Chancen des UN-Klimagipfels

"Konsens ist ein Rezept für Lähmung"

Delegierte beraten in Bonn auf einer Konferenz im World Conference Center, um die UNO-Klimakonferenz im November/Dezember in Paris vorzubereiten.
Delegierte beraten in Bonn auf einer Konferenz im World Conference Center, um die UNO-Klimakonferenz im November/Dezember in Paris vorzubereiten. © Oliver Berg / dpa
Hermann Ott im Gespräch mit Dieter Kassel |
Großveranstaltungen wie Klimagipfel könnten effektiver sein, gäbe es nicht das Konsensprinzip, kritisiert der Wissenschaftler Hermann Ott. Dennoch seien solche Treffen für Aktivisten weltweit wichtig. In Paris findet ab Ende November eine Weltklimakonferenz statt.
Veränderungen für den Klimaschutz sind möglich – aber die Staaten bewegen sich, wie meist, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu. So lautet die Prognose des Klimaexperten Hermann Ott für den UN-Klimagipfel in Paris vom 30. November bis 11. Dezember.
Für Ott, der für das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie arbeitet, ist das größte Problem der Zwang zum Konsens unter den Mitgliedsstaaten. Dieses Prinzip sollte abgeschafft werden. Denn es habe in den vergangenen Jahren wiederholt zu Blockaden etwa seitens der USA oder der Öl-Staaten geführt. "Konsens heißt nicht Einstimmigkeit – also, es müssen nicht alle die Hand heben und sagen: Wir stimmen zu. Konsens heißt: die Abwesenheit von Widerspruch. Wenn einer die Hand hebt, dann geht es nicht. Das ist ein faktisches Vetorecht, das diese Staaten haben."
Einzelne müssen mit gutem Beispiel vorangehen
Ott vergleicht die Entscheidungsfindung beim Weltklimagipfel mit dem Vorsatz einer Gruppe von Drogenabhängigen, die clean werden wollen:
"Wenn man sich nun überlegt, eine Gruppe von Junkies wollte nun gemeinsam aus der Droge aussteigen. Aber jeder, also auch die, die als Dealer arbeiten und also das Zeug verkaufen, können jederzeit Widerspruch einlegen gegen jedwede Maßnahme. Dann kann man sich vorstellen, wie weit so eine Gruppe kommen würde."
Auf gar keinen Fall sollten sich jedoch einzelne Länder davon abhalten lassen, mit gutem Beispiel für den Klimaschutz voran zu gehen.
"Tatsächlich ist es doch so, dass die Fortschritte in der Welt immer durch eine kleinere Gruppe kommen - ob das Städte sind, ob das Menschen sind, ob das Regionen oder ob das Staaten sind. Das heißt: Es müssen einfach einige voran gehen und andere mitziehen und ein leuchtendes Beispiel setzen."
Club der Vernünftigen
Der Klimaschutz brauche eine Art Club der Vernünftigen. Dennoch hält Ott die großen UN-Weltklimagipfel nicht für überflüssig. "Die haben nämlich eine sehr wichtige Funktion: Es muss eine Plattform geben, wo sich alle Staaten treffen, alle 196.Und das hat ungeheure Wirkung auch auf die Medien - sonst würden wir uns heute ja auch nicht darüber unterhalten. Das hat Wirkung für ganz viele zivilgesellschaftliche Gruppe auf der ganzen Welt, die sich ja an diesem Treffen orientieren und darauf hin arbeiten."


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Das Ziel ist grundsätzlich völlig klar, die Erderwärmung soll auf zwei Grad begrenzt werden. Der Weg dahin, die Maßnahmen, die notwendig sind, das alles ist Wissenschaftlern eigentlich auch klar und doch können sich die Staatschefs dieser Welt nicht so richtig auf konkrete Maßnahmen einigen. Das hat ein Vorbereitungstreffen noch mal deutlich gezeigt, das gerade erst in Bonn zu Ende ging, ein Treffen, das den großen UN-Klimagipfel in Paris vorbereiten sollte. 1.000 Abgesandte aus 195 Ländern haben sich da am Ende auf Papiere geeinigt, die man freundlich bestenfalls als Kompromiss, etwas weniger freundlich als faulen Kompromiss bezeichnen könnte. Und deshalb glauben immer mehr Leute auch nicht daran, dass dieser Gipfel in Paris wirklich ein Erfolg werden könnte. Große Zweifel hat auch Hermann Ott, er arbeitet seit 1994 in verschiedenen Funktionen für das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, hat diese Tätigkeit nur von 2009 bis 2013 mal ruhen lassen, als er für die Grünen im Bundestag saß. Schönen guten Morgen, Herr Ott!
Hermann E. Ott: Ja, guten Morgen!
Kassel: Glauben Sie denn überhaupt noch daran, dass es in Paris am Ende der großen Konferenz zu einem sinnvollen, nachhaltigen Klimaschutzabkommen kommen könnte?
Ott: Nach der letzten Vorbereitungsrunde jetzt in Bonn sind die Verhandlungen wirklich in einem beklagenswerten Zustand. Der Text ist noch mal angewachsen, alles steht in Klammern, manchmal zwei- oder dreimal eingeklammert. Wichtige Teile wie zum Beispiel wozu, was wollen die Staaten eigentlich beitragen, um den Klimawandel zu verhindern, sind rausgerutscht aus dem Vertragstext und zu einer Entscheidung redigiert. Wichtige Klauseln wie zum Beispiel – was für Entwicklungsländer wichtig ist – über Gerechtigkeit sind in eine Präambel gerutscht. Das heißt, es bewegt sich alles auf eine Vereinbarung zu, es wird eine Vereinbarung geben, man wird nicht noch mal wie in Kopenhagen nach Hause fahren ohne ein Ergebnis. Aber das wird der kleinste gemeinsame Nenner sein, der in keiner Weise ausreicht, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen.
Kassel: Kleinster gemeinsamer Nenner, Herr Ott, ist das vielleicht auch das Problem, dass offenbar eine Prämisse, an der nicht zu rütteln ist, wirklich zu sein scheint: Es muss am Ende Einstimmigkeit herrschen?
Ott: Ja, also, nach Kopenhagen, das war 2009, habe ich mich auch gefragt, was ist denn da eigentlich schiefgelaufen? Und dann, ich komme ja aus der Völkerrechtswissenschaft, aus dem Umweltvölkerrecht und habe mich sehr viel auch mit anderen Umweltverträgen beschäftigt, zum Beispiel solchen, die auch sehr erfolgreich waren wie das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. Und das wird natürlich auch, was der Hauptunterschied ist zu diesem Vertrag ...
Kassel: Entschuldigen Sie, das ist glaube ich in den 70er-Jahren zustande gekommen, dieses Montrealer Abkommen, oder wann war das?
Ott: Nein, das war in den 80er-Jahren, von 87. Und der Hauptunterschied ist der, dass die Regeln andere sind, um zu Entscheidungen zu kommen. Beim Kyoto-Protokoll ist es so, dass aufgrund eines Widerstands von Saudi-Arabien und anderen Öl produzierenden Staaten es nicht möglich gewesen ist, überhaupt Mehrheitsentscheidungen in die Geschäftsordnung hineinzubekommen. Seit 1994 blockieren die Saudis und andere also diese Klausel. Und das bedeutet, dass alles im Konsens entschieden werden muss. Konsens heißt nicht Einstimmigkeit, also, es müssen nicht alle die Hand heben und sagen, wir stimmen zu, Konsens heißt die Abwesenheit von Widerspruch.
Wenn nur einer die Hand hebt...
Also, wenn einer die Hand hebt, dann geht es nicht mehr. Das ist also ein faktisches Veto-Recht, was diese Staaten haben. Und wenn man sich überlegt, eine Gruppe von Junkies wollte nun aussteigen gemeinsam aus der Droge, aber jeder – und auch die, die als Dealer arbeiten und also das Zeug verkaufen – können jederzeit Widerspruch einlegen gegen jedwede Maßnahme, dann kann man sich vorstellen, wie weit so eine Gruppe kommen würde. Das ist nicht erfolgversprechend. Aber warum erwarten wir das von den Klimaverhandlungen?
Kassel: Aber das Argument kann man natürlich auch umdrehen: Wenn man jetzt zu einem Übereinkommen kommt, wo dann aber gerade große CO2-Emittenten wie die USA, wie China, wie Australien nicht mitmachen und eine Handvoll Länder schreitet voran, ich meine, damit wird man das Zwei-Grad-Ziel vermutlich doch dann auch nicht erreichen?
Ott: Na, das ist die Frage. Also, ob wir es nicht erreichen, weil wir alle darauf warten, dass alle mitmachen, oder ob wir zumindest eine kleine Chance haben, weil eine Gruppe von Staaten vorangeht. Und da würde ich mich doch eher für die zweite Lösung entscheiden. Wir sind da in ein Denken reingerutscht, das ist zum Teil auch sehr ökonomistisches Denken, beeinflusst davon, dass, wenn irgendwo Emissionen eingespart werden, dann können andere vielleicht noch mehr ausstoßen und am Ende hat keiner was davon. Tatsächlich ist es aber doch so, dass die Fortschritte in der Welt immer nur durch eine kleinere Gruppe kommen, ob das Menschen sind, ob das Städte sind oder Regionen oder ob das Staaten sind. Das heißt, es müssen einfach einige vorangehen und andere mitziehen und ein leuchtendes Beispiel setzen. Wenn man immer nur darauf wartet, dass alle mitziehen, dann kommt man überhaupt nirgendwohin.
Kassel: Das heißt, Sie sagen – ich habe das auch schon von anderen Experten gehört –, wir müssen eigentlich jetzt schon vor Paris eher daran denken, was eigentlich nach Paris passiert.
Ott: Auf jeden Fall. Im Moment konzentrieren sich alle auf Paris, das kann man auch in psychologischer Hinsicht verstehen, weil das natürlich ganz, ganz viele Energien bindet. Aber dennoch, es gibt eben auch schon Überlegungen, was danach kommen muss. Und ich habe gerade ein Projekt initiiert, wo ich mit 12, 13 Expertinnen, Experten aus ebenso vielen Ländern, die in einem solchen Vorreiterclub, einer Pionierallianz oder wie man das auch nennen will, dabei sein könnten, dass wir uns gemeinsam überlegen: Wie müsste denn eine Allianz aussehen, um attraktiv zu sein und um möglichst viele Staaten anzuziehen, aber dabei ohne Kompromisse zu machen, was jetzt die Inhalte angeht. Und das, was für mich das Wesentliche ist: Die Regeln müssen richtig sein. Es muss also ein Club sein, der flexibel und dynamisch ist, der also ... wo also schnell reagiert werden kann auf veränderte Verhältnisse und die Regeln schnell verschärft werden können, wenn Notfälle eintreten.
Große Wirkung auf die Medien
Kassel: Würde das eventuell auch heißen, dass wir diese riesengroßen Klimakonferenzen, wie wir sie bald in Paris wieder erleben, erst mal eigentlich gar nicht brauchen?
Ott: So weit würde ich nicht gehen, die haben nämlich eine sehr, sehr wichtige Funktion. Denn es ist ja tatsächlich so, es muss eine Plattform geben, wo sich alle Staaten treffen, alle 196, und das hat ungeheure Wirkung auch auf die Medien, sonst würden wir uns ja heute jetzt auch nicht unterhalten. Das hat Wirkung für ganz, ganz viele zivilgesellschaftliche Gruppen auf der ganzen Welt, die sich ja an diesem Treffen orientieren und darauf hinarbeiten. Also, in diesem Bereich hat das globale Abkommen tatsächlich eine wesentliche Bedeutung und ich gehe auch davon aus, dass ein solcher Club, wenn er sich einmal formiert, irgendwann auch reintegriert wird in das UN-Regime. Aber zunächst einmal muss er sich außerhalb bilden, weil innerhalb tatsächlich dieser Konsenszwang herrscht, wo alle immer zustimmen müssen. Und das ist natürlich ein Rezept für Lähmung.
Kassel: Sagt Hermann Ott vom Wuppertal Institut. Herr Ott, vielen Dank für das Gespräch!
Ott: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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