfür braucht es dieser Logik nach einen passgenauen Phallus.
"Klitoridisch" zu sein, so schrieb die italienische Feministin Carla Lonzi in den Sechzigerjahren, habe für eine Frau damals bedeutet, "in der ersten Person zu denken". Und darum geht es auch Malabou, die sich als "radikale Feministin" bezeichnet, die zwar nicht blind ist für die vielgestaltigen Anliegen des Transfeminismus, die aber vor allem eines im Sinn hat: der zweckfreien Lustfähigkeit der Klitoris, ihrem darin liegenden Anarchismus also, philosophisch Ausdruck zu verleihen.
Die gerade wiederentdeckte afroamerikanische Feministin Audre Lorde schrieb einmal, dass es die wahre Feministin immer mit einem lesbischen Bewusstsein zu tun habe, ob sie nun mit Frauen schlafe oder nicht.
Um ein solches Bewusstsein geht es Malabou in ihrem tastenden, manchmal auch begrifflichen mäandernden Essay zu einem Organ, das die Hälfte der Menschheit besitzt, ohne dass darum annähernd so viel Aufhebens gemacht worden wäre, wie um den Phallus, den die andere Hälfte der Menschheit besitzt.