CDU wird als "die Partei des weißen alten Mannes" wahrgenommen
Ein "lebensweltliches Problem" mit jungen Akademikern in den Städten habe die CDU, sagt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Er empfiehlt seiner Partei, sich vom "Institutionen-Konservativismus" zu lösen.
Deutschlandradio Kultur: Heute reden wir Tacheles mit Jens Spahn, CDU-Politiker und Bundestagsabgeordneter. Guten Tag, Herr Spahn.
Jens Spahn: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind vor zehn Jahren in den Bundestag gekommen, Herr Spahn. Da waren Sie als bis dahin jüngster direkt gewählter Abgeordneter gerade mal 22 Jahre alt. Sind Sie jetzt nach zehn Jahren immer noch für die Rubrik "junger Wilder" in der CDU zuständig?
Jens Spahn: Jedenfalls bin ich, wenn man auf das Durchschnittsalter des Bundestages und der Kollegen schaut, schon noch einer von den Jüngeren, aber ich denke nach zehn Jahren im Parlament auch schon ein bisschen zumindest ein alter Hase. Aber ich fühle mich schon noch klar als Vertreter der jungen Generation, der auch die Interessen im Blickwinkel der jungen Generation einbringt und schon die Frage stellt: Wie sieht es eigentlich in Deutschland 2030 aus?
Deutschlandradio Kultur: Ob Sie auch noch wild sind, können Sie Anfang kommender Woche zeigen in Hannover beim Bundesparteitag Ihrer Partei. Da geht es dann unter anderem auch um die steuerliche Gleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften, eine Forderung, die Sie zusammen mit einer Gruppe von zwölf weiteren Abgeordneten erhoben haben. Auf dem Parteitagsprogramm steht aber nicht dieser Vorschlag, sondern ein Antrag, der die steuerliche Gleichbehandlung explizit ablehnt. Fühlen Sie sich da allein gelassen vom Parteivorstand?
Jens Spahn: Nein, das ist eine programmatische Debatte, die wir jetzt in der Union führen, die wir jetzt früher oder später ja auch mal insgesamt in Deutschland zu einem Ergebnis führen werden müssen, weil ja auch das Bundesverfassungsgericht darüber in den nächsten Monaten entscheiden wird. Wir sagen ganz einfach, das ist im Übrigen auch eine Wertefrage, wenn da eine Partnerschaft rechtlich verbindlich Pflichten füreinander übernimmt, füreinander einsteht, Werte lebt, die uns wichtig sind, dann ist es erst mal egal, ob homo- oder heterosexuell, sondern dann geht’s darum, da auch eine Gleichbehandlung nicht nur bei den Pflichten, sondern auch bei den Rechten zu haben. Und dann ist die einfache Schlussfolgerung: Da muss es auch eine steuerrechtliche Gleichstellung geben.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist diese Idee im offiziellen Antrag ins glatte Gegenteil verkehrt worden. Da fühlen Sie sich gar nicht im Stich gelassen, sind zufrieden damit?
Jens Spahn: Wenn wir damit zufrieden wären, würden wir jetzt ja nicht einen anderen Antrag stellen, sondern jetzt muss man die Diskussion auf dem Parteitag miteinander führen, mit den jeweiligen Argumenten auch am Ende werben. Ich sage auch denjenigen, die eher sagen, wir sind aber doch konservativ, wir sollten die Dinge anders sehen: Der konservative britische Premier David Cameron hat den schönen Satz gesagt: "Ich bin für die Homo-Ehe nicht obwohl ich konservativ bin, sondern weil ich konservativ bin", weil eben hier zwei Menschen sagen, wir wollen rechtlich verbindlich, das ist ja das Entscheidende, auf Dauer angelegt füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Und eigentlich ist uns als Christdemokraten das ja auch was wert.
Deutschlandradio Kultur: Horst Seehofer von Ihrer Schwesterpartei, der CSU, sagt dazu: "Ich rate dringend dazu abzuwarten, welche Hilfestellung uns das Verfassungsgericht in seiner anstehenden Entscheidung gibt." Das haben Sie ja schon angesprochen. Karlsruhe wird dazu auch sprechen. Ist das der Standpunkt der Union, dass man darauf wartet, dass Karlsruhe mal wieder sagt, wo es langgehen soll, wie in anderen Fragen ja auch?
Jens Spahn: Es hat ja gerade in dieser konkreten Frage der Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaften schon mehrere Entscheidungen in Karlsruhe gegeben. Da ging es um die Grunderwerbssteuer, um die Erbschaftssteuer, ums Beamtenrecht. Und jeweils wurde entschieden, weil es eben entsprechende Pflichten gibt, weil es vom Grundgedanken her auch in der rechtlichen Verbindlichkeit gleich angelegt ist, muss es dann auch die gleichen Rechte geben, und hat dann jeweils für die Gleichstellung entschieden.
Und ich finde, wir sollten jetzt nicht wieder einmal mehr auf das Verfassungsgericht warten, sondern Politik hat auch den Auftrag, aktiv zu handeln, und dann auch tatsächlich von uns aus die Dinge regeln.
Deutschlandradio Kultur: Es scheint aber trotzdem die mehrheitliche Position – auch wenn wir diesen Antrag jetzt sehen beim Parteitag – zu sein, wir warten erstmal ab. Warum? Ist das vielleicht auch einfacher, das den Konservativen innerhalb der Partei zu verkaufen, wenn man sagt: Na, das Gericht hat uns ja dazu gezwungen?
Jens Spahn: Zum Ersten werbe ich sehr dafür, auch mal zu sehen, wie weit die Union auch gerade in den letzten zehn, 15 Jahren sich bei diesem Thema bewegt hat. Mit leichtem Schmunzeln könnte man sagen, es hat sich keine Partei mehr bewegt als die Union in dieser Frage, weil sie auch einen weiten Weg zurücklegen musste, vor allem, was sich auch in Deutschland in den letzten zehn, 15 Jahren da entwickelt hat für eine solche Gleichstellung. Und diesen Prozess vollzieht die Union zwar nicht als Speerspitze, aber Schritt für Schritt eben auch nach.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch ein paar andere Themen, wo die Union vielleicht nicht unbedingt die Speerspitze ist und wo es möglicherweise die eine oder andere Kontroverse geben könnte auf dem Parteitag. Stichwort: höhere Rente für Mütter, Stichwort Frauenquote. Man weiß ja nicht so recht, wohin die Union bei diesen Themen will. Auch beim Mindestlohn. Glauben Sie, dass es da in Hannover wirklich einen Schritt vorangehen wird? Oder wird man das alles erst mal zur weiteren Prüfung überweisen?
Jens Spahn: Zum ersten ist es ja per se schon mal gut, finde ich, und ja auch ein Ausdruck von Stärke, wenn man solche Debatten auch führt, auch öffentlich führt und miteinander um die richtigen Inhalte, die richtigen Lösungen ringt. Das macht eine Partei für sich genommen auch schon attraktiv. Und das sind ja auch Fragen, die die Menschen bewegen. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor '92 geborene Kinder, da gibt es ja einen Unterschied, vor '92 gibt’s einen Rentenentgeltpunkt pro Kind, nach '92 drei, empfinden viele – dazu gehört auch meine Mutter, die uns drei vor '92 geboren hat – als zutiefst ungerecht, warum sozusagen Kinder unterschiedlich gewertet werden in der Rentenversicherung. Gleichzeitig kostet es aber wahnsinnig viel Geld. Es geht um bis zu 13 Milliarden Euro pro Jahr. Und das ist eine schwierige Abwägungsfrage, die eben auch eine Partei für sich treffen und diskutieren muss.
Deutschlandradio Kultur: Wird da offen genug diskutiert in der CDU?
Jens Spahn: Ja klar. Also, ich habe es jedenfalls noch nicht erlebt, dass wir nicht diskutieren konnten, wenn wir wollten. Im Übrigen hat man das auch beim letzten Parteitag in Leipzig gesehen. Da haben wir ja auch um den Mindestlohn miteinander gerungen oder um die richtige Richtung beim Euro und in Europa. Da ist stundenlang diskutiert worden. Ich wundere mich etwas, wenn Bundesparteitage der CDU immer so beschrieben werden, als gäbe es keine Diskussion. Also, wer da ist, erlebt intensivste Diskussion.
Deutschlandradio Kultur: Aber gerade der Mindestlohn –oder wie es dann im Jargon der CDU heißt "Lohnuntergrenze" – ist doch ein Beispiel dafür. Vor einem Jahr vor dem Parteitag sah es fast so aus, als könnte sich die CDU da durchringen, aber eigentlich wissen wir bis heute nicht so recht, wohin die Partei geht. Also wird nicht doch um des öffentlichen Friedens willen so ein Thema ein bisschen sehr auf die lange Bank geschoben?
Jens Spahn: Wir haben uns ja letztes Jahr in Leipzig auf dem Parteitag geeinigt auf diese Lohnuntergrenze – regional differenziert, nach Branchen differenziert und vor allem nicht staatlich festgelegt, sondern eben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den entsprechenden Kommissionen, wie das auch in England beispielsweise ist. Das Problem an der Stelle ist, dass unser Koalitionspartner, die FDP, diese Lösungen im Moment nicht mitmachen will und wir deswegen in der Umsetzung ins Gesetz nicht weitergekommen sind. Die Position der Union jedenfalls ist da klar.
Deutschlandradio Kultur: Bei der Besserstellung von Müttern, die Kinder erzogen haben, worüber wir gerade gesprochen haben, mit der rentenrechtlichen Besserstellung, da ist ja der Leitantrag erstmal so, dass beschlossen werden soll, das zu prüfen. Also, es wird mit anderen Worten auf die lange Bank geschoben. Ist das demokratische Willensbildung?
Jens Spahn: Ich habe ja gerade schon mal angedeutet: Aus dem Gerechtigkeitsempfinden heraus würde jeder sofort sagen, klar müssen da die Mütter mit den geborenen Kindern in der Rente gleich behandelt werden. Aber wir müssen schauen, wie teuer wäre welche Lösung. Eine vollständige Gleichstellung würde 13 Milliarden Euro kosten. Zu prüfen, ob es jenseits der vollen Lösung auch kleinere Schritte geben kann, finde ich richtig.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, dass die, die schon wenig haben, das bezahlen sollen, dass es nicht genug Geld gibt?
Jens Spahn: Na, jetzt muss man ja auch mal schauen. Das ist vor allem die Gerechtigkeitsfrage, ganz klar. Aber es ist ja jetzt nicht so, dass die Haushaltseinkommen der Rentner, die im Moment in Rente sind oder in den nächsten Jahren in Rente gehen werden, das zeigt der aktuelle Rentenbericht, auch besonders niedrig wären. Sondern das größte Armutsrisiko in Deutschland ist es im Moment, alleinerziehend mit Kind zu sein, während das Armutsrisiko für Rentnerinnen und Rentner eher ein sehr geringes ist – im Moment jedenfalls.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie erwarten dann doch leidenschaftliche Diskussionen in Hannover auf dem Bundesparteitag der CDU. Allerdings bei den Personalentscheidungen hat man dann doch den Eindruck, dass es um Harmonie geht. Es gab ja fünf Bewerber für den Posten des Partei-Vize, aber nur vier Plätze. Die Zahl der Vize wurde jetzt aufgewertet, so dass alle, die sich beworben haben, auch einen Posten bekommen können. Entschuldigen Sie den Vergleich, aber ein bisschen erinnert einen das an kommunistische Parteitage, wo die Personalien vorher schon alle so geklärt sind, dass es gar keine Kampfkandidaturen geben kann.
Jens Spahn: Die Spitze der Partei, und dazu zählen natürlich auch die Stellvertreterinnen und Stellvertreter der Vorsitzenden und Bundeskanzlerin, soll natürlich auch die Breite der Partei abbilden. Wenn ich so schaue, wie viele Vize-Vorsitzende etwa die SPD hat, sind wir da noch immer mit fünfen hinreichend überschaubar.
Ich find’s schon richtig, das Zeichen zu setzen, dass wir natürlich die beiden großen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die ja auch beide keine einfachen Wahlen hinter sich haben, weiterhin in der Spitze vertreten haben wollen, dass wir aber auch so jemanden, wie Julia Klöckner, die eine sehr erfolgreiche Oppositionsarbeit in Rheinland-Pfalz macht und eine unserer großen Hoffnungen sozusagen auch für die Bundes-CDU ist, dass wir die auch repräsentieren sozusagen in der Parteispitze. Das kann der Union nur gut tun, dieses ganze Spektrum, das wir haben, auch abzubilden. Und da kommen wir mit fünfen dann auch gut hin.
Deutschlandradio Kultur: Das waren jetzt einige Problemthemen, die beim Parteitag ab Montag eine Rolle spielen werden. Ein weiteres Problem hat die CDU definitiv in den Großstädten. Nachdem Sie gerade auch noch das Stuttgarter Rathaus an die Grünen verloren haben, wird von den zehn größten Städten in Deutschland eigentlich nur noch Düsseldorf von der CDU regiert. Wie ernst müssen Sie dieses Problem nehmen?
Jens Spahn: Wir müssen das sehr ernst nehmen, weil, der Anspruch, Volkspartei zu sein, heißt natürlich, eine Partei zu sein, die Alt, Jung, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, aber vor allem eben auch Stadt und Land abbildet und sich nicht irgendwann in der Wahrnehmung nur noch reduziert auf die Vertretung des ländlichen Raums. Und ich bin selbst Münsterländer. Ich bin da jetzt nicht in Gefahr, irgendwie nur für die große Stadt zu reden.
Mein Eindruck ist, dass wir da kein programmatisches Problem haben. Wir haben unser Programm in den letzten Jahren sehr modernisiert, indem wir die Werte, die uns wichtig sind, sozusagen ins 21. Jahrhundert übersetzt haben – etwa beim Familienbild, nicht mehr ausschließlich auf Ehe bezogen, sondern wir haben gesagt: Wo Eltern für Kinder, Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung übernehmen, da ist Familie.
Ich habe den Eindruck, wir haben eher ein lebensweltliches Problem. Wir erreichen – auch gefühlsmäßig – breite Teile in den Städten nicht, die eigentlich von ihrem ganzen Tun und Sein, wenn ich nach Prenzlauer Berg zum Beispiel in Berlin schaue: Akademiker, sehr leistungsorientiert, es wird Familie gelebt, viele Geburten, eine enge Verbundenheit in der Nachbarschaft, da wird die Schule angestrichen, wenn die Stadt das Geld nicht schnell genug zusammenbekommt … Die also eigentlich alles leben, was uns in der Union wichtig ist, was wir programmatisch darstellen. Trotzdem haben wir da nur zehn Prozent. Und offensichtlich kriegen wir da irgendwie so die Übersetzung in diese Lebenswelten hinein nicht.
Deutschlandradio Kultur: Liegt es vielleicht auch daran, dass die CDU mit den Dingen, die sie wirklich erneuert – sprechen wir nur Heilige Kühe an wie die Wehrpflicht oder die Hauptschule, die sie einfach mal so abgeschafft haben –, ein bisschen verschämt rüberkommt, also das nicht offensiv verkauft, sondern dass sich das so dahin läppert?
Jens Spahn: Sie müssen sehen, für unsere Mitglieder und Anhänger, Wähler sind natürlich diese Veränderungen in der Positionierung Wehrpflicht, Hauptschule, Energiewende, auch im Familienbild zum Teil – jedenfalls gefühlsmäßig – auch schwer nachzuvollziehen. Weil, wenn Sie über Jahre und Jahrzehnte immer was anderes gesagt haben, für was anderes geworben und gestanden haben, ist es natürlich schwer, dann auch eine Positionsveränderung vorzunehmen.
Ich finde, da müssen wir besser erklären, auch den eigenen Anhängern, dass wir etwa bei der Hauptschule, um ein Beispiel zu nehmen … Hauptschule an sich ist ja kein Wert, sondern der Wert dahinter war für uns, dass wir gesagt haben, wir brauchen differenzierte Schuldsysteme, weil wir keine Einheitskinder haben, keine Einheitsschule, weil keine Einheitskinder.
Und jetzt versuchen wir eben, weil die Anmeldezahlen in der Hauptschule zurückgegangen sind, wenn ich etwa Nordrhein-Westfalen nehme, und gerade im ländlichen Raum in CDU-Regionen die Bürgermeister gesagt haben, mit der Hauptschule kommen wir nicht mehr weiter, diese Differenzierung in einer anderen Schulform möglich zu machen, da abzubilden. Das heißt also, der Wert bleibt erhalten. Wir machen es nur in anderen Institutionen. Und dieses zu erklären und rüberzubringen, auch an die eigenen Anhänger, ist noch nicht gut genug gelungen. Die fühlen sich gefühlsmäßig zum Teil etwas abgehängt.
Deutschlandradio Kultur: Wenn diese Modernisierungen wiederum bei den Großstädtern nicht so richtig ankommen und die CDU da oft doch ein veraltetes, miefiges Ansehen gelegentlich hat, sind daran die stramm Konservativen vielleicht auch schuld, wie zum Beispiel der Kreisverband in Fulda, weil die eben die gesellschaftliche Modernisierung blockieren?
Jens Spahn: Wir haben jetzt so ein bisschen das Problem wie die Republikaner es in den USA hatten. Wir werden wahrgenommen zu stark als so die Partei des weißen alten Mannes. Das war ja auch das Republikaner-Problem. Ich sage noch mal, es ist eine Wahrnehmungsfrage. Um anders wahrgenommen zu werden, müssen Sie einfach die Lebenswirklichkeit auch in Kandidaten besser abbilden. Schlicht und ergreifend: Wir brauchen auch mehr Frauen, die für uns kandidieren und an vorderster Front dann stehen. Und wir brauchen tatsächlich auch in dem, was wir tun und leben, finde ich, eine gewisse Gelassenheit.
Ein Superbeispiel, wo es gut gelaufen ist, ist zum Beispiel im Umgang mit den Piraten, wo das etwa mit Peter Altmaier und anderen Kollegen ein Austausch war, bei dem die sich mit voller Neugierde auf dieses Twittern eingelassen haben, auf diese neue Art der Kommunikation und wir da nicht auf die Piraten sozusagen voll drauf los, wie man es vielleicht erwartet hätte von der Union, sondern tatsächlich auf einer Sachebene und in ihrem Medium sich mit ihnen auseinandergesetzt haben. Und wenn man so schaut, wie die Entwicklung ist, finde ich, nicht ohne Erfolg.
Also, mit einer Gelassenheit und Neugierde, ohne die eigenen Werte aufzugeben, mit solchen Phänomenen umzugehen, das gelingt uns manchmal, aber noch nicht oft genug.
Deutschlandradio Kultur: Ich frage noch mal nach den Erzkonservativen zum Beispiel in Fulda. Wünschen Sie just denen mehr Gelassenheit und denken sich: Naja, vielleicht müsst ihr nicht überall dazu was sagen, wenn es eigentlich so ein Großstadtthema ist?
Jens Spahn: Ich werbe immer sehr dafür zu schauen, was ist denn eigentlich konservativ. Nur zu sagen, so drei, vier Phrasen, irgendwie Patriotismus, Familie, Wehrpflicht und das ist dann konservativ, dann ist mir das ein bisschen zu wenig. Ich habe den Eindruck, das ist oft auch so ein Institutionen-Konservativismus, also, man will irgendwie seine Institutionen bewahren und schützen, wobei wir doch eigentlich um Werte werben sollten und die versuchen sollten zu bewahren.
Wenn Sie die Shell-Jugendstudie nehmen: Junge Leute wünschen sich heute mehr denn je für sich selbst eine Familie, eine dauerhafte Partnerschaft, sind sehr leistungsorientiert. Das war vor zehn, 20 Jahren auch anders. Das heißt also, es gibt dieses Wertebewusstsein auch in der jungen Generation. Da täte ich mir auch von Manchem, der sich als konservativ einordnet, wünschen, dass er das nicht an Institutionen vom letzten Jahrhundert festmacht, sondern eher versucht, diese Werte in eine Zeit mit Internet, mit viel Reisen, mit viel Mobilität zu übersetzen. Und das gelingt auch programmatisch da an der Stelle oft viel zu selten.
Deutschlandradio Kultur: Sprechen wir jetzt mal über die Zukunft, Herr Spahn, die Zeit nach der Bundestagswahl 2013. Unterbrechen Sie mich, wenn ich was falsch sage. Bei der Bundestagswahl wird die Union vielleicht als stärkste Fraktion bestehen, aber wohl keine absolute Mehrheit erringen. Große Koalition mit der SPD wäre möglich, vielleicht nicht unbedingt erstrebenswert. Bei der FDP ist fraglich, ob sie wieder in den Bundestag kommt.
Jens Spahn: Also, die Idealkonstellation aus unserer Sicht, weil da einfach die größte Schnittmenge ist, ist eine Koalition mit der FDP. Da ist ja, wenn man mal auf die reinen Ergebnisse sieht, in den letzten drei Jahren auch viel erreicht worden, auch wenn die Darstellung leider noch ausbaufähig ist. Und ich würde nicht ausschließen, dass auch wir in dieser Konstellation Union und FDP gemeinsam weiterregieren können.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn nicht, dann bleiben ja eigentlich nur die Grünen übrig, oder?
Jens Spahn: Wenn nicht, wird man dann mit den anderen demokratischen Parteien natürlich schauen, wie man Mehrheiten bilden kann. Und dann schaut man, wo gibt’s die größte inhaltliche Schnittmenge? Ob jetzt mit der SPD oder den Grünen, wird sich dann sicherlich in Gesprächen ergeben. Aber ich sag' noch einmal: Favorisiertes Ziel ist die Fortsetzung der jetzigen Koalition.
Deutschlandradio Kultur: Wir gucken auf die Grünen. Die Schwarmintelligenz der Parteibasis hat mit Frau Göring-Eckardt eine überaus bürgerliche Spitzenkandidatin gefunden. Jürgen Trittin ist auch schon lange kein Bürgerschreck mehr. Warum haben so viele in Ihrer Partei, in der CDU trotzdem noch Probleme mit den Grünen?
Jens Spahn: Na, was heißt Probleme? Also, ich habe im persönlichen Umgang keine. Wir haben ja auch ein gutes Verhältnis mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen untereinander, insbesondere bei den Jüngeren ist das alles ganz locker angenehm.
Gleichwohl sind wir natürlich in unterschiedlichen Parteien, weil wir unterschiedliche Positionen zu bestimmten Themen haben. Da gibt’s große Schnittmengen etwa, wenn es geht, auch beim Thema Bewahrung der Schöpfung ist ja eigentlich ein urchristliches Thema, Naturschutz. Selbst bei der Haushaltskonsolidierung im Ziel zu sagen, wir können nicht ständig neue Schulden machen, aber wenn ich sehe, was die Grünen auf ihrem Parteitag gerade beschlossen haben, Steuern erhöhen, Vermögensabgabe, auch was wir in NRW gerade erleben, den Menschen bis ins Detail vorschreiben, wann sie wo wie schnell fahren dürfen, wie viel sie wann wie essen oder rauchen dürfen, dann ist das eher spießig. Also, ich hab' den Eindruck, die Grünen mutieren eher zum Kleinbürgertum, zum Spießer, während wir mittlerweile programmatisch eigentlich eher die bürgerlich-freiheitlichere Partei sind. Die Wahrnehmung ist allerdings andersrum.
Deutschlandradio Kultur: Andererseits könnten Sie wichtige Aufgaben, wie Energiewende, Klimapolitik, ökologischer Umbau der Industriegesellschaft doch besser mit den Grünen umsetzen als mit Ihrem Wunschpartner FDP, der da ja – wie wir jetzt gerade die letzten Tage gesehen haben, Stichwort Netzausbau – so ganz eigene Vorstellungen hat.
Jens Spahn: Natürlich gäbe es auch Gemeinsamkeiten mit den Grünen, etwa beim Thema Energiewende, obgleich wir da im Ziel einig sind, es aber in der Frage, wie es konkret dann wird, sicherlich egal, mit wem Sie regieren und übrigens ja auch innerhalb der eigenen großen Volkspartei es unterschiedliche Einschätzungen gibt.
Ich bin mir sicher, man würde Schnittmengen finden für eine Große Koalition, für Schwarz-Grün, wenn es denn sein müsste. Aber die größten Schnittmengen gibt es schlicht und ergreifend mit der FDP. Aber dass wir per se ausschließen eine Zusammenarbeit mit den Grünen, wie es vielleicht noch vor 15 oder 20 Jahren der Fall gewesen wäre, und umgekehrt ja auch, und man gar nicht so richtig miteinander redet und so eine Pizza-Connection unten in Bonn im Keller im Restaurant dann über Tage eine große Neuigkeit gewesen ist, diese Zeiten jedenfalls sind vorbei. Es besteht hier natürlich ein guter Umgang miteinander, menschlich und auch in den Gesprächen, in den Beratungen. Insofern haben wir unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Ansätze, aber gehen doch ganz vernünftig miteinander um.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie warten bis zur Bundestagswahl. Dann sehen Sie, ach, die Liberalen sind gar nicht drin, und dann fangen Sie noch mal neu an nachzudenken?
Jens Spahn: Jetzt würde ich noch gar nicht immer die Liberalen so klein machen. Sie haben in Nordrhein-Westfalen gesehen, was möglich ist, auch für unseren Koalitionspartner noch herauszuholen, wenn das Thema stimmt und die Personen stimmen. Und es sind noch zehn Monate. Ich meine, bis dahin kann viel passieren. Und hätten Sie mir vor der Bundestagswahl 2009 gesagt, dass wir mit so einem Ergebnis rauskommen, auch mit fast 15 Prozent für die FDP, dann hätte ich Ihnen das schon zwei Wochen vor der Wahl nicht wirklich geglaubt. Das heißt also, es ist noch viel, viel Zeit bis zur Bundestagswahl im September.
Deutschlandradio Kultur: Sie leiden offensichtlich nicht an der grassierenden Ausschließeritis, die manchen Parteien ja manchmal vorgeworfen wird. Also, Sie schließen erstmal nichts aus. Gilt das auch für Ihre Schwesterpartei? Gilt das auch für die CSU? Können Sie sich vorstellen, dass die mit den Grünen zusammengehen könnten?
Jens Spahn: Das ist ja immer eine Frage der Alternativen. Wenn Sie das Idealziel, das Sie erreichen wollen, nämlich eine bürgerliche Koalition mit der FDP, nicht erreichen sollten, dann würden wir im Zweifel immer natürlich immer lieber regieren als in der Opposition sein. Das ist doch gar keine Frage. Wer einen Gestaltungsanspruch hat, wer eine Idee davon hat, wo er mit diesem Land in Europa hin will, der will natürlich auch regieren und nicht in der Opposition sein. Und dann muss man schauen, findet man zum Regieren die nötigen Partner. Und im Fall der Fälle, bin ich mir sehr sicher, würden wir da auch gemeinsam schauen, mit wem haben wir die größten Inhalte. Trotzdem noch einmal: Wir wollen am liebsten in dieser Koalition weitermachen.
Deutschlandradio Kultur: Das ist fast ein bisschen erstaunlich. Die FDP setzt auf Wachstum, mehr Brutto vom Netto. Ist das ein Partner, an den sich die CDU längerfristig weiter binden sollte in einer Zeit, in der das Wort Neoliberalismus landauf, landab zum Schimpfwort geworden ist?
Jens Spahn: Na, eins sieht man ja sehr deutlich auch in der aktuellen Entwicklung: Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, allein schon, um unsere sozialen Fragen zu lösen. Erst seitdem wir seit zwei, drei Jahren wieder dieses starke Wirtschaftswachstum haben, gehen die Arbeitslosenzahlen noch mal wieder deutlich zurück, haben wir auch das Geld in der Krankenversicherung, in der Rentenversicherung, das wir brauchen, um eine gute Versorgung für alle sicherzustellen.
Deswegen ist ohne wirtschaftliches Wachstum alles andere nix. Sie können nur verteilen, was Sie vorher erwirtschaftet haben. Das, finde ich, muss man auch immer noch mal wieder deutlicher und öfter sagen, als das bisher manchmal so in den Köpfen verankert ist.
Worüber wir miteinander ringen, und da hat sich ja in Deutschland auch über 60 Jahre viel bewegt, ist ja die Frage: Wachstum zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen? Wo heute zu Recht deutlich stärker auch drauf geschaut wird, was bedeutet das etwa für den Klimawandel, wie können wir, wenn neue Fabriken oder Kraftwerke entstehen, dafür sorgen, dass sie möglichst wenig CO2 und andere Emissionen haben und wie man das in eine vernünftige Balance gibt? Aber in dem Zustand, wo wir gar kein Wachstum mehr hätten oder nur noch minimales Wachstum, würden wir in einem Deutschland, in einem Europa, das älter wird, den Wohlstand, den wir haben, niemals erhalten können.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir mal strategisch auf die anstehende Bundestagswahl. Was würden Sie Ihrer Partei empfehlen? Mit einer klaren Koalitionsaussage pro FDP in die Wahlschlacht ziehen, Schwarz-Grün ausschließen oder soll sie erstmal alles offen lassen?
Jens Spahn: Wir ziehen natürlich erstmal in jeden Wahlkampf mit dem Anspruch, selbst mit Abstand die stärkste Kraft zu werden und für uns möglichst viel an Zustimmung zu gewinnen. Und zum Zweiten, wir können auf wirklich erfolgreiche Zahlen in dieser Koalition verweisen – Haushaltskonsolidierung, die sozialen Sicherungssysteme haben Rücklagen, die wirtschaftliche Entwicklung läuft gut, auch mit Blick auf den Rest in Europa, deutlich heben wir uns da ab. Und ich finde, mit diesen Erfolgen können wir auch für die Fortsetzung dieser Koalition werben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Spahn, "Wohlstand für alle", das war vor einem halben Jahrhundert Ludwig Erhards Wahlspruch. "Chancen für alle" verspricht jetzt der Leitantrag auf dem CDU-Parteitag nächste Woche. Sie sind jetzt 32 Jahre alt. Glauben Sie, Sie werden die Erfüllung dieser Postulate noch erleben?
Jens Spahn: Wir müssen ja schon mal sehen, das sage ich auch immer der jungen Generation, wir leben im Moment in Wohlstand und Freiheit, wie es das eigentlich noch nie vorher auf deutschem Boden gegeben hat.
Deutschlandradio Kultur: "Für alle".
Jens Spahn: Ja, auch für alle. Selbst denen, denen es nicht so gut wie den anderen geht in dieser Gesellschaft, geht’s noch immer deutlich besser als den Menschen vor 30, 50 oder 100 Jahren, wie die gelebt haben. Was nicht heißt, dass wir nicht den Anspruch hätten, es ständig zu verbessern.
Was ich finde, das wir haben, ist so ein Ungerechtigkeitsthema, das sich entwickelt in der Frage Leistungsgerechtigkeit. Es ist nicht leistungsbezogen, wenn jemand 17,4 Millionen Euro pro Jahr als Dax-Vorstand verdient. So viel kann kein einzelner Mensch leisten. Und es ist genau am anderen Ende der Skala nicht leistungsbezogen, wenn ich hier Freunde in Berlin habe, die im Fünfsterne-Hotel sechs Tage die Woche zehn, zwölf Stunden arbeiten, meinetwegen an der Rezeption, was ja auch – freundlich sein im Service und allem – eine große Arbeit, Anstrengung ist, und am Ende 1100 Euro netto haben. Das ist beides an beiden Enden nicht mehr leistungsbezogen.
Ich finde, dieses Versprechen, dass es Unterschiede in der Gesellschaft natürlich geben darf und soll, sonst gibt es keinen Ansporn sich anzustrengen, dass diese Unterschiede aber gerechtfertigt sein müssen durch Leistung oder Nichtleistung. Dieses Versprechen ist ins Wanken geraten, auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Und ich finde, da haben wir als Union auch die Aufgabe, das wieder ins Lot zu bringen.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Spahn.
Jens Spahn: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind vor zehn Jahren in den Bundestag gekommen, Herr Spahn. Da waren Sie als bis dahin jüngster direkt gewählter Abgeordneter gerade mal 22 Jahre alt. Sind Sie jetzt nach zehn Jahren immer noch für die Rubrik "junger Wilder" in der CDU zuständig?
Jens Spahn: Jedenfalls bin ich, wenn man auf das Durchschnittsalter des Bundestages und der Kollegen schaut, schon noch einer von den Jüngeren, aber ich denke nach zehn Jahren im Parlament auch schon ein bisschen zumindest ein alter Hase. Aber ich fühle mich schon noch klar als Vertreter der jungen Generation, der auch die Interessen im Blickwinkel der jungen Generation einbringt und schon die Frage stellt: Wie sieht es eigentlich in Deutschland 2030 aus?
Deutschlandradio Kultur: Ob Sie auch noch wild sind, können Sie Anfang kommender Woche zeigen in Hannover beim Bundesparteitag Ihrer Partei. Da geht es dann unter anderem auch um die steuerliche Gleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften, eine Forderung, die Sie zusammen mit einer Gruppe von zwölf weiteren Abgeordneten erhoben haben. Auf dem Parteitagsprogramm steht aber nicht dieser Vorschlag, sondern ein Antrag, der die steuerliche Gleichbehandlung explizit ablehnt. Fühlen Sie sich da allein gelassen vom Parteivorstand?
Jens Spahn: Nein, das ist eine programmatische Debatte, die wir jetzt in der Union führen, die wir jetzt früher oder später ja auch mal insgesamt in Deutschland zu einem Ergebnis führen werden müssen, weil ja auch das Bundesverfassungsgericht darüber in den nächsten Monaten entscheiden wird. Wir sagen ganz einfach, das ist im Übrigen auch eine Wertefrage, wenn da eine Partnerschaft rechtlich verbindlich Pflichten füreinander übernimmt, füreinander einsteht, Werte lebt, die uns wichtig sind, dann ist es erst mal egal, ob homo- oder heterosexuell, sondern dann geht’s darum, da auch eine Gleichbehandlung nicht nur bei den Pflichten, sondern auch bei den Rechten zu haben. Und dann ist die einfache Schlussfolgerung: Da muss es auch eine steuerrechtliche Gleichstellung geben.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist diese Idee im offiziellen Antrag ins glatte Gegenteil verkehrt worden. Da fühlen Sie sich gar nicht im Stich gelassen, sind zufrieden damit?
Jens Spahn: Wenn wir damit zufrieden wären, würden wir jetzt ja nicht einen anderen Antrag stellen, sondern jetzt muss man die Diskussion auf dem Parteitag miteinander führen, mit den jeweiligen Argumenten auch am Ende werben. Ich sage auch denjenigen, die eher sagen, wir sind aber doch konservativ, wir sollten die Dinge anders sehen: Der konservative britische Premier David Cameron hat den schönen Satz gesagt: "Ich bin für die Homo-Ehe nicht obwohl ich konservativ bin, sondern weil ich konservativ bin", weil eben hier zwei Menschen sagen, wir wollen rechtlich verbindlich, das ist ja das Entscheidende, auf Dauer angelegt füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Und eigentlich ist uns als Christdemokraten das ja auch was wert.
Deutschlandradio Kultur: Horst Seehofer von Ihrer Schwesterpartei, der CSU, sagt dazu: "Ich rate dringend dazu abzuwarten, welche Hilfestellung uns das Verfassungsgericht in seiner anstehenden Entscheidung gibt." Das haben Sie ja schon angesprochen. Karlsruhe wird dazu auch sprechen. Ist das der Standpunkt der Union, dass man darauf wartet, dass Karlsruhe mal wieder sagt, wo es langgehen soll, wie in anderen Fragen ja auch?
Jens Spahn: Es hat ja gerade in dieser konkreten Frage der Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaften schon mehrere Entscheidungen in Karlsruhe gegeben. Da ging es um die Grunderwerbssteuer, um die Erbschaftssteuer, ums Beamtenrecht. Und jeweils wurde entschieden, weil es eben entsprechende Pflichten gibt, weil es vom Grundgedanken her auch in der rechtlichen Verbindlichkeit gleich angelegt ist, muss es dann auch die gleichen Rechte geben, und hat dann jeweils für die Gleichstellung entschieden.
Und ich finde, wir sollten jetzt nicht wieder einmal mehr auf das Verfassungsgericht warten, sondern Politik hat auch den Auftrag, aktiv zu handeln, und dann auch tatsächlich von uns aus die Dinge regeln.
Deutschlandradio Kultur: Es scheint aber trotzdem die mehrheitliche Position – auch wenn wir diesen Antrag jetzt sehen beim Parteitag – zu sein, wir warten erstmal ab. Warum? Ist das vielleicht auch einfacher, das den Konservativen innerhalb der Partei zu verkaufen, wenn man sagt: Na, das Gericht hat uns ja dazu gezwungen?
Jens Spahn: Zum Ersten werbe ich sehr dafür, auch mal zu sehen, wie weit die Union auch gerade in den letzten zehn, 15 Jahren sich bei diesem Thema bewegt hat. Mit leichtem Schmunzeln könnte man sagen, es hat sich keine Partei mehr bewegt als die Union in dieser Frage, weil sie auch einen weiten Weg zurücklegen musste, vor allem, was sich auch in Deutschland in den letzten zehn, 15 Jahren da entwickelt hat für eine solche Gleichstellung. Und diesen Prozess vollzieht die Union zwar nicht als Speerspitze, aber Schritt für Schritt eben auch nach.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch ein paar andere Themen, wo die Union vielleicht nicht unbedingt die Speerspitze ist und wo es möglicherweise die eine oder andere Kontroverse geben könnte auf dem Parteitag. Stichwort: höhere Rente für Mütter, Stichwort Frauenquote. Man weiß ja nicht so recht, wohin die Union bei diesen Themen will. Auch beim Mindestlohn. Glauben Sie, dass es da in Hannover wirklich einen Schritt vorangehen wird? Oder wird man das alles erst mal zur weiteren Prüfung überweisen?
Jens Spahn: Zum ersten ist es ja per se schon mal gut, finde ich, und ja auch ein Ausdruck von Stärke, wenn man solche Debatten auch führt, auch öffentlich führt und miteinander um die richtigen Inhalte, die richtigen Lösungen ringt. Das macht eine Partei für sich genommen auch schon attraktiv. Und das sind ja auch Fragen, die die Menschen bewegen. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor '92 geborene Kinder, da gibt es ja einen Unterschied, vor '92 gibt’s einen Rentenentgeltpunkt pro Kind, nach '92 drei, empfinden viele – dazu gehört auch meine Mutter, die uns drei vor '92 geboren hat – als zutiefst ungerecht, warum sozusagen Kinder unterschiedlich gewertet werden in der Rentenversicherung. Gleichzeitig kostet es aber wahnsinnig viel Geld. Es geht um bis zu 13 Milliarden Euro pro Jahr. Und das ist eine schwierige Abwägungsfrage, die eben auch eine Partei für sich treffen und diskutieren muss.
Deutschlandradio Kultur: Wird da offen genug diskutiert in der CDU?
Jens Spahn: Ja klar. Also, ich habe es jedenfalls noch nicht erlebt, dass wir nicht diskutieren konnten, wenn wir wollten. Im Übrigen hat man das auch beim letzten Parteitag in Leipzig gesehen. Da haben wir ja auch um den Mindestlohn miteinander gerungen oder um die richtige Richtung beim Euro und in Europa. Da ist stundenlang diskutiert worden. Ich wundere mich etwas, wenn Bundesparteitage der CDU immer so beschrieben werden, als gäbe es keine Diskussion. Also, wer da ist, erlebt intensivste Diskussion.
Deutschlandradio Kultur: Aber gerade der Mindestlohn –oder wie es dann im Jargon der CDU heißt "Lohnuntergrenze" – ist doch ein Beispiel dafür. Vor einem Jahr vor dem Parteitag sah es fast so aus, als könnte sich die CDU da durchringen, aber eigentlich wissen wir bis heute nicht so recht, wohin die Partei geht. Also wird nicht doch um des öffentlichen Friedens willen so ein Thema ein bisschen sehr auf die lange Bank geschoben?
Jens Spahn: Wir haben uns ja letztes Jahr in Leipzig auf dem Parteitag geeinigt auf diese Lohnuntergrenze – regional differenziert, nach Branchen differenziert und vor allem nicht staatlich festgelegt, sondern eben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den entsprechenden Kommissionen, wie das auch in England beispielsweise ist. Das Problem an der Stelle ist, dass unser Koalitionspartner, die FDP, diese Lösungen im Moment nicht mitmachen will und wir deswegen in der Umsetzung ins Gesetz nicht weitergekommen sind. Die Position der Union jedenfalls ist da klar.
Deutschlandradio Kultur: Bei der Besserstellung von Müttern, die Kinder erzogen haben, worüber wir gerade gesprochen haben, mit der rentenrechtlichen Besserstellung, da ist ja der Leitantrag erstmal so, dass beschlossen werden soll, das zu prüfen. Also, es wird mit anderen Worten auf die lange Bank geschoben. Ist das demokratische Willensbildung?
Jens Spahn: Ich habe ja gerade schon mal angedeutet: Aus dem Gerechtigkeitsempfinden heraus würde jeder sofort sagen, klar müssen da die Mütter mit den geborenen Kindern in der Rente gleich behandelt werden. Aber wir müssen schauen, wie teuer wäre welche Lösung. Eine vollständige Gleichstellung würde 13 Milliarden Euro kosten. Zu prüfen, ob es jenseits der vollen Lösung auch kleinere Schritte geben kann, finde ich richtig.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, dass die, die schon wenig haben, das bezahlen sollen, dass es nicht genug Geld gibt?
Jens Spahn: Na, jetzt muss man ja auch mal schauen. Das ist vor allem die Gerechtigkeitsfrage, ganz klar. Aber es ist ja jetzt nicht so, dass die Haushaltseinkommen der Rentner, die im Moment in Rente sind oder in den nächsten Jahren in Rente gehen werden, das zeigt der aktuelle Rentenbericht, auch besonders niedrig wären. Sondern das größte Armutsrisiko in Deutschland ist es im Moment, alleinerziehend mit Kind zu sein, während das Armutsrisiko für Rentnerinnen und Rentner eher ein sehr geringes ist – im Moment jedenfalls.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie erwarten dann doch leidenschaftliche Diskussionen in Hannover auf dem Bundesparteitag der CDU. Allerdings bei den Personalentscheidungen hat man dann doch den Eindruck, dass es um Harmonie geht. Es gab ja fünf Bewerber für den Posten des Partei-Vize, aber nur vier Plätze. Die Zahl der Vize wurde jetzt aufgewertet, so dass alle, die sich beworben haben, auch einen Posten bekommen können. Entschuldigen Sie den Vergleich, aber ein bisschen erinnert einen das an kommunistische Parteitage, wo die Personalien vorher schon alle so geklärt sind, dass es gar keine Kampfkandidaturen geben kann.
Jens Spahn: Die Spitze der Partei, und dazu zählen natürlich auch die Stellvertreterinnen und Stellvertreter der Vorsitzenden und Bundeskanzlerin, soll natürlich auch die Breite der Partei abbilden. Wenn ich so schaue, wie viele Vize-Vorsitzende etwa die SPD hat, sind wir da noch immer mit fünfen hinreichend überschaubar.
Ich find’s schon richtig, das Zeichen zu setzen, dass wir natürlich die beiden großen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die ja auch beide keine einfachen Wahlen hinter sich haben, weiterhin in der Spitze vertreten haben wollen, dass wir aber auch so jemanden, wie Julia Klöckner, die eine sehr erfolgreiche Oppositionsarbeit in Rheinland-Pfalz macht und eine unserer großen Hoffnungen sozusagen auch für die Bundes-CDU ist, dass wir die auch repräsentieren sozusagen in der Parteispitze. Das kann der Union nur gut tun, dieses ganze Spektrum, das wir haben, auch abzubilden. Und da kommen wir mit fünfen dann auch gut hin.
Deutschlandradio Kultur: Das waren jetzt einige Problemthemen, die beim Parteitag ab Montag eine Rolle spielen werden. Ein weiteres Problem hat die CDU definitiv in den Großstädten. Nachdem Sie gerade auch noch das Stuttgarter Rathaus an die Grünen verloren haben, wird von den zehn größten Städten in Deutschland eigentlich nur noch Düsseldorf von der CDU regiert. Wie ernst müssen Sie dieses Problem nehmen?
Jens Spahn: Wir müssen das sehr ernst nehmen, weil, der Anspruch, Volkspartei zu sein, heißt natürlich, eine Partei zu sein, die Alt, Jung, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, aber vor allem eben auch Stadt und Land abbildet und sich nicht irgendwann in der Wahrnehmung nur noch reduziert auf die Vertretung des ländlichen Raums. Und ich bin selbst Münsterländer. Ich bin da jetzt nicht in Gefahr, irgendwie nur für die große Stadt zu reden.
Mein Eindruck ist, dass wir da kein programmatisches Problem haben. Wir haben unser Programm in den letzten Jahren sehr modernisiert, indem wir die Werte, die uns wichtig sind, sozusagen ins 21. Jahrhundert übersetzt haben – etwa beim Familienbild, nicht mehr ausschließlich auf Ehe bezogen, sondern wir haben gesagt: Wo Eltern für Kinder, Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung übernehmen, da ist Familie.
Ich habe den Eindruck, wir haben eher ein lebensweltliches Problem. Wir erreichen – auch gefühlsmäßig – breite Teile in den Städten nicht, die eigentlich von ihrem ganzen Tun und Sein, wenn ich nach Prenzlauer Berg zum Beispiel in Berlin schaue: Akademiker, sehr leistungsorientiert, es wird Familie gelebt, viele Geburten, eine enge Verbundenheit in der Nachbarschaft, da wird die Schule angestrichen, wenn die Stadt das Geld nicht schnell genug zusammenbekommt … Die also eigentlich alles leben, was uns in der Union wichtig ist, was wir programmatisch darstellen. Trotzdem haben wir da nur zehn Prozent. Und offensichtlich kriegen wir da irgendwie so die Übersetzung in diese Lebenswelten hinein nicht.
Deutschlandradio Kultur: Liegt es vielleicht auch daran, dass die CDU mit den Dingen, die sie wirklich erneuert – sprechen wir nur Heilige Kühe an wie die Wehrpflicht oder die Hauptschule, die sie einfach mal so abgeschafft haben –, ein bisschen verschämt rüberkommt, also das nicht offensiv verkauft, sondern dass sich das so dahin läppert?
Jens Spahn: Sie müssen sehen, für unsere Mitglieder und Anhänger, Wähler sind natürlich diese Veränderungen in der Positionierung Wehrpflicht, Hauptschule, Energiewende, auch im Familienbild zum Teil – jedenfalls gefühlsmäßig – auch schwer nachzuvollziehen. Weil, wenn Sie über Jahre und Jahrzehnte immer was anderes gesagt haben, für was anderes geworben und gestanden haben, ist es natürlich schwer, dann auch eine Positionsveränderung vorzunehmen.
Ich finde, da müssen wir besser erklären, auch den eigenen Anhängern, dass wir etwa bei der Hauptschule, um ein Beispiel zu nehmen … Hauptschule an sich ist ja kein Wert, sondern der Wert dahinter war für uns, dass wir gesagt haben, wir brauchen differenzierte Schuldsysteme, weil wir keine Einheitskinder haben, keine Einheitsschule, weil keine Einheitskinder.
Und jetzt versuchen wir eben, weil die Anmeldezahlen in der Hauptschule zurückgegangen sind, wenn ich etwa Nordrhein-Westfalen nehme, und gerade im ländlichen Raum in CDU-Regionen die Bürgermeister gesagt haben, mit der Hauptschule kommen wir nicht mehr weiter, diese Differenzierung in einer anderen Schulform möglich zu machen, da abzubilden. Das heißt also, der Wert bleibt erhalten. Wir machen es nur in anderen Institutionen. Und dieses zu erklären und rüberzubringen, auch an die eigenen Anhänger, ist noch nicht gut genug gelungen. Die fühlen sich gefühlsmäßig zum Teil etwas abgehängt.
Deutschlandradio Kultur: Wenn diese Modernisierungen wiederum bei den Großstädtern nicht so richtig ankommen und die CDU da oft doch ein veraltetes, miefiges Ansehen gelegentlich hat, sind daran die stramm Konservativen vielleicht auch schuld, wie zum Beispiel der Kreisverband in Fulda, weil die eben die gesellschaftliche Modernisierung blockieren?
Jens Spahn: Wir haben jetzt so ein bisschen das Problem wie die Republikaner es in den USA hatten. Wir werden wahrgenommen zu stark als so die Partei des weißen alten Mannes. Das war ja auch das Republikaner-Problem. Ich sage noch mal, es ist eine Wahrnehmungsfrage. Um anders wahrgenommen zu werden, müssen Sie einfach die Lebenswirklichkeit auch in Kandidaten besser abbilden. Schlicht und ergreifend: Wir brauchen auch mehr Frauen, die für uns kandidieren und an vorderster Front dann stehen. Und wir brauchen tatsächlich auch in dem, was wir tun und leben, finde ich, eine gewisse Gelassenheit.
Ein Superbeispiel, wo es gut gelaufen ist, ist zum Beispiel im Umgang mit den Piraten, wo das etwa mit Peter Altmaier und anderen Kollegen ein Austausch war, bei dem die sich mit voller Neugierde auf dieses Twittern eingelassen haben, auf diese neue Art der Kommunikation und wir da nicht auf die Piraten sozusagen voll drauf los, wie man es vielleicht erwartet hätte von der Union, sondern tatsächlich auf einer Sachebene und in ihrem Medium sich mit ihnen auseinandergesetzt haben. Und wenn man so schaut, wie die Entwicklung ist, finde ich, nicht ohne Erfolg.
Also, mit einer Gelassenheit und Neugierde, ohne die eigenen Werte aufzugeben, mit solchen Phänomenen umzugehen, das gelingt uns manchmal, aber noch nicht oft genug.
Deutschlandradio Kultur: Ich frage noch mal nach den Erzkonservativen zum Beispiel in Fulda. Wünschen Sie just denen mehr Gelassenheit und denken sich: Naja, vielleicht müsst ihr nicht überall dazu was sagen, wenn es eigentlich so ein Großstadtthema ist?
Jens Spahn: Ich werbe immer sehr dafür zu schauen, was ist denn eigentlich konservativ. Nur zu sagen, so drei, vier Phrasen, irgendwie Patriotismus, Familie, Wehrpflicht und das ist dann konservativ, dann ist mir das ein bisschen zu wenig. Ich habe den Eindruck, das ist oft auch so ein Institutionen-Konservativismus, also, man will irgendwie seine Institutionen bewahren und schützen, wobei wir doch eigentlich um Werte werben sollten und die versuchen sollten zu bewahren.
Wenn Sie die Shell-Jugendstudie nehmen: Junge Leute wünschen sich heute mehr denn je für sich selbst eine Familie, eine dauerhafte Partnerschaft, sind sehr leistungsorientiert. Das war vor zehn, 20 Jahren auch anders. Das heißt also, es gibt dieses Wertebewusstsein auch in der jungen Generation. Da täte ich mir auch von Manchem, der sich als konservativ einordnet, wünschen, dass er das nicht an Institutionen vom letzten Jahrhundert festmacht, sondern eher versucht, diese Werte in eine Zeit mit Internet, mit viel Reisen, mit viel Mobilität zu übersetzen. Und das gelingt auch programmatisch da an der Stelle oft viel zu selten.
Deutschlandradio Kultur: Sprechen wir jetzt mal über die Zukunft, Herr Spahn, die Zeit nach der Bundestagswahl 2013. Unterbrechen Sie mich, wenn ich was falsch sage. Bei der Bundestagswahl wird die Union vielleicht als stärkste Fraktion bestehen, aber wohl keine absolute Mehrheit erringen. Große Koalition mit der SPD wäre möglich, vielleicht nicht unbedingt erstrebenswert. Bei der FDP ist fraglich, ob sie wieder in den Bundestag kommt.
Jens Spahn: Also, die Idealkonstellation aus unserer Sicht, weil da einfach die größte Schnittmenge ist, ist eine Koalition mit der FDP. Da ist ja, wenn man mal auf die reinen Ergebnisse sieht, in den letzten drei Jahren auch viel erreicht worden, auch wenn die Darstellung leider noch ausbaufähig ist. Und ich würde nicht ausschließen, dass auch wir in dieser Konstellation Union und FDP gemeinsam weiterregieren können.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn nicht, dann bleiben ja eigentlich nur die Grünen übrig, oder?
Jens Spahn: Wenn nicht, wird man dann mit den anderen demokratischen Parteien natürlich schauen, wie man Mehrheiten bilden kann. Und dann schaut man, wo gibt’s die größte inhaltliche Schnittmenge? Ob jetzt mit der SPD oder den Grünen, wird sich dann sicherlich in Gesprächen ergeben. Aber ich sag' noch einmal: Favorisiertes Ziel ist die Fortsetzung der jetzigen Koalition.
Deutschlandradio Kultur: Wir gucken auf die Grünen. Die Schwarmintelligenz der Parteibasis hat mit Frau Göring-Eckardt eine überaus bürgerliche Spitzenkandidatin gefunden. Jürgen Trittin ist auch schon lange kein Bürgerschreck mehr. Warum haben so viele in Ihrer Partei, in der CDU trotzdem noch Probleme mit den Grünen?
Jens Spahn: Na, was heißt Probleme? Also, ich habe im persönlichen Umgang keine. Wir haben ja auch ein gutes Verhältnis mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen untereinander, insbesondere bei den Jüngeren ist das alles ganz locker angenehm.
Gleichwohl sind wir natürlich in unterschiedlichen Parteien, weil wir unterschiedliche Positionen zu bestimmten Themen haben. Da gibt’s große Schnittmengen etwa, wenn es geht, auch beim Thema Bewahrung der Schöpfung ist ja eigentlich ein urchristliches Thema, Naturschutz. Selbst bei der Haushaltskonsolidierung im Ziel zu sagen, wir können nicht ständig neue Schulden machen, aber wenn ich sehe, was die Grünen auf ihrem Parteitag gerade beschlossen haben, Steuern erhöhen, Vermögensabgabe, auch was wir in NRW gerade erleben, den Menschen bis ins Detail vorschreiben, wann sie wo wie schnell fahren dürfen, wie viel sie wann wie essen oder rauchen dürfen, dann ist das eher spießig. Also, ich hab' den Eindruck, die Grünen mutieren eher zum Kleinbürgertum, zum Spießer, während wir mittlerweile programmatisch eigentlich eher die bürgerlich-freiheitlichere Partei sind. Die Wahrnehmung ist allerdings andersrum.
Deutschlandradio Kultur: Andererseits könnten Sie wichtige Aufgaben, wie Energiewende, Klimapolitik, ökologischer Umbau der Industriegesellschaft doch besser mit den Grünen umsetzen als mit Ihrem Wunschpartner FDP, der da ja – wie wir jetzt gerade die letzten Tage gesehen haben, Stichwort Netzausbau – so ganz eigene Vorstellungen hat.
Jens Spahn: Natürlich gäbe es auch Gemeinsamkeiten mit den Grünen, etwa beim Thema Energiewende, obgleich wir da im Ziel einig sind, es aber in der Frage, wie es konkret dann wird, sicherlich egal, mit wem Sie regieren und übrigens ja auch innerhalb der eigenen großen Volkspartei es unterschiedliche Einschätzungen gibt.
Ich bin mir sicher, man würde Schnittmengen finden für eine Große Koalition, für Schwarz-Grün, wenn es denn sein müsste. Aber die größten Schnittmengen gibt es schlicht und ergreifend mit der FDP. Aber dass wir per se ausschließen eine Zusammenarbeit mit den Grünen, wie es vielleicht noch vor 15 oder 20 Jahren der Fall gewesen wäre, und umgekehrt ja auch, und man gar nicht so richtig miteinander redet und so eine Pizza-Connection unten in Bonn im Keller im Restaurant dann über Tage eine große Neuigkeit gewesen ist, diese Zeiten jedenfalls sind vorbei. Es besteht hier natürlich ein guter Umgang miteinander, menschlich und auch in den Gesprächen, in den Beratungen. Insofern haben wir unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Ansätze, aber gehen doch ganz vernünftig miteinander um.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie warten bis zur Bundestagswahl. Dann sehen Sie, ach, die Liberalen sind gar nicht drin, und dann fangen Sie noch mal neu an nachzudenken?
Jens Spahn: Jetzt würde ich noch gar nicht immer die Liberalen so klein machen. Sie haben in Nordrhein-Westfalen gesehen, was möglich ist, auch für unseren Koalitionspartner noch herauszuholen, wenn das Thema stimmt und die Personen stimmen. Und es sind noch zehn Monate. Ich meine, bis dahin kann viel passieren. Und hätten Sie mir vor der Bundestagswahl 2009 gesagt, dass wir mit so einem Ergebnis rauskommen, auch mit fast 15 Prozent für die FDP, dann hätte ich Ihnen das schon zwei Wochen vor der Wahl nicht wirklich geglaubt. Das heißt also, es ist noch viel, viel Zeit bis zur Bundestagswahl im September.
Deutschlandradio Kultur: Sie leiden offensichtlich nicht an der grassierenden Ausschließeritis, die manchen Parteien ja manchmal vorgeworfen wird. Also, Sie schließen erstmal nichts aus. Gilt das auch für Ihre Schwesterpartei? Gilt das auch für die CSU? Können Sie sich vorstellen, dass die mit den Grünen zusammengehen könnten?
Jens Spahn: Das ist ja immer eine Frage der Alternativen. Wenn Sie das Idealziel, das Sie erreichen wollen, nämlich eine bürgerliche Koalition mit der FDP, nicht erreichen sollten, dann würden wir im Zweifel immer natürlich immer lieber regieren als in der Opposition sein. Das ist doch gar keine Frage. Wer einen Gestaltungsanspruch hat, wer eine Idee davon hat, wo er mit diesem Land in Europa hin will, der will natürlich auch regieren und nicht in der Opposition sein. Und dann muss man schauen, findet man zum Regieren die nötigen Partner. Und im Fall der Fälle, bin ich mir sehr sicher, würden wir da auch gemeinsam schauen, mit wem haben wir die größten Inhalte. Trotzdem noch einmal: Wir wollen am liebsten in dieser Koalition weitermachen.
Deutschlandradio Kultur: Das ist fast ein bisschen erstaunlich. Die FDP setzt auf Wachstum, mehr Brutto vom Netto. Ist das ein Partner, an den sich die CDU längerfristig weiter binden sollte in einer Zeit, in der das Wort Neoliberalismus landauf, landab zum Schimpfwort geworden ist?
Jens Spahn: Na, eins sieht man ja sehr deutlich auch in der aktuellen Entwicklung: Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, allein schon, um unsere sozialen Fragen zu lösen. Erst seitdem wir seit zwei, drei Jahren wieder dieses starke Wirtschaftswachstum haben, gehen die Arbeitslosenzahlen noch mal wieder deutlich zurück, haben wir auch das Geld in der Krankenversicherung, in der Rentenversicherung, das wir brauchen, um eine gute Versorgung für alle sicherzustellen.
Deswegen ist ohne wirtschaftliches Wachstum alles andere nix. Sie können nur verteilen, was Sie vorher erwirtschaftet haben. Das, finde ich, muss man auch immer noch mal wieder deutlicher und öfter sagen, als das bisher manchmal so in den Köpfen verankert ist.
Worüber wir miteinander ringen, und da hat sich ja in Deutschland auch über 60 Jahre viel bewegt, ist ja die Frage: Wachstum zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen? Wo heute zu Recht deutlich stärker auch drauf geschaut wird, was bedeutet das etwa für den Klimawandel, wie können wir, wenn neue Fabriken oder Kraftwerke entstehen, dafür sorgen, dass sie möglichst wenig CO2 und andere Emissionen haben und wie man das in eine vernünftige Balance gibt? Aber in dem Zustand, wo wir gar kein Wachstum mehr hätten oder nur noch minimales Wachstum, würden wir in einem Deutschland, in einem Europa, das älter wird, den Wohlstand, den wir haben, niemals erhalten können.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir mal strategisch auf die anstehende Bundestagswahl. Was würden Sie Ihrer Partei empfehlen? Mit einer klaren Koalitionsaussage pro FDP in die Wahlschlacht ziehen, Schwarz-Grün ausschließen oder soll sie erstmal alles offen lassen?
Jens Spahn: Wir ziehen natürlich erstmal in jeden Wahlkampf mit dem Anspruch, selbst mit Abstand die stärkste Kraft zu werden und für uns möglichst viel an Zustimmung zu gewinnen. Und zum Zweiten, wir können auf wirklich erfolgreiche Zahlen in dieser Koalition verweisen – Haushaltskonsolidierung, die sozialen Sicherungssysteme haben Rücklagen, die wirtschaftliche Entwicklung läuft gut, auch mit Blick auf den Rest in Europa, deutlich heben wir uns da ab. Und ich finde, mit diesen Erfolgen können wir auch für die Fortsetzung dieser Koalition werben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Spahn, "Wohlstand für alle", das war vor einem halben Jahrhundert Ludwig Erhards Wahlspruch. "Chancen für alle" verspricht jetzt der Leitantrag auf dem CDU-Parteitag nächste Woche. Sie sind jetzt 32 Jahre alt. Glauben Sie, Sie werden die Erfüllung dieser Postulate noch erleben?
Jens Spahn: Wir müssen ja schon mal sehen, das sage ich auch immer der jungen Generation, wir leben im Moment in Wohlstand und Freiheit, wie es das eigentlich noch nie vorher auf deutschem Boden gegeben hat.
Deutschlandradio Kultur: "Für alle".
Jens Spahn: Ja, auch für alle. Selbst denen, denen es nicht so gut wie den anderen geht in dieser Gesellschaft, geht’s noch immer deutlich besser als den Menschen vor 30, 50 oder 100 Jahren, wie die gelebt haben. Was nicht heißt, dass wir nicht den Anspruch hätten, es ständig zu verbessern.
Was ich finde, das wir haben, ist so ein Ungerechtigkeitsthema, das sich entwickelt in der Frage Leistungsgerechtigkeit. Es ist nicht leistungsbezogen, wenn jemand 17,4 Millionen Euro pro Jahr als Dax-Vorstand verdient. So viel kann kein einzelner Mensch leisten. Und es ist genau am anderen Ende der Skala nicht leistungsbezogen, wenn ich hier Freunde in Berlin habe, die im Fünfsterne-Hotel sechs Tage die Woche zehn, zwölf Stunden arbeiten, meinetwegen an der Rezeption, was ja auch – freundlich sein im Service und allem – eine große Arbeit, Anstrengung ist, und am Ende 1100 Euro netto haben. Das ist beides an beiden Enden nicht mehr leistungsbezogen.
Ich finde, dieses Versprechen, dass es Unterschiede in der Gesellschaft natürlich geben darf und soll, sonst gibt es keinen Ansporn sich anzustrengen, dass diese Unterschiede aber gerechtfertigt sein müssen durch Leistung oder Nichtleistung. Dieses Versprechen ist ins Wanken geraten, auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Und ich finde, da haben wir als Union auch die Aufgabe, das wieder ins Lot zu bringen.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Spahn.