Bademantelmusik von Chilly Gonzales
Der Pianist Chilly Gonzales gibt am Klavier gerne den Entertainer. Sein Markenzeichen ist eine ganz eigene Mischung aus Klassik, Rap, Jazz und Pop. Auf seiner neuen CD "Chambers" bietet der in Köln lebende Kanadier nun Kammermusik mit einem Streichquartett.
Chilly Gonzalez ist in Berlin. Das kanadische Fernsehen macht mehrere Tage lang Aufnahmen mit dem Musiker, und irgendwann dazwischen treffe ich ihn in seinem Hotel in Berlin-Mitte. Auf seinen Konzerten trägt er Morgenmantel und Pantoffel und dazu wirre, dunkle Locken. Jetzt empfängt er mich sehr zivil, mit gebändigten Haaren und in hellbrauner Cordhose und dunklem Wollpullover:
"Check check check, here we are in the blacklight of the Weinmeister hotel..."
Mein Mikrofon ist noch falsch eingestellt, von einem Interview mit einem sehr leise sprechenden Rabbiner:
"Robbie? Robbie Williams? Ah, rabbi! I am also Jewish, but louder than a rabbi."
Der jüdische Großvater von Chilly Gonzalez ist Anfang der 40er-Jahre aus Ungarn nach Kanada geflüchtet. Seitdem lebt die Familie dort, und Chilly Gonzalez kommt 1972 als Kind eher unmusikalischer Eltern zu Welt. Damals noch unter dem Namen Jason Beck. Seine Verbindung zur Musik ist der ungarische Großvater:
"Er war klassischer Pianist, doch er musste sich ums Überleben kümmern und konnte deshalb nicht Musiker werden. Aber er hat kleine Stücke komponiert, und schon als Kind hab ich verstanden, dass er seine eigene Musik macht und das war sehr spannend für mich: Er macht seine eigene Musik und spielt nicht nur die Sachen vom Blatt, wie ich es tat. Vielleicht hat er auch einen gewissen Druck ausgeübt. Mein Bruder ist nämlich auch Musiker geworden, er komponiert Filmmusik, lebt in Hollywood. Vielleicht leben wir beide den Traum unseres Großvaters."
Eigenes Label, große Fan-Gemeinde
Aber zusätzlich zum Traum des Großvaters gab es auch noch Chillys eigene Kindheitsträume:
"Der Traum vom Popstar. Wenn ich mir Musikvideos ansah und am liebsten in den Fernseher gekrochen wäre, um dort Musik zu machen mit diesen Leuten wie Lionel Ritchie oder Boy George."
Als Junge lernt Chilly Gonzalez zuerst Schlagzeug, dann Klavier. Später studiert er in Montreal Jazz-Piano. Und 1998 zieht der Musiker nach Berlin:
"Es war eine großartige Zeit. Und es ist der Geburtsort von Chilly Gonzalez. So weit weg von Zuhause fühlte ich mich viel freier, konnte viel mehr mit meiner Persönlichkeit spielen, mit meinem Auftreten. Für mich ist das ein mythischer Ort."
Mittlerweile ist Chilly Gonzalez ein unabhängiger Musiker. Mit eigenem Management, einem eigenen Label und einer großen Fan-Gemeinde. Damals in Berlin fing alles an, mit ersten Konzerten in kleinen Clubs und Kellerlokalen:
"Ich versuchte, auf der Bühne meine Grenzen als Performer auszutesten. Damals gar nicht so sehr am Klavier, sondern oft mit Playback, es war eher so eine Brutalo-Show. Die Musikerin Peaches hat mich da sehr beeinflusst bei meinen Auftritten als Punkrock-Entertainer."
2003 zieht Chilly Gonzalez nach Paris. Im Aufnahmestudio stand ein Klavier und so, eher zufällig, fand er zurück zu seinen musikalischen Anfängen. Mit seinen sehr reduzierten Klavieralben "Solo Piano 1" und "Solo Piano 2" wird Chilly Gonzalez international bekannt.
Guter Komponist oder guter Marketingmann?
Heute lebt der Musiker mit seiner Freundin, einer deutschen Journalistin, in Köln. Und noch eine neue Liebe hat er: das Streichquartett. Und deshalb schreibt er seit einiger Zeit alle Kompositionen für das Hamburger Kaiserquartett. Auch die auf seinem aktuellen Album:
"Es heißt Chambers, im Plural. Das können Zimmer sein oder Herzkammern und natürlich bezieht es sich auch auf Kammermusik. Und auf Französisch denkt man dabei noch an robe de chambre, also Bademantel. Also eigentlich ist dieses Album Bademantelmusik."
Auf "Chambers" spielen die vier Streicher und Chilly Gonzalez am Klavier Kammermusik, die wie moderner Pop klingt – oder ist es umgekehrt?
"Ganz ehrlich, über diese Unterscheidung zwischen E- und U-Musik denke ich nicht einmal nach. Und die meisten Menschen, die ich kenne, tun das auch nicht. Es wird immer Leute geben, die mich für einen verrückten Punkrocker halten oder für einen sehr guten Komponisten oder einfach für einen guten Marketingmann. Aber ich mache diese Musik für die Menschen, denen sie gefällt."