Chansonnière Sandra Kreisler

Meinungsstarke Betrachtungen über das Jüdischsein

07:41 Minuten
Die Sängerin Sandra Kreisler tritt am 01.07.2015 in Berlin vor dem Gemüsehändler _Bizim Bakkal_ im Wrangelkiez auf, um gegen die Kündigung des Mietvertrages zu protestieren. Foto: Britta Pedersen/dpa ++
In den Fußstapfen ihres Vaters: die Chansonnière Sandra Kreisler © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Thomas Klatt |
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Sandra Kreisler hat und ist eine kraftvolle Stimme. Die 60-jährige Chansonnière und Tochter des berühmten Wiener Kabarettisten Georg Kreisler steht regelmäßig auf der Bühne und kommentiert soziale Missstände, den Alltag und das Leben in der Diaspora.
"Erst einen Kaffee", "Postmodernes Arschloch" oder "Die Klofrau vom Kanzleramt". Die Lieder von Sandra Kreisler drehen sich um die Widrigkeiten und Skurrilitäten des täglichen Lebens. Die Tochter des berühmten Wiener Kabarettisten Georg Kreisler ist selbst Schauspielerin und Chansonnière. Sie ist sozusagen in seine künstlerischen Fußstapfen getreten.
"Mein Vater hat den Antisemitismus in Deutschland und in Österreich, vor allem in Österreich, weil er die meiste Zeit in Österreich gelebt hat, immer thematisiert", erinnert sich die bald 60-jährige Kreisler. "Das hat ihn definiert. Als Kind wurde er vertrieben. Und er musste auswandern und ein komplett neues Leben anfangen. Und er hat es immer thematisiert."

Begleitthema ihres Lebens

Der Antisemitismus ist nicht Teil ihres Bühnenprogramms, schon aber Begleitthema ihres Lebens. Daher hat sie ein Buch geschrieben: "Jude sein". 31 Essays, bissige "Ansichten über das Leben in der Diaspora".
Es ist eine Anklageschrift. Zwischen Wien und Berlin pendelnd stößt Sandra Kreisler etwa die manchmal schräge Darstellung des Judentums in deutschen Medien auf.
Ihre Kritik: "Wenn sie etwas Positives über Juden schreiben, dann ist das über tote Juden. Und wenn sie irgendetwas über Juden schreiben, wird es bebildert mit Schtetl-Juden aus dem vorigen Jahrhundert, die es so heute praktisch nicht mehr gibt."

Finanzierung in Tod oder Schutz

So geschehen in der "Spiegel"-Ausgabe über "Jüdisches Leben in Deutschland" im Juli 2019. Die Buntheit und Diversität des heutigen Judentums werde dann nicht gesehen. Und das stört Sandra Kreisler auch in ihrem Judesein: Der Nahostkonflikt werde immer wieder verzerrt dargestellt. Auch zuletzt fehlte in deutschen Medien oftmals die richtige Einordnung.
"Das ist wirklich perfide. Zum Beispiel werden immer die Opferzahlen einander gegenübergestellt. Nicht erwähnt wird der Kontext, dass man nämlich in Israel das meiste Geld in Schutzmaßnahmen steckt. Dass Israel die defensivste Waffe der Welt erfunden hat, den iron dome", kritisiert Kreisler. "Und dass, im Gegenteil, dazu in Gaza sehr viel Arbeit hineingesteckt wird, dass man viele zivile Opfer hat. Es werden ganz bewusst Raketenabschussbasen direkt neben Spitäler oder Schulen oder Kindergärten gelegt oder Raketenlager unter Privathäuser. Das ist der Hamas recht."

Spirale der Gewalt

Auch ärgert sie die Naivität, als würde es jetzt mit der Waffenruhe einfach Frieden geben können. In der deutschen Öffentlichkeit werde oft nicht gesehen, dass vermeintlich humanitäre Hilfe nur wieder neuen Terror und Krieg vorbereite.
"Die Hamas investiert die Abermillionen an Hilfsgeldern in Waffen. Die werden mitten unter der Zivilbevölkerung gelagert. Dann haben sie genug Waffen. Dann fangen sie an massiv auf Israel zu schießen. Sie warten auf irgendeinen Anlass. Dann werden tausende Raketen vollkommen gleichgültig wohin auf Israel abgeschossen. 20 Prozent dieser Raketen gehen noch auf Gaza-Gebiet nieder und töten auch dortige Zivilisten, was die Hamas billigend in Kauf nimmt. Und die Welt schreit auf und stopft wieder jede Menge Geld in die Hamas. Es wird sich nichts ändern."
Sandra Kreisler ärgert als Jüdin manche Schräglagen, nämlich die ihrer Meinung nach allzu einfache Schwarzweißmalerei. Die Guten seien dann die Palästinenser. Die Bösen die Israelis, die Juden.
Buchcover vor grafischem Hintergrund: Sandra Kreisler, Jude sein. Ansichten aus dem Leben in der Diaspora
In ihrem Buch versammelt Sandra Kreisler 31 polemische Einblicke in das Leben als Jüdin unter Nicht-Juden.© Hentrich & Hentrich / Deutschlandradio
Für Kreisler ist das Zeichen eines wachsenden Anti-Zionismus, der eine moderne Form des Antisemitismus darstelle. Ein sogenannter "Confirmation Bias", dem auch viele Politiker, selbst Kirchenvertreter, unterlägen.
"Der Confirmation Bias, auf Deutsch nennt sich das Kognitions-Verzerrung. Und das ist ein Hauptproblem bei dieser ganzen Antizionismus-Welle, die über uns hereinbricht. Sein Leben lang hört man, die Palästinenser kommen aus Palästina und sind ein altes Volk. Und deswegen schaut man nicht zwei Mal. Es hat aber nie ein Land gegeben, dass Palästina heißt. Aber dass dieses Land Judäa heißt und seit 1000den von Jahren das jüdische Kernland ist, das weiß keiner."

Staatsbürgerschaften für palästinensiche Menschen

Seit den 1960er Jahren werde erfolgreich das PLO-Narrativ verbreitet, dass es seit Jahrtausenden ein Volk der palästinensischen Ureinwohner gegeben habe. Wahr dagegen sei, dass viele Vorfahren der heutigen Palästinenser erst ab dem 19. Jahrhundert auf der Suche nach Arbeit in das spätere Israel eingewandert waren. Und dass die Nachkommen der im Konflikt von 1948 Geflüchteten bis heute im Elend gehalten werden.
"Palästinenser sollen, bitte, endlich ein gutes Leben bekommen. Dass endlich dieser Bann aufgehoben wird. Dass die ganzen Palästinenser, die in Flüchtlingslagern heute noch in anderen arabisch-muslimischen Ländern leben – in Jordanien, in Syrien –, dass sie endlich die Staatsbürgerschaften der Länder bekommen, in denen sie leben und dort ganz normal ihr Leben führen können."
Die Palästinenser aber seit mehr als 70 Jahren im Dauerflüchtlings-Status zu halten, diene allein dem Zweck, Israel international an den Pranger stellen zu können. Dass 1948 auch gut eine Million Juden aus arabischen Ländern flüchten mussten, wird kaum zur Kenntnis genommen. Aber Sandra Kreisler klagt nicht nur an, sondern zeigt auch die für sie positiven Seiten ihres Judeseins auf.
"Es gibt eine wunderbare Tradition im Judentum und die nennt sich 'Tikkun Olam', das heißt 'Heile die Welt!' Das ist ein religiöses Gebot, und es ist auch bei Nicht-Religiösen tief eingeschrieben schon in die jüdische DNA, kann man fast sagen. Davon schreibe ich auch in meinem Buch. Das finde ich etwas ganz besonders Schönes."
Dass Juden in der Gesellschaft relativ präsent seien, liegt ihrer Meinung nach an diesem Tikkun Olam. "Weil alle Juden sich damit befassen: Was könnte ich noch, wenigstens nebenbei, tun um die Welt zu verbessern?" Und das gelte auch für sie als säkular aufgewachsene Jüdin.

Sandra Kreisler: "Jude Sein. Ansichten über das Leben in der Diaspora"
Hentrich & Hentrich, Leipzig 2021
248 Seiten, 18 Euro

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