CDU-Generalsekretär Pofalla: "Auf Bundesebene sind Grüne und CDU meilenweit auseinander"

Moderation: Ulrich Ziegler und Carsten Burtke |
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla begrüßte die schwarz-grünen Koalitionsgespräche in Hamburg, sieht aber derzeit kein Pendant dazu auf Bundesebene. Kritik der FDP an der schwarz-grünen Annäherung in Hamburg wies Pofalla zurück. Dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck warf Pofalla angesichts der Öffnung gegenüber der Linkspartei einen unverzeihlichen "Wortbruch" vor, der "das Vertrauen in die Regierungsarbeit der SPD und die Zusagefähigkeit erschüttert".
Deutschlandradio Kultur: Nach Wochen der Sprachlosigkeit in der Großen Koalition hat sich die Bundeskanzlerin in dieser Woche mit SPD-Chef Kurt Beck zu einem Vieraugengespräch getroffen. Herr Pofalla, wird jetzt in Deutschland wieder richtig regiert?

Ronald Pofalla: Es ist ja auch vorher richtig regiert worden. Selbst als die drei Landtagswahlen waren, haben wir ja vernünftige Sachentscheidungen treffen können. Allerdings, und das gebe ich offen zu, hat die Öffentlichkeit sich da nicht in dem Maße dafür interessiert, wie es vielleicht gewesen wäre, wenn keine Landtagswahlen gewesen wären.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein kleines Fragezeichen muss man doch mal machen. Laut Koalitionsvertrag sollten sich Union und SPD regelmäßig mindestens einmal monatlich zu Koalitionsgesprächen im Koalitionsausschuss treffen. Zuletzt tagte dieses Gremium im vergangenen November. Und der nächste Termin ist möglicherweise der 28. April. Sie sagen jetzt, es läuft alles wie geschmiert?

Ronald Pofalla: Die Regierung, und da darf man doch jetzt mal unsere Verfassungssituation nicht verkennen, ist diejenige, die agiert, und nicht der Koalitionsausschuss. Ich habe eigentlich immer den Eindruck gehabt, dass dann, wenn der Koalitionsausschuss nicht tagen muss, die Regierungsarbeit ja läuft, weil es gar keine Themen gibt.

Deutschlandradio Kultur: Die ist in letzter Zeit richtig gut gelaufen?

Ronald Pofalla: Es ist gut gelaufen. Sehen Sie doch mal unsere Einigung, die wir herbeigeführt haben – übrigens noch, als die Wahlkämpfe liefen – zum Ganztagsbetreuungsausbau und zum Betreuungsgeld. Da haben wir uns durchgesetzt. Dafür brauchen wir dann keinen Koalitionsausschuss. Und ich bin außerordentlich zufrieden, wenn solche Vereinbarungen mit der SPD getroffen werden können, wo wir uns durchsetzen, wie beim Betreuungsgeld, wenn es dann keines Koalitionsausschusses bedarf.

Deutschlandradio Kultur: Das Betreuungsgeld soll 2013 ausbezahlt werden. Möglicherweise regiert dann jemand ganz anderes. Das ist doch auf die lange Bank geschoben worden. Oder ist das die große vorausschauende Familienpolitik, die Sie da beschlossen haben?

Ronald Pofalla: Nein, das ist dem Umstand geschuldet, dass das Betreuungsgeld ja erst dann Sinn macht, wenn die Eltern sich tatsächlich frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder zu Hause erziehen oder ganztags betreuen lassen, weil erst 2013 das Betreuungsangebot so ausgebaut sein wird, dass alle, die ihre Kinder ganztags betreuen wollen, auch die Möglichkeit haben. Insofern gehört beides zusammen.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir doch noch mal bei der großen Koalition. Sie haben gesagt, das läuft relativ gut. In der Öffentlichkeit ist es so nicht wahrgenommen worden. Glauben Sie, dass das in Zukunft auch so weitergehen wird, trotz der Auseinandersetzungen, die Sie in letzter Zeit mit der SPD hatten oder die SPD mit sich selbst?

Ronald Pofalla: Na gut, eine Sache bleibt. Der Wortbruch von Kurt Beck hat das Vertrauen in die Regierungsarbeit der SPD und in die Zusagefähigkeit erschüttert. Herr Beck bekundet ja in dieser Woche im Bund würde SPD und die Linkspartei nie zusammen arbeiten. Da glaube ich ihm kein Wort.

Deutschlandradio Kultur: Das ist schwierig. Sie sagen einerseits, Sie wollen gut zusammenarbeiten, Sie würden es tun. Gleichzeitig fehlt irgendwie diese Vertrauensbasis. Trotzdem kann man richtig regieren? Oder ist das nur dieser Notpartner, mit dem man arbeitet, und eigentlich würde man viel lieber mit anderen Parteien viel bessere Politik machen?

Ronald Pofalla: Die Große Koalition ist das Ergebnis oder die Folge der Wahlen aus dem Jahre 2005. Da hilft jetzt nicht rumzujammern. Wir haben bis 2009 im September die Aufgabe, gemeinsam Deutschland voranzubringen. Jetzt nehmen Sie ein praktisches Beispiel, die Bahnreform, die Teilprivatisierung: Ich finde es gut, dass Kurt Beck die Arbeitsgruppe der SPD führt. Und jetzt wird sich zeigen, ob er ein geduldeter Vorsitzender ist oder ob er auch innerhalb der SPD noch so stark ist, dass er Entscheidungen, die notwendig sind, herbeiführen kann. Ich würde mir für Deutschland wünschen, dass er diese Stärke hat. Und dann kann es die Teilprivatisierung geben, wenn er die SPD auf diesen Kurs bringt.

Deutschlandradio Kultur: Das sind ja schon schwere Geschütze, die Sie da auffahren. Heißt das, gegebenenfalls würden Sie die Koalition infrage stellen, wenn die SPD da nicht mitspielt bei der Bahnreform?

Ronald Pofalla: Nein. Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen. Sondern ich wollte nur deutlich machen, dass die SPD Regierungsverantwortung hat und der SPD-Vorsitzende sich dieser Verantwortung ja auch nicht entzieht, was ich für positiv halte. Er selber will die Arbeitsgruppe der SPD zur Bahnreform leiten. Und ich wünsche mir, dass er jetzt nicht der geduldete Vorsitzende ist, sondern der gestaltende Vorsitzende in der SPD, der die SPD zur Bahnprivatisierung voranbringt.

Deutschlandradio Kultur: Gibt es denn Reformprojekte, wo Sie sagen, das sind CDU-Herzensanliegen, die müssen wir unbedingt durchbringen, damit wir vor den Wähler treten können, wenn dann im Herbst 2009 gewählt wird?

Ronald Pofalla: Wir müssen in diesem Jahr die Erbschafssteuerreform hinbekommen, die insbesondere mittelständische Unternehmen entlasten soll, wenn der Erbfall eintritt und sie ihr Unternehmen weiter fortführen. Wir wollen die Entrümplung der Arbeitsmarktinstrumente. Wir können die Arbeitsmarktinstrumente halbieren, weil wir dann mit dem gleichen Geld –Mensch will in dem Bereich Geld einsparen – das Geld auf wirkungsvolle Arbeitsmarktinstrumente konzentrieren. Und unser Ziel ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter deutlich zu senken. Schließlich die Föderalismusreform II, das ist ja die Finanzreform zwischen Bund und Ländern: Hier wünsche ich mir, dass wir in diesem Jahr zu einem Abschluss kommen. Dann hätte die große Koalition in der Tat historische Entscheidungen in der Zeit ihrer Regierung getroffen.

Deutschlandradio Kultur: Nun ist ja vor der Wahl in Hessen ein weiteres Thema an die Öffentlichkeit gekommen und breit diskutiert worden – Stichwort Jugendkriminalität. Greift die Union da jetzt die Vorschläge von Hessens Ministerpräsident Roland Koch auf, oder wird es da jetzt
andere Akzente geben, weil Herr Koch nicht so erfolgreich damit war in Hessen?

Ronald Pofalla: Das, was gilt, haben wir in Wiesbaden beschlossen. Wir haben deutlich gemacht, dass für uns Prävention und Vorbeugung genauso wichtig ist wie die Schließung von Gesetzeslücken. Dabei bleibt es. Ich habe ja am Freitag mit Roland Koch in Berlin eine Pressekonferenz gegeben, weil er ja auch eine Arbeitsgruppe "Sicherheit im öffentlichen Raum" geleitet hat. Wir haben Ergebnisse veröffentlicht, die deutlich machen, dass das Thema Sicherheit für uns weiter von zentraler Bedeutung ist.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei dem Thema. Fanden Sie den Wahlkampf von Herrn Koch gut und griffig, so wie er in Bezug auf Jugendkriminalität geführt wurde?

Ronald Pofalla: Die Basis für dieses Thema war die Wiesbadener Erklärung. Ich habe von keinem Journalisten, von keinem Wähler gehört, dass die Wiesbadener Erklärung kritisiert worden ist, weil sie einen sehr umfassenden Ansatz hatte, das Sicherheitsthema aufzugreifen. Diese Wiesbadener Erklärung ist ja im Wesentlichen durch mich dem Bundesvorstand zur Entscheidung vorgelegt worden. Im weiteren Verlauf des Wahlkampfes mussten wir allerdings zur Kenntnis nehmen, und das gehört zur Selbstkritik dazu, dass die Menschen bei diesem Thema eher den Eindruck hatten, als ob wir es als reines Wahlkampfthema begreifen und nicht als ein ernsthaftes Anliegen. Das war ganz sicher ein Fehler, der uns unterlaufen ist.

Deutschlandradio Kultur: Halten Sie in Zukunft an Herrn Koch fest? Ich meine, so erfolgreich war er ja nicht, mit minus zwölf Prozentpunkten der einzige Ministerpräsident, der wirklich so nach unten gesackt ist.

Ronald Pofalla: Um es klipp und klar zu sagen: Roland Koch hat die 100-prozentige Unterstützung der Bundes-CDU. Er hat sie gehabt im Wahlkampf. Er hat sie am Wahlabend gehabt, und er wird sie in der Zukunft haben. Wir rücken keinen Millimeter von Roland Koch ab. Er hat das beste Wahlergebnis, trotz großer Verluste, in Hessen erzielt. Wir wollen, dass er auch wiedergewählt wird als Ministerpräsident. Und dabei hat er unsere Unterstützung.

Deutschlandradio Kultur: Dafür brauchen Sie mittlerweile andere Mehrheiten als früher. Die Lage ist unübersichtlicher geworden, nicht nur in Hessen, auch in Hamburg. Der Wunschkandidat, die Liberalen haben den Einzug in die Bürgerschaft verpasst. Sie finden mittlerweile die Grünen ganz attraktiv. Was finden Sie an diesen denn so faszinierend?

Ronald Pofalla: Es geht ja nicht im Grundsatz um die Grünen, sondern es geht darum, dass wir in den Ländern da, wo es keine Mehrheiten gibt, neue Mehrheiten finden. In Niedersachsen haben wir bewiesen, dass Schwarz-Gelb auch in einem Fünfparteiensystem absolute Mehrheiten erzielen kann. In Hamburg ist es nicht gelungen. In Hamburg haben wir die Alternative, eine Koalition mit den Grünen oder eine große Koalition einzugehen. Da ich große Koalitionen für Ausnahmeerscheinungen halte, finde ich die Entscheidung von Ole von Beust richtig, Gespräche mit den Grünen zu führen. Und sollte es zu einer Koalition in Hamburg mit den Grünen kommen, hat er unsere 100-prozentige Rückendeckung.

Deutschlandradio Kultur: Aber da hat er doch einen langen Lernprozess gemacht. Vor acht Jahren war es die Koalition mit Herrn Schill, dem Rechtspopulisten. Innerhalb von acht Jahren verändert sich die Partei oder verändern sich die Grünen. Es findet eine Annäherung statt, die man sich vor Jahren überhaupt nicht vorstellen konnte. Was ist da mit der CDU passiert?

Ronald Pofalla: Ich finde, die Frage ist eher an die Grünen zu stellen. Es hat was damit zu tun, dass Ole von Beust eine außerordentlich liberale und erfolgreiche Großstadtpolitik betreibt.

Deutschlandradio Kultur: Nach Schill, mit Schill oder vor Schill?

Ronald Pofalla: In der gesamten Zeit seiner Regierungszeit. Da ist übrigens der Unterschied zu Hessen. Ole von Beust hat vor der Wahl deutlich gesagt, als es um Schill ging, wenn er keine Mehrheit erzielt, wird er mit Schill eine Senatsbildung eingehen. Insofern unterscheidet sich der Fall. Und ich glaube, die Grünen haben jetzt in den Jahren der Regierungszeit von Ole von Beust gelernt, dass Ole von Beust Vertreter des Flügels einer liberalen Großstadtpolitik der CDU ist. Und sie können sich sehr gut vorstellen, mit ihm zu koalieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber so ein bisschen was muss sich doch auch bei der CDU bewegt haben. Sie reden ja nicht nur in Hamburg darüber, dass man möglicherweise mit den Grünen zusammenarbeiten könnte, sondern in anderen Bundesländern – noch mal Stichwort Hessen – wird dieses auch nicht ganz ausgeschlossen. Das heißt, es muss ja auch innerhalb der CDU einen Denkprozess bezüglich der Grünen gegeben haben.

Ronald Pofalla: Ja, aber wir reden immer vor dem Hintergrund konkreter Situationen. Kein Mensch hat die Vorstellung in der Bundes-CDU, dass es jetzt gerade idealtypisch wäre, mit den Grünen zu koalieren. Das ist nicht der Fall. Auf Bundesebene sind übrigens CDU und Grüne meilenweit auseinander. Aber in Hessen stellt sich jetzt die Frage. Da kann es die große Koalition geben oder Jamaika. Die Grünen sind jetzt in der Verantwortung in Hessen, sich aus der babylonischen Gefangenschaft der SPD zu befreien und den Weg freizumachen für ein Bündnis mit CDU und FDP.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich das noch mal aufgreifen. Sie haben gerade gesagt, auf Bundesebene nicht mit den Grünen. Genau dieses werfen Sie Kurt Beck vor. Sie sagen, wenn er meint, auf Bundesebene niemals mit den Linken, sagen Sie, Sie glauben ihm kein Wort. Wir sollen Ihnen jetzt glauben?

Ronald Pofalla: Ich habe das, was Sie mir gerade unterstellt haben, nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, wir sind meilenweit auseinander. Alles andere, was Sie da rein interpretiert haben, ist in Ihrem Kopf entstanden, ist aber nicht aus meinem Mund gekommen. Insofern ist der Vergleich in jeder Weise falsch.

Deutschlandradio Kultur: Dann drehe ich die Frage noch mal um. Sie schließen also ein Bündnis perspektivisch auf Bundesebene mit den Grünen nicht aus?

Ronald Pofalla: Es geht jetzt um Hamburg und es geht jetzt um Hessen und 2009 um den Bund. Und über die Fragen reden wir im nächsten Jahr.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Hamburg gut läuft und sie sollten in Hamburg eineinhalb Jahre gute schwarz-grüne Politik machen, dann würde der Wähler doch sagen: Wenn Herr Pofalla sagt, das hat gut geklappt und Herr von Beust das auch sagt und die Stadt damit zufrieden ist, dann wird man doch wissen wollen, ob das auch auf Bundesebene möglich ist. Der Wähler will wissen, wohin die Reise geht.

Ronald Pofalla: Ja, und wir werden ganz sicher auch im Vorfeld der Bundestagswahl deutlich machen, was wir für richtig halten, aber doch jetzt nicht anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl.
Deutschlandradio Kultur: Interessant ist, dass Bayerns CSU-Chef Huber kategorisch Schwarz-Grün auf Bundesebene ausgeschlossen hat. Da müssen Sie sich noch mal mit ihm auseinandersetzen, sollte der Weg dahin führen.

Ronald Pofalla: Wir müssen uns überhaupt nicht in der Union auseinandersetzen, sondern wir werden uns im Blick auf das Wahljahr 2009 gemeinsam eine Meinung bilden und die werden wir den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl sagen, aber nicht anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl.

Deutschlandradio Kultur: Die Liberalen wiederum finden die jetzige Entwicklung überhaupt nicht gut. Parteichef Westerwelle wirft Ihrer Partei "inhaltliche Beliebigkeit" vor. "Die Union verabschiede sich vom eingeschlagenen Reformkurs" sagt er auch. Was entgegnen Sie ihm? Wie wollen Sie ihm sagen, beruhige dich, es wird schon alles gut laufen?

Ronald Pofalla: Ja, Westerwelle sagt im gleichen Atemzug, und da stimme ich ihm zu, dass die gemeinsamen Schnittmengen zwischen Union und FDP am größten sind. Insofern haben wir da keinen Unterschied. Und darf ich mal etwas launig sagen: Die FDP, wenn sie es nicht schafft in der zweitreichsten deutschen Großstadt über fünf Prozent zu kommen, sollte nicht darüber nachdenken, dass die Schuld bei uns liegt, sondern den Fehler bei sich suchen. Die FDP ist für sich verantwortlich und die CDU für sich. Die FDP hat es in dieser reichen Großstadt nicht geschafft, über 5 Prozent zu kommen. Damit muss die FDP selber leben.

Deutschlandradio Kultur: Die Aufgabe der CDU, nein, des CDU-Generalsekretärs ist es auch, das Profil der Partei herauszuarbeiten, vor allen Dingen, wenn wir auf Bundestagswahlen zusteuern. Es gibt ja immer diese These, wir haben drei Wurzeln, das Liberale, das Konservative und das Soziale. Wo steht die CDU? Wohin will sie sich profilieren und was wird Ronald Pofalla in den nächsten Wochen und Monaten den potenziellen Wählern sagen?

Ronald Pofalla: Die Ausgangslage ist eigentlich sehr klar. Die CDU ist die Volkspartei der Mitte.

Deutschlandradio Kultur: So ähnlich hat das Gerhard Schröder auch mal gesagt.

Ronald Pofalla: Ja, aber damit hat er die Wahlen gewonnen. Gerhard Schröder hat nämlich erkannt, dass man in Deutschland nur beachtliche Wahlerfolge einfahren kann, wenn man deutlich macht, dass man alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert. Und die SPD hat sich von der neuen Mitte verabschiedet. Sie hat die neue Mitte Schröders in den Abfalleimer geworfen. Und wir haben damit jetzt die einmalige Chance, die einzige verbleibende Volkspartei der Mitte zu sein. Bei uns haben Frauen und Männer, Junge und Alte, Arbeiter und Arbeitgeber die Chance, ihre Positionen in der CDU wieder zu finden. Und wir werden natürlich vor der Bundestagswahl ein Wahlprogramm aufstellen, aus dem genau das deutlich wird, dass wir die Volkspartei der Mitte sind.

Deutschlandradio Kultur: Sie nehmen sich Gerhard Schröder für Ihren Wahlkampf als Vorbild?

Ronald Pofalla: Nein, überhaupt nicht. Gerhard Schröder hat nur 1998 der CDU einen beachtlichen Haken versetzt, indem er die neue Mitte für die SPD ausgerufen hat. Und seine Erben haben diese Chance mit dem Hamburger Parteitag bis heute verspielt, weil sie diese Chance nicht begriffen haben. Die SPD ist nach links gewandert. Diese Linkswanderung der SPD gibt uns jetzt wiederum die Möglichkeit deutlich zu machen, dass wir die Volkspartei der Mitte sind.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ein Riesengefäß, diese "Partei der Mitte." Da kann man Günter Oettinger reinstecken, dann kann man Herrn Rüttgers reinstecken, da kann man Friedrich Merz reinstecken und Roland Koch. Da droht doch auch die Gefahr, dass es in gewisser Weise beliebig wird. Wofür steht diese Mitte, für die die CDU stehen möchte? Für alles?

Ronald Pofalla: Eine große Volkspartei muss Flügel mit abdecken. Um es in einem Bild zu sagen: Wenn die beiden Flügel – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – im gleichen Klang und mit großer Kraft schlagen, kommt man auch schneller voran. Sie können es aber auch mit anderen Begriffen machen. Freiheit und Sicherheit gehören für uns zusammen. Die Freiheit einer wirtschaftlichen Entwicklung auf der einen Seite und die Absicherung der sozialen Sicherheit für diejenigen, die der Absicherung bedürfen, beides gehört für uns untrennbar zusammen.

Deutschlandradio Kultur: In anderen Punkten allerdings werden konservative Wählerschichten und auch konservative Mitglieder in Ihrer Partei doch ein bisschen unruhig, denkt man nur an die Stichworte Familienpolitik, Embryonenschutz. Was entgegnen Sie denen?

Ronald Pofalla: Die konservative Ader ist ja eine der Wurzeln der CDU. Diese Wurzel ist nach wie vor sehr stark. Sie brauchen sich doch nur das Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands anzusehen. Dort bekennen wir uns als eine Volkspartei zur Leitkultur in Deutschland. Wir bekennen uns dazu, dass wir sagen: Die Menschen, die hier leben, müssen sich zum Grundgesetz, zu den Werten des Grundgesetzes bekennen und sie müssen die deutsche Sprache sprechen. Das finden Sie in keinem anderen Grundsatzprogramm einer anderen Volkspartei.

Deutschlandradio Kultur: Ich nannte jetzt aber die Stichworte Familienpolitik und Embryonenschutz.

Ronald Pofalla: Und ich habe Ihnen das geantwortet, um deutlich zu machen, dass diese Basis für die Menschen, die sich selber als konservativ empfinden, in unserem Grundsatzprogramm mit einem eigenen Kapitel, nämlich der Leitkultur in Deutschland, verankert ist.

Deutschlandradio Kultur: Es gab mal einen schönen Satz von Peter Müller, dem saarländischen Ministerpräsidenten, nach der letzten Bundestagswahl. Er sagte: Da sie eine große Koalition auf Bundesebene machen, sind die Kraftzentren eigentlich die Ministerpräsidenten der Länder. Sie können stärker die Partei profilieren, weil sie eben nicht in dieser großen Koalition eingebunden sind. Jetzt hätten wir erwartet, dass sich in den letzten Monaten ganz starke CDU-Ministerpräsidenten zu Wort melden und der Partei ein klares Gesicht geben. Das haben sie aber doch irgendwie nicht geschafft.

Ronald Pofalla: Wir haben im Präsidium eine wirklich gute Zusammenarbeit, die Vorsitzende Angela Merkel, die Stellvertretenden Vorsitzenden und unsere Ministerpräsidenten, die ja alle Mitglieder des Präsidiums sind. Wir diskutieren im Präsidium über die politische Richtung, manchmal auch kontrovers. Aber dann, wenn die Diskussionen beendet sind, haben wir eine gemeinsame Grundlage, auf der wir agieren, so dass es dieser Form der exponierten Heraushebung, wie es Peter Müller damals formuliert hat, nicht bedurft hat.

Deutschlandradio Kultur: Nun haben die letzten Monate und auch Jahre gezeigt, dass Angela Merkel die unumstrittene Nummer 1 in Ihrer Partei ist. Man könnte böswillig interpretieren, Sie sind ein Kanzlerinnenwahlverein.

Ronald Pofalla: Ja, jetzt stellen Sie sich mal vor, es wäre andersrum. Dann würden Sie sagen, die Vorsitzende ist in der CDU nicht verankert. Ich bin schon verdammt stolz auf die Situation. Wir sind die erste große Volkspartei, die eine Frau zur Vorsitzenden hat. Wir sind die Partei, die zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin in die Wahl gebracht hat. Und Angela Merkel hat sowohl als Bundeskanzlerin wie als Parteivorsitzende bewiesen, dass sie beides exzellent kann und übrigens auch beides miteinander verbinden kann. Und ich bin froh darüber, dass sie die absolut unbestrittene Führungsfigur in der CDU ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber von diesem Reformeifer, den wir vor der Bundestageswahl von Seiten der CDU gehört haben, von diesen Kirchhofschen Plänen, die Bundesrepublik noch mal auf marktliberalere Beine zu stellen, ihr mehr Schwung zu geben, da ist nicht viel übrig geblieben. Und das können Sie nicht alleine der SPD vorwerfen, weil Sie jetzt eben in der babylonischen Gefangenschaft mit der SPD in der großen Koalition sind. Da fehlt doch ein Profil - oder Sie haben sich umorientiert.

Ronald Pofalla: Sie können doch in der großen Koalition vieles von dem, was wir für richtig halten, nicht umsetzen. Also haben wir uns auf das konzentriert, was wir machen können. Und da sind uns große, ich glaube sogar, historische Reformen gelungen. Die Föderalismusreform I ist eine historische Reform. Die Rente mit 67 ist eine historische Reform. Die Gesundheitsreform ist eine historische Reform. Und wir haben jetzt die Aufgabe, noch weitere historische Reformen in Angriff zu nehmen, wie beispielsweise die Föderalismusreform II. Alles das werden Reformvorhaben am Ende der Arbeit der großen Koalition, die Deutschland über Jahrzehnte hinaus gestalten. Wir haben das geschafft, was in der großen Koalition möglich ist. Aber nach 2009 sind wir Konkurrenten und da werden wir deutlich machen, was wir für richtig halten.

Deutschlandradio Kultur: Frau Haderthauer, die CSU-Generalsekretärin, hat da noch ein paar Punkte zusätzlich aufgeführt. Sie hat gesagt, nach der Reform der Unternehmenssteuer und der Erbschaftssteuer sind jetzt die Arbeitnehmer und Familien mit Kindern dran. Gibt es da inhaltliche Differenzen?
Ronald Pofalla: Nein, überhaupt nicht. Wir werden natürlich Aussagen im Wahlprogramm machen müssen über die Steuerreform, die wir uns vorstellen. Wir haben ja im Bundesvorstand der CDU im Januar in Wiesbaden beschlossen, dass wir am Beginn des nächsten Jahres ein Eckpunktepapier zu einer Steuerreform vorlegen, weil wir wollen, dass die Wählerinnen und Wähler im Wahljahr 2009, damit sie uns die Stimme geben können, wissen, was wir im Falle eines Wahlsieges nach 2009 umsetzen.

Deutschlandradio Kultur: Sie wollen also, wenn Sie den Wahlsieg 2009 haben, Arbeitnehmer entlasten, Familien besser stellen. Das kostet Geld. Das widerspricht doch diesen Vorstellungen, die Herr Steinbrück und auch Frau Merkel haben. Die sagen, erst Haushaltskonsolidierung, erst Schulden abbauen. Und erst, wenn es was zu verteilen gibt, werden wir auch wieder Entlastungen geben können. Das können wir im Moment aber nicht. Da müssen Sie sich entscheiden.

Ronald Pofalla: Jetzt haben Sie journalistisch etwas gemacht, was ich verstehe, aber was natürlich intellektuell nicht redlich ist. Sie haben mir bestimmte Inhalte einer Reform unterstellt, zu denen ich nichts gesagt habe, nur weil ich gesagt habe, wir werden die Eckpunkte am Beginn des kommenden Jahres vorlegen. Insofern ist da alles das, was Sie da jetzt unterstellt haben, fabuliert und entbehrt jeder Grundlage. Wir werden eine Steuerreform vorlegen, die deutlich macht, dass das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht gefährdet wird und dennoch deutlich wird, was wir an Reformvorhaben haben. Und ich bitte Sie sich zu gedulden bis zum Beginn des kommenden Jahres. Sie haben in der Tat recht, beides muss miteinander verbunden werden – Haushaltskonsolidierung und Steuerreform zusammen.

Deutschlandradio Kultur: Gut, dann frage ich Sie noch mal als CDU-Generalsekretär: Finden Sie es sauber, dass die CSU so vorprescht?

Ronald Pofalla: Die CSU ist eine eigenständige Partei. Und die CSU will die Bayerische Landtagswahl gewinnen. Da reden wir der CSU auch gar nicht rein. Im Gegenteil, wir werden mit unseren Mitteln, die wir haben, unsere bayerischen Freunde bei der Landtagswahl im September unterstützen. Wie in Niedersachsen die niedersächsische CDU und in Hamburg die hamburgische CDU und in Hessen die hessische CDU eigene Schwerpunkte bei Wahlkämpfen gesetzt hat, tut es jetzt auch die CSU in Bayern und das ist völlig in Ordnung.

Deutschlandradio Kultur: Es muss in Deutschland sozial gerechter zugehen. Das sagen – glaube ich – 70 Prozent bei Meinungsumfragen. Jetzt kommt die Linke und sagt, ja, wir haben ein Konzept. Wir verteilen um, wir nehmen den Reichen was und geben es den Armen. Die Liberalen haben auch ein Konzept. Die sagen, wir gehen mit den Steuern runter und dann boomt die Wirtschaft.. Sie, als Partei der Mitte und als Volkspartei, welches Konzept haben Sie, um die Wähler davon zu überzeugen, dass es mit der CDU in Deutschland wieder sozial gerechter zugeht?

Ronald Pofalla: Es geht in Deutschland sozial gerechter zu. Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren die Arbeitslosigkeit um 1,5 Millionen Menschen abgebaut. 1,5 Millionen Menschen können wieder von ihrer Hände Arbeit leben, die vorher nur auf Sozialtransfers angewiesen waren.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem geht die Schere auseinander.

Ronald Pofalla: 1,5 Millionen Menschen, die mehr Chancen hier in Deutschland im Arbeitsmarkt haben. Und die Arbeitslosigkeit sinkt weiter. Dieser Teil ist ganz unbestritten ein Teil der sozialen Gerechtigkeit, zu der wir mit beigetragen haben. Die Freibierrhetorik der Linkspartei überzeugt mich gar nicht. Die Programme der Linkspartei kosten etwa 150 Milliarden Euro. Die sind nicht zu finanzieren. Auf diesen Wettbewerb dürfen wir uns nicht einlassen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Pofalla, als Generalsekretär sind Sie Ihrer Chefin gegenüber zur Loyalität verpflichtet, aber Sie unterliegen nicht in gleichem Maß wie sie den Zwängen der großen Koalition. Wie werden Sie Ihre Spielräume in den nächsten Monaten nutzen?

Ronald Pofalla: Ich habe sie ja auch in der Vergangenheit immer wieder genutzt, indem ich deutlich Kritik geübt habe bei dem, was in der SPD falsch läuft. Diese Spielräume gedenke ich weiter aufrecht zu erhalten. Und noch mal, um das aktuelle Beispiel zu geben: Das, was Kurt Beck gemacht hat, ist ein Wortbruch. Diesen Wortbruch werden wir ihm nicht verzeihen.

Deutschlandradio Kultur: Dann noch eine persönliche Frage: Es gab mal einen sozialdemokratischen Politiker, für den war der Parteivorsitz das schönste Amt neben dem des Papstes. Wie ist das eigentlich bei Ihnen? Gibt es denn neben dem Amt des CDU-Generalsekretärs noch ein öffentliches Amt, das Sie gerne anstreben würden?

Ronald Pofalla: Ich finde das Amt des Generalsekretärs der CDU wirklich fantastisch. Der Generalsekretär hat die Aufgabe, die Partei strategisch auszurichten, sie programmatisch voranzubringen. Mit dem Grundsatzprogramm und der Arbeit am Grundsatzprogramm als Kommissionsvorsitzender habe ich diesen einen Teil der Programmatik erbracht. Mit der anderen Aufgabe im Blick auf die Bundestagswahl, erfolgreich mit einem Wahlergebnis die Bundestagswahl 2009 abzuschließen, habe ich noch eine Herkulesaufgabe vor mir. Ich fühle mich voll ausgelastet und ich freue mich auf 2009.

Deutschlandradio Kultur: Herr Pofalla, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Ronald Pofalla: Ich bedanke mich auch.