Catherine Millet: "Traumhafte Kindheit"
Aus dem Französischen von Paul Sourzac
Secession Verlag, Berlin und Zürich 2017
240 Seiten, 22 Euro
Die ersten Schritte in die Welt
In "Traumhafte Kindheit" kehrt die Schriftstellerin und Feministin Catherine Millet zurück in ihre nicht besonders glücklichen ersten Lebensjahre. Durch Erinnerung vergewissert sie sich ihrer selbst - angelehnt an ihr Vorbild Marcel Proust.
"Das sexuelle Leben der Catherine M." war vor 15 Jahren ein Welterfolg. Catherine Millet, eine der maßgeblichsten Kunstkritikerinnen Frankreichs, hatte darin das autobiografische Schreiben in die intimste Sphäre getrieben. Das Buch war eine Streitschrift für die Freiheit der Frauen, sich ihre Sexpartner frei zu wählen und ein promiskes Leben zu führen, ohne auf bürgerliche Konventionen Rücksicht zu nehmen. Ein sehr expliziter Text, ein Plädoyer für die sexuelle Befreiung.
Anders als etwa "Feuchtgebiete", "Fifty Shades of Grey" oder ähnliche Entblößungsromane, die in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen sind, war "Das sexuelle Leben der Catherine M." ein literarisch fein durchgearbeitetes Kunstwerk - weit entfernt von Pornografie, wie dem Text oft vorgeworfen wurde. Und während in den Büchern Michel Houellebecqs sexuelle Handlungen meist als frustrierend und freudlos dargestellt werden, ist bei Catherine Millet ein freizügig geschildertes Liebesleben ein wichtiger Teil eines gelungenen Lebens.
Nach dem Aufreger-Buch beschäftigte sich Millet in einer weiteren ungeschminkten, autobiografischen Erzählung mit der "Eifersucht" - den psychischen Folgen hemmungslosen Fremdgehens und Betrügens. Dieses mitunter bis in den Wahn gesteigerte Gefühl, von dem sie sich frei geglaubt hatte, beschrieb die Schriftstellerin fast noch eindringlicher als zuvor den Drang, sich sexuell auszuleben.
Anders als etwa "Feuchtgebiete", "Fifty Shades of Grey" oder ähnliche Entblößungsromane, die in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen sind, war "Das sexuelle Leben der Catherine M." ein literarisch fein durchgearbeitetes Kunstwerk - weit entfernt von Pornografie, wie dem Text oft vorgeworfen wurde. Und während in den Büchern Michel Houellebecqs sexuelle Handlungen meist als frustrierend und freudlos dargestellt werden, ist bei Catherine Millet ein freizügig geschildertes Liebesleben ein wichtiger Teil eines gelungenen Lebens.
Nach dem Aufreger-Buch beschäftigte sich Millet in einer weiteren ungeschminkten, autobiografischen Erzählung mit der "Eifersucht" - den psychischen Folgen hemmungslosen Fremdgehens und Betrügens. Dieses mitunter bis in den Wahn gesteigerte Gefühl, von dem sie sich frei geglaubt hatte, beschrieb die Schriftstellerin fast noch eindringlicher als zuvor den Drang, sich sexuell auszuleben.
Flucht in Träumereien
"Traumhafte Kindheit", das nun auf Deutsch erschienen ist, geht zurück in die frühen Lebensjahre der Autorin. Es sind Erinnerungen an erste Schritte in die Welt. Eine Zeit, in der das Bewusstsein noch ungeformt ist und die das Kind "wie im Traum" erlebt, indem es die Menschen um sich herum beobachtet. Es geht auch um erste sexuelle Erfahrungen, vor allem aber um die Beobachtung der Erwachsenenwelt: die ewig streitenden Eltern, deren wechselnde Liebhaber vor den Kindern nicht verborgen bleiben, die Orientierungslosigkeit des Mädchens in der Schule - eine nicht besonders glückliche Kindheit, der die junge Catherine in Träumereien von Filmstars und einer glamourösen Schriftstellerkarriere zu entfliehen versucht.
Es geht Millet, die mittlerweile 69 Jahre alt ist, in diesem Text nicht darum, ihre Herkunft aus eher einfachen Verhältnissen in einer nord-westlichen Vorstadt von Paris zu erzählen. Das sehr eindringliche und beeindruckende Buch ist keine klassische Biografie, sondern eine Suche danach, wie sie als Kind nach und nach die Welt in sich aufgenommen - und in Sprache geformt hat. Eine Methode der Selbstvergewisserung durch die Erinnerung, wie sie Marcel Proust - für Millet das große literarische Vorbild - perfektioniert hat.
Es geht Millet, die mittlerweile 69 Jahre alt ist, in diesem Text nicht darum, ihre Herkunft aus eher einfachen Verhältnissen in einer nord-westlichen Vorstadt von Paris zu erzählen. Das sehr eindringliche und beeindruckende Buch ist keine klassische Biografie, sondern eine Suche danach, wie sie als Kind nach und nach die Welt in sich aufgenommen - und in Sprache geformt hat. Eine Methode der Selbstvergewisserung durch die Erinnerung, wie sie Marcel Proust - für Millet das große literarische Vorbild - perfektioniert hat.
Kühl, analytisch, intim
Die spannungsgeladene familiäre Situation in einer unbequemen, beengten und dadurch zwangsläufig indiskreten Wohnung. Das Zerbrechen der Ehe der Eltern, der selbstverständliche Umgang mit Liebhabern - das libertäre Leben war in Millets kleinbürgerlicher Familie angelegt. Aber auch die Verletzungen, die ihre Mutter in Depression und Selbstmord getrieben haben.
Liest man nach "Traumhafte Kindheit" noch einmal die ersten Zeilen des "Sexuellen Lebens der Catherine M.", dann findet man dort fast dieselben Worte, mit denen sie ihre bescheidene Herkunft schildert, wie jetzt in der literarischen Autobiographie der späten Jahre. "Traumhafte Kindheit" wirkt nicht nur dadurch wie der letzte Teil einer Trilogie über die "Education sentimentale" der Catherine Millet: die Schule der Seele und der Sinne. Ein kühler, analytischer, teils psychoanalytischer und wieder sehr intimer Blick, sprachlich-stilistisch auf allerhöchstem Niveau. Ein wieder radikal offener, aber gleichzeitig zarter - verletzlicher Text.
Liest man nach "Traumhafte Kindheit" noch einmal die ersten Zeilen des "Sexuellen Lebens der Catherine M.", dann findet man dort fast dieselben Worte, mit denen sie ihre bescheidene Herkunft schildert, wie jetzt in der literarischen Autobiographie der späten Jahre. "Traumhafte Kindheit" wirkt nicht nur dadurch wie der letzte Teil einer Trilogie über die "Education sentimentale" der Catherine Millet: die Schule der Seele und der Sinne. Ein kühler, analytischer, teils psychoanalytischer und wieder sehr intimer Blick, sprachlich-stilistisch auf allerhöchstem Niveau. Ein wieder radikal offener, aber gleichzeitig zarter - verletzlicher Text.