Cécile Wajsbrot zur Terrorattacke bei Paris

„Ein Symbol für das Scheitern dieses Systems“

07:46 Minuten
Blumen und Fotos auf einem Gehsteig
Zum Gedenken an den getöteten Geschichtslehrer Samuel Paty haben viele Menschen an seiner Schule Blumen niedergelegt. © imago images / Hans Lucas / Marie Magnin
Moderation: Eckhard Roelcke |
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Ein Geschichtslehrer wurde getötet, weil er im Unterricht die Meinungsfreiheit anhand umstrittener Mohammed-Karikaturen veranschaulichen wollte. Nun wird in Frankreich debattiert, ob die schulische Vermittlung gemeinsamer Werte noch möglich ist.
"Es ist kein Zufall, dass dieser Terrorist heute Abend einen Lehrer ermordet hat. Er wollte die Republik treffen, ihre Werte, die Aufklärung und die Möglichkeit, unsere Kinder zu mündigen Bürgern zu machen, woher sie auch kommen, an was sie auch glauben oder nicht glauben", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron kurz nach der tödlichen Messerattacke auf einen Geschichtslehrer. "Sie werden damit nicht durchkommen. Wir lassen uns nicht spalten, denn das ist es, was sie wollen."
In der Nähe von Paris war dieser am Freitag (16.10.2020) auf offener Straße attackiert worden, weil er im Unterricht als Beispiel für Meinungsfreiheit die umstrittenen Mohammed-Karikaturen des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" gezeigt haben soll. 2015 ereignete sich nach dem Abdruck der Karikaturen ein islamistisch-terroristischer Anschlag, bei dem in den Redaktionsräumen der Zeitschrift elf Menschen getötet wurden.

"Die Gesellschaft klingt hilflos"

Für die französische Schriftstellerin Cécile Wajsbrot war die Ansprache des Präsidenten einmal mehr nur Worte. Die Attacke sei weniger ein Angriff auf das französische Bildungssystem, wie viele Politiker in Frankreich nun behaupteten, sondern "eher ein Symbol für unser Scheitern und für das Scheitern dieses Systems". Sie sagt: "Noch heutzutage gibt es viele Wörter, die natürlich sehr wichtig sind. Aber wenn man fragt: Was können wir dagegen machen? Dann antworten manche: Wir wissen es nicht. Also die ganze Gesellschaft klingt hilflos."

Wenn Wajsbrot vom Scheitern spricht, hat sie dabei weniger die Probleme der Integration im Blick, als vielmehr die schwierige Aufgabe der Lehrer, verbindende moralische Werte zu vermitteln. "Die sind mehr und mehr umkämpft", sagt sie. "Es gibt mehr und mehr Widerstand, wenn man in der Schule im Unterricht gewisse Themen unterrichtet oder diskutiert." Wajsbrot spricht von einer "seit 20 Jahren andauernden allmählichen Islamisierung" in mehreren Pariser Vororten wie Conflans-Sainte-Honorine, wo der Lehrer Samuel Paty ermordet wurde.
Cécile Wajsbrot ist eine französische Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin.
Cécile Wajsbrot ist eine französische Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin.© imago images / gezett
Zeitlich fällt diese Attacke mit dem laufenden Gerichtsprozess gegen die Attentäter auf "Charlie Hebdo" zusammen. "Die Stimmung ist davon geprägt", sagt Wajsbrot. Erst vor ein paar Wochen hatte das Satiremagazin das Titelbild von damals erneut veröffentlicht - und prompt gab es einen neuen Anschlag mit zwei Verletzten.

Islamistischer Terror als Virus

Zu den islamistischen Anschlägen der vergangenen Jahre kommen nun die Auswirkungen der Coronapandemie hinzu. Wajsbrot sieht das in einem Zusammenhang: "Ich habe das Gefühl, dass Frankreich von allen Seiten in Bruchstücke zerfällt. Und natürlich hat dieser Anschlag nichts mit dem Virus zu tun. Aber es ist auch eine Art Virus, das schon lange dabei ist, seit - ich weiß nicht - 20 Jahren oder viel mehr, und man hat es sich entwickeln lassen."
(ckr)
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