Die Zukunft hat begonnen
Menschen mit einem implantierten Mikrochip in der Hand oder Sehbehinderte, denen Technologien eingepflanzt werden. Sogenannte Cyborgs zeigen auf der Messe CeBIT in Hannover, wohin sich die Forschung mit großen Schritten bewegt - Richtung Mensch-Maschine.
"Wir haben hier die Spritze, wir haben hier im Prinzip meine Hand, dann würde man eine Hautfalte hier zwischen Daumen und Zeigefinger hier hochnehmen, und dann wird einmal tief Luft geholt – und dann ist die Spritze drin!"
Technik, die unter die Haut geht. Patrick Kramer von der jungen Firma Digiwell Chips begreift sich selbst als Cyborg. Da staunt das Publikum, denn an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine gibt es rasante Neuerungen: In der Medizintechnik werden blinden oder schwerhörigen Menschen Technologien eingepflanzt, um verloren geglaubte Fähigkeiten zurückzugewinnen. Cyborgs, raunt Kramer, sind Forscher, Pioniere, die sich ohne körperliche Not die allerneueste Generation biokompatibler Chips in den Körper holen und im Zweifelsfall den Computervirus gleich mit – all dies im Namen von Fortschritt und Wissenschaft.
"Jetzt ist die Tür verschlossen. Sie sehen, ich kann hier drehen, brauche jetzt keinen Haustürschlüssel mehr. Und jetzt gehe ich mit meiner Hand rein und öffne meine Haustür!"
In der schönen neuen Welt der Algorithmen werden unsere Avatare ordentlich mitmischen, prophezeit Bernd Gill vom Tech-Konzern Hewlett Packart Enterprise, mit 52 Milliarden Dollar Umsatz einer der größten Anbieter von IT-Infrastruktur und Dienstleistungen. Gill weist auf einen Raum mit 50 Kameras. Sieben Minuten dauert es, ein digitales Abbild des Menschen zu erzeugen. In der Cloud abgespeichert kann der Endverbraucher sein dreidimensionales Profil dann vielfältig nutzen, in virtuellen Konferenzen wie auch beim Einkaufen:
"Bekleidungsindustrie ist das Reale, da arbeiten wir mittlerweile schon mit Firmen zusammen. Sie wollen wirklich ein Shopping-Erlebnis generieren, das dann verhindert, dass es eben Rücknahmen gibt, weil jemand das Kleidungsstück eben von der Farbe oder von dem Stoff – wie der Stoff fließt am Körper – einfach unterschätzt hat. Das kann er vorab einfach sehen."
Die vernetzte Fabrik
Stichwort Industrie 4.0 – ist das zweite große Topthema neben der Datensicherheit auf der CeBIT: In der vernetzten Fabrik werden Lagersysteme, Maschinen und einzelne Werkstücke zunehmend eigenständig miteinander Informationen austauschen. Die Branche erhofft sich einen gewaltigen Wachstumsschub, wenn künftig maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen in immer kürzeren Zyklen entstehen.
"Wir stellen fest, dass durch so genannte disruptive Innovationen, also Technologien, die Geschäftsmodelle von Grund auf verändern, sich auch die Unternehmenslandschaft sehr schnell ändert."
Sagt BITKOM-Chef Bernhard Rohleder. Zwar sieht der Branchenverband die deutsche Wirtschaft bei der Digitalisierung auf gutem Kurs, doch der jüngsten Studie zufolge fahren noch immer zu viele kleinere, mittelständische Unternehmen auf Sicht. Viele Firmenlenker tun sich schwer, ihre Geschäftsmodelle strategisch umzubauen, vertrauenswürdige Partner für die Sicherung ihrer Daten zu finden, die importierte Technik überhaupt zu durchschauen.
"Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass Programmier-Kenntnisse oder überhaupt Informatik-Kenntnisse als Querschnitts-Kompetenz begriffen und vermittelt werden – so wie Rechnen und Schreiben. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir in fünf oder zehn Jahren eben nicht mehr die Mitarbeiter in Deutschland haben, die wir brauchen, um neue digitale Geschäftsmodelle in analogen traditionellen Unternehmen umzusetzen."
Politik ist eher Zaungast als Vorreiter
Die Politik, klagt Rohleder, ist beim Mega-Trend Digitalisierung eher Zaungast als Vorreiter: In der staatlichen Verwaltung überwiegt die Technik von Gestern, die Gründerszene braucht mehr Förderung, stattdessen bremsen Kleinstaaterei, Regularien und Vorschriften die Erfinder aus.
"Streaming-Services, social media, M2M, B2B, B2C, IoT, connected cars, autonomous driving: dann müssen wir die Gigabyte-Gesellschaft von morgen und die Gigabyte-Infrastruktur von morgen jetzt angehen!"
Fachsimpelt EU-Kommissar Günther Oettinger über die EU-Strategie zum digitalen Binnenmarkt, die jetzt endlich umgesetzt werden müsse. Vielen geht das nicht schnell genug: Für die Vernetzung unseres Alltags müssen unvorstellbare Datenmangen bewegt werden. Weil der Ausbau der digitalen Netze stockt, warnt der Industrieverband BDI beharrlich vor dem wirtschaftlichen Rückstand Deutschlands. Bisher hegt die Bundesregierung noch ihr vielfach nach hinten verschobenes Ziel, bis 2018 allen Bürgern Internet mit Downloadgeschwindigkeiten von 50 Mbit pro Sekunde zur Verfügung zu stellen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel präsentiert in Hannover den jüngsten Masterplan, der die Transformation zur "Digitalrepubilk" absichern soll. Er plant allein für den Netzausbau im ländlichen Raum rund 10 Milliarden Euro Fördergelder ein.
Pepper, der kleine Empfangsroboter wird nicht seekrank und kann mit großen Kulleraugen emotional auf Umweltreize reagieren. Deshalb ist er zum Erschrecken der umstehenden Messehostessen vielseitig einsetzbar – zum Beispiel auf mehreren Kreuzfahrtschiffen der Aida-Cruises-Flotte. Auf der CeBIT wird das Sensibelchen vom Ansturm der Besucher überwältigt. 800.000 kamen in besseren Jahren, im Vorjahr gerade noch 200.000 – denn Messechef Oliver Frese konzentriert sich lieber auf ein reines Fachpublikum.
Neben allerhand wertvollen Kontakten zur Geschäftsanbahnung lockt vor allem der politische Diskurs auf diesem Marktplatz der Möglichkeiten. Swatch-Chef Nick Hayek ist nur einer von zahlreichen prominenten Gastrednern. Ausgerechnet die Schweizer outen sich in Hannover als prototypisch moderne Gesellschaft: ihre Universitäten bereichern den globalen Kompetenz-Cluster, fast alle sind online und noch auf dem letzten Alpengipfel hat das Handy Empfang!