"Cervantes, Don Quijote und die arabische Welt"
Der "Don Quijote" von Miguel de Cervantes wäre wohl nicht dieses bis heute rätselhafte, nie bis ins letzte ausgedeutete Werk, wenn es nicht auch in der Frage nach dem Verhältnis seines Autors zum Islam und zur arabischen Welt vielfältige Facetten hätte. Eine naive Lektüre könnte zum Schluss kommen, dass es wimmelt von Invektiven gegen den Islam und gegen die arabische Welt.
Von der "Lügenhaftigkeit der arabischen Rasse" ist da einmal die Rede, eine abfällige Bemerkung über den Propheten Mohamed findet sich, und selbst die höchste Rechtfertigung des Vertreibungsdekrets gegen die Morisken - als ein Akt göttlicher Vorsehung - fehlt nicht im Text. Cervantes ein "Maurenhasser"? Rafael Valencia von der Universität Sevilla lehnt diese Sicht ab.
"Es gibt im Quijote von Cervantes antiarabische Elemente. Aber diese antiarabischen Elemente sind Ausdruck der Sichtweise auf den Islam und die arabische Welt in jener Epoche. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Christenheit in jener Zeit ganz wesentlich aus dem spanischen Imperium bestand. Dieses Imperium war gewissermaßen der Hüter der westlichen Welt, dem auf der anderen Seite "die Türken", das Osmanische Reich als Inbegriff des Islams, gegenüberstand. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der Roman eine überaus strikte Zensur über sich ergehen lassen musste, wie sie eben auch typisch war für diese Zeit. "
Aber es sind nicht nur solche historischen Kontextualisierungen und Relativierungen, die Cervantes vom Verdacht xenophobischer Neigungen freisprechen. Denn immer ist er doppeldeutig. Gibt sich nicht der Roman ab dem neunten Kapitel eigentlich als Übersetzung aus dem Arabischen aus? Der Erzähler versichert, er habe das gefundene Manuskript eines arabischen Historikers für die Fortsetzung seiner Geschichte übersetzen lassen und benutzt. Mahmud Aly Makki von der Universität Kairo hat im "Quijote" Passagen ausfindig gemacht, die Klassiker der arabischen Literatur beinahe wörtlich zitieren. Und sagt nicht ebenjene Figur, die eben noch das Vertreibungsdekret gegen die Morisken rechtfertigt hat, im nächsten Atemzug das genaue Gegenteil?
"Obwohl also Cervantes die extreme Härte und Strenge der Vertreibung anerkennt, begrüßt er sie und zollt ihr Beifall. Aber im selben Moment spricht er sich gegen jede religiöse Unterdrückung aus. Dieselbe Figur, die der Vertreibung der moriscos eben noch zustimmt, Ricote, erwähnt, er sei nach Italien gegangen und bis nach Deutschland gekommen. Und dort sei es ihm so vorgekommen, als könne man freier leben, denn die Bewohner dort lebten in der Freiheit des Bewusstseins. Dieser Vergleich zwischen Spanien und Deutschland enthält eine kaum verdeckte Verurteilung des spanischen Regimes der Inquisition und ihrer Organe. "
Der marokkanische Literaturwissenschaftler Aziz Tazi von der Universität Fez geht noch weiter: Man mag den "Don Quijote" für auslegungsbedürftig, weil doppeldeutig und amibvalent, halten, sein Autor, Cervantes, steht für ihn geradezu für einen Dialog der Kulturen.
"Es gibt ein Theaterstück von Cervantes "Die Sultanin". In diesem Stück verliebt sich der türkische Sultan in Katarina, seine christliche Gefangene aus Oviedo. Er wirbt um sie und will sie heiraten. Sie hat zunächst große Ängste, es sind in erster Linie religiös motivierte Ängste. Aber schließlich willigt sie ein. Das Stück endet mit einer Szene, in der der Sultan in die Zukunft blickt und sich ausmalt, dass sie einen gemeinsamen Sohn, einen Thronerben haben werden. Er nennt diesen künftigen Sohn einen "osmanischen Spanier". Und hier, in der Verbindung des Sultans mit einer Christin, symbolisiert sich die Verbindung der christlichen und der muslimischen Kultur jener Zeit. "
Trotz solcher Szenen bei Cervantes war die Wahrnehmung des "Don Quijote" im arabischen Raum durchaus problematisch. Eine religiös motivierte Zensur stieß sich selbstverständlich an den vermeintlichen araber- oder islamfeindlichen Stellen. 1956, als die erste Ausgabe des "Don Quijote" auf Arabisch erschien, wurde sie ohne diese Stellen publiziert. Der Wirkung dieses Romans tat das auf längere Sicht dennoch keinen Abbruch. Die Literaturwissenschaftlerin María Jesús Viguera registriert seit den 70er Jahren einen verstärkten Einfluss des "Don Quijote" in der arabischsprachigen Literatur.
"Das erste, was man sich von diesem Moment an fragt, ist natürlich: Wofür wird diese literarische Figur verwendet? Und mit dem Ende der siebziger Jahre kann man beobachten, wie arabische Literaten den "Quijote" auffassen als den Archetyp der Niederlage, der eigenen Krise. Er taucht auf als eine Verkörperung der Krise der zeitgenössischen Gesellschaft und der Kultur, sozusagen als Vorbote der eigenen Dekadenz und Niederlage. Natürlich sind das Zuschreibungen, die der "Quijote" tatsächlich enthält: Er ist ein Idealist, den die Wirklichkeit erdrückt, er liebt die Gerechtigkeit, scheitert aber am Versuch, seine Ideale und Träume zu realisieren. Davon handelt schließlich der Roman, und, so gelesen, hat er in der arabischen Welt eine sehr reichhaltige Ernte hervorgebracht. "
"Es gibt im Quijote von Cervantes antiarabische Elemente. Aber diese antiarabischen Elemente sind Ausdruck der Sichtweise auf den Islam und die arabische Welt in jener Epoche. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Christenheit in jener Zeit ganz wesentlich aus dem spanischen Imperium bestand. Dieses Imperium war gewissermaßen der Hüter der westlichen Welt, dem auf der anderen Seite "die Türken", das Osmanische Reich als Inbegriff des Islams, gegenüberstand. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der Roman eine überaus strikte Zensur über sich ergehen lassen musste, wie sie eben auch typisch war für diese Zeit. "
Aber es sind nicht nur solche historischen Kontextualisierungen und Relativierungen, die Cervantes vom Verdacht xenophobischer Neigungen freisprechen. Denn immer ist er doppeldeutig. Gibt sich nicht der Roman ab dem neunten Kapitel eigentlich als Übersetzung aus dem Arabischen aus? Der Erzähler versichert, er habe das gefundene Manuskript eines arabischen Historikers für die Fortsetzung seiner Geschichte übersetzen lassen und benutzt. Mahmud Aly Makki von der Universität Kairo hat im "Quijote" Passagen ausfindig gemacht, die Klassiker der arabischen Literatur beinahe wörtlich zitieren. Und sagt nicht ebenjene Figur, die eben noch das Vertreibungsdekret gegen die Morisken rechtfertigt hat, im nächsten Atemzug das genaue Gegenteil?
"Obwohl also Cervantes die extreme Härte und Strenge der Vertreibung anerkennt, begrüßt er sie und zollt ihr Beifall. Aber im selben Moment spricht er sich gegen jede religiöse Unterdrückung aus. Dieselbe Figur, die der Vertreibung der moriscos eben noch zustimmt, Ricote, erwähnt, er sei nach Italien gegangen und bis nach Deutschland gekommen. Und dort sei es ihm so vorgekommen, als könne man freier leben, denn die Bewohner dort lebten in der Freiheit des Bewusstseins. Dieser Vergleich zwischen Spanien und Deutschland enthält eine kaum verdeckte Verurteilung des spanischen Regimes der Inquisition und ihrer Organe. "
Der marokkanische Literaturwissenschaftler Aziz Tazi von der Universität Fez geht noch weiter: Man mag den "Don Quijote" für auslegungsbedürftig, weil doppeldeutig und amibvalent, halten, sein Autor, Cervantes, steht für ihn geradezu für einen Dialog der Kulturen.
"Es gibt ein Theaterstück von Cervantes "Die Sultanin". In diesem Stück verliebt sich der türkische Sultan in Katarina, seine christliche Gefangene aus Oviedo. Er wirbt um sie und will sie heiraten. Sie hat zunächst große Ängste, es sind in erster Linie religiös motivierte Ängste. Aber schließlich willigt sie ein. Das Stück endet mit einer Szene, in der der Sultan in die Zukunft blickt und sich ausmalt, dass sie einen gemeinsamen Sohn, einen Thronerben haben werden. Er nennt diesen künftigen Sohn einen "osmanischen Spanier". Und hier, in der Verbindung des Sultans mit einer Christin, symbolisiert sich die Verbindung der christlichen und der muslimischen Kultur jener Zeit. "
Trotz solcher Szenen bei Cervantes war die Wahrnehmung des "Don Quijote" im arabischen Raum durchaus problematisch. Eine religiös motivierte Zensur stieß sich selbstverständlich an den vermeintlichen araber- oder islamfeindlichen Stellen. 1956, als die erste Ausgabe des "Don Quijote" auf Arabisch erschien, wurde sie ohne diese Stellen publiziert. Der Wirkung dieses Romans tat das auf längere Sicht dennoch keinen Abbruch. Die Literaturwissenschaftlerin María Jesús Viguera registriert seit den 70er Jahren einen verstärkten Einfluss des "Don Quijote" in der arabischsprachigen Literatur.
"Das erste, was man sich von diesem Moment an fragt, ist natürlich: Wofür wird diese literarische Figur verwendet? Und mit dem Ende der siebziger Jahre kann man beobachten, wie arabische Literaten den "Quijote" auffassen als den Archetyp der Niederlage, der eigenen Krise. Er taucht auf als eine Verkörperung der Krise der zeitgenössischen Gesellschaft und der Kultur, sozusagen als Vorbote der eigenen Dekadenz und Niederlage. Natürlich sind das Zuschreibungen, die der "Quijote" tatsächlich enthält: Er ist ein Idealist, den die Wirklichkeit erdrückt, er liebt die Gerechtigkeit, scheitert aber am Versuch, seine Ideale und Träume zu realisieren. Davon handelt schließlich der Roman, und, so gelesen, hat er in der arabischen Welt eine sehr reichhaltige Ernte hervorgebracht. "