Celeste Ng: "Kleine Feuer überall"

Mustergültig geplotteter Familienthriller mit Herz

Cover: Celeste Ng: Kleine Feuer überall
© imago / 7aktuell / Simon Adomat / dtv
Von Rainer Moritz · 30.08.2018
Zwei Vorstadtexistenzen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sehen sich in emotionalen Verstrickungen nicht nur mit einem Hausbrand, sondern auch mit den Feuern in ihnen selbst konfrontiert. Ein Roman wie ein Lehrstück für kreatives Schreiben.
"Herzzerreißend" ist ein Adjektiv, das man in Literaturkritiken nicht zu oft verwenden sollte. Doch wenn man Celeste Ngs zweiten Roman "Kleine Feuer überall" gelesen hat, fallen einem kaum andere Vokabeln ein, um dieses einerseits grandios konstruierte und andererseits alle emotionalen Register ziehende Buch zu charakterisieren.
Bereits in ihrem Debüt "Was ich euch nicht erzählte", das vom scheinbar rätselhaften Tod eines Teenagers handelte, erwies sich die 1980 geborene Ng als eine mit allen Wassern gewaschene, über die vertrauten amerikanischen Erzählverfahren verfügende Autorin.

Eine heile Welt

"Kleine Feuer überall" spielt wiederum im Bundesstaat Ohio, in der Vorzeigesiedlung Shaker Heights. Wer da wohnt, hat es geschafft und die Überzeugung verinnerlicht, dass man sich durch Umsicht, Ordnungssinn und Liebe vom Chaos dieser Welt abschotten kann.
Dort leben die Richardsons: Mutter Elena, eine Journalistin, die ein wenig darunter leidet, nur für ein Provinzblatt zu schreiben, und ihr Mann, ein vielbeschäftigter Anwalt. Man hat die richtigen Freunde, die McCulloughs zum Beispiel, die einen ausgesetzten chinesischen Säugling bei sich aufnehmen – nicht wissend, dass sie die leibliche Mutter bald vor Gericht wiedersehen werden.
Vier Kinder ganz unterschiedlichen Naturells können die Richardsons vorweisen, von denen nur das jüngste, die anstrengende, ständig aufbegehrende Izzy Sorgen bereitet. Zum eigentlichen störenden Element jedoch werden die Mieter, denen Elena in einem Gestus der Nächstenliebe eine Wohnung anvertraut.

Struktur trifft auf unkonventionelles Künstlerleben

Mia Warren, eine ambitionierte Fotografin, und ihre halbwüchsige Tochter Pearl haben mit dem durchstrukturierten Leben in Shaker Heights nichts gemein. Sie sind es gewohnt, kein überzähliges Geld auf dem Konto zu haben und den Wohnsitz ständig zu wechseln. Sie leben unkonventionell von der Hand in der Mund, darauf bedacht, Mias künstlerische Freiheit nicht zu gefährden.
Raffiniert verbindet Celeste Ng diese vermeintlich getrennten Welten. Celeste Ng fährt viel Geschütz auf, um die vielfältigen emotionalen Verstrickungen dieser Vorstadtexistenzen zu verdeutlichen. Sie tut dies, indem sie rückblickend die einzelnen Fäden entwirrt – ausgehend von der Katastrophe, mit der der Roman einsetzt: dem niederbrennenden Haus der Richardsons, den "kleinen Feuern überall".

Frage nach familiärem Zusammenhalt und Mutterschaft

Intrigen, Falschinformationen, Rassismus, üble Nachreden – aus solchen Bausteinen ist der spannungsreiche Roman zusammengefügt, dessen Gegenwartshandlung zu der Zeit spielt, als ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton angestrengt wird.
Das auf mehreren Ebenen durchgeführte Kernthema bildet die Überlegung, was familiären Zusammenhalt ausmacht, was Eltern und Kinder letztlich verbindet oder trennt und was Mutterschaft bedeutet.
"Was macht jemand zu einer Mutter? War es allein die Biologie, oder war es Liebe?" – diese fast plakativ formulierten Fragen prägen den mustergültig geplotteten Roman, der ein Lehrstück für Creative-Writing-Kurse werden könnte. Und überdies: Die Geschichten, die Celeste Ng zu erzählen weiß, sind herzzerreißend, ja.

Celeste Ng: "Kleine Feuer überall"
Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit
Deutscher Taschenbuch Verlag 2018
384 Seiten, 22 Euro

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