Catherine Newmark: Warum auf Autoritäten hören?∗
Duden-Verlag, Berlin 2020
128 Seiten, 14 Euro
Ohne Ansagen geht es nicht
13:00 Minuten
Eine Welt ohne Autoritäten kann es nicht geben. Denn die Menschen seien auf Rat und Orientierung durch andere Menschen angewiesen, sagt die Philosophin Catherine Newmark. Uns fehle allerdings die Übung, damit produktiv umzugehen.
Menschen haben generell ein Bedürfnis nach Autorität, sagt die Philosophin Catherine Newmark∗. Das Verhältnis zur Autorität habe sich seit der Aufklärung aber stark verändert:
"Gott-Vater hat Macht und Autorität über die Erde und alle Menschen, der König hat Macht und Autorität über seine Untertanen, und der Vater hat Macht und Autorität über seinen gesamten Haushalt."
So hieß es ehemals. Diese Verhältnisse wurden aber nach und nach kritisiert, sagt Newmark. Die Republik ersetzte das Königreich. Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb allerdings die Macht des Vaters über Frau, Kinder und Angestellte bestehen.
Kritik an der "männlichen Macht"
Autoritätskritik habe sich daher gegen "männliche Macht" gerichtet, die als selbstverständlich galt. Mittlerweile habe unsere Gesellschaft das "Ideal der Gleichheit und der Freiheit jedes einzelnen Individuums" aber verinnerlicht, was neue Fragen aufwerfe. Denn dieses Ideal - so Newmark - sei faktisch keine präzise Beschreibung von uns als Menschen.
Menschen seien darauf angewiesen, andere Menschen zu autorisieren, weil einer allein eben nicht alles wissen kann. "Wir brauchen Rat, wir brauchen Unterstützung, wir brauchen Hilfe. Ich bitte die Person, mir die Erlaubnis zu geben, kurz mein eigenes Denken auszuschalten oder mein eigenes Denken nicht das einzige sein zu lassen."
Dieser Mechanismus der Abgabe von Verantwortung auf der Suche nach Orientierung sei immer am Werk. Wir sollten ihn uns bewusst machen und ein produktiveres Verhältnis dazu entwickeln, betont die Philosophin.
"Nur wenn wir wissen, dass dieser Mechanismus immer am Werk ist, müssen wir auch nicht denken, dass es ein Missbrauch ist, wenn manche Leute Macht ausüben."
Die "leise Expertenautorität", die auch Zweifel kennt
Newmark spricht von der "leisen Expertenautorität, die auch Zweifel äußert", die derzeit sehr erfolgreich sei. Hier gehe es darum, dass "jemand Verantwortung übernimmt und die Sache lenkt, aber in einer leisen und nicht besonders imposanten bild-gewaltigen Art".
Eine so verstandene Autorität berge auch große Herausforderungen für das Eltern-Kind-Verhältnis. Denn Eltern müssten Kinder in die Welt einführen.
"Wir sind verantwortlich für sie, und wir müssen ihnen auch sagen 'Zähneputzen ist wichtig.' Das ist eine nicht hinterfragbare Tatsache. Von daher sind wir als Eltern einfach damit konfrontiert: Ja, wie gehen wir denn jetzt damit um?"
Auch gleichberechtigte Partnerschaften fielen uns nicht unbedingt leicht, sagt Newmark. Denn es gebe kein "Grundmuster einer nicht-hierarchischen, egalitären Gesellschaft" - diese sei historisch relativ neu. Insofern sei man gerade erst mittendrin in dem "Versuch, nicht autoritäre Verhältnisse in Familien zu haben" zu etablieren.
(huc)
∗Wir weisen hiermit darauf hin, dass Catherine Newmark auch redaktionell sowie als Autorin für Deutschlandfunk Kultur arbeitet